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Die verletzte Ehre des Steffen Reiche

Junger SPD-Landeschefund Minister verteidigt antikommunistischen Geschichtsfälscher Von CLAUS DUMDE

  • Lesedauer: 3 Min.

Daß auch ostdeutsche Politiker über Dinge reden und - noch schlimmer - entscheiden, von denen sie keine Ahnung haben, ist keine Besonderheit von Steffen Reiche, SPD-Landesvorsitzender und Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburgs. Ob er dabei manch DDR-Oberen oder Leitbildern aus der Alt-BRD nacheifert, ist einerlei. Sich darüber vier Jahre nach der Machtübernähme von Pfarrern und Bürgerrechtlern aufzuregen, von deren „Widerstand gegen das SED-Regime“ vorm Herbst '89 kein normal Sterblicher in der DDR etwas vernahm, wäre müßig, wenn.. Ja, wenn's nicht um Sachsenhausen ginge, das erste große und „Muster“-KZ der Nazis, um den 50. Jahrestag der Befreiung Deutschlands und ganz Europas vom Faschismus.

Die Rede ist von der Auszeichnung eines Herrn Gerhard Emig mit dem Bundesverdienstkreuz durch eben jenen Steffen Reiche. Bekanntlich hat sie weit über die Bundesrepublik hinaus Empörung ausgelöst. Weil dieser Ruhestandsbeamte, ein bornierter Antikommunist, in der einstigen Mahn- (!) und Gedenkstätte 1991/92 als. kommissarischer Leiter Amok lief. Emig warf nicht nur Mitarbeiter, die im Gegensatz zu ihm als Historiker qualifiziert sind, wegen „kommunistischer Gesinnung“ raus, ließ nicht nur jene Ausstellung schließen, die von Opferverbänden aus aller Welt gestaltet wurde. In herrischer Pose tönte Emig im Mai 1992 vor Überlebenden dieser Hölle aus Frankreich, daß „jede Nation“ gefälligst, „froh“ zu sein–hat, daß nun die Gedenkstätte „vom Muff des sie umgebenden DDR-Kommunismus befreit wird“.

Fortan ließ Emig im Museum auch nach 1945 von den Sowjets in Sachsenhausen internierte Nazi-Verbrecher ehren. All das ist seit Jahren bekannt, nicht nur durch das Neue Deutschland, sondern auch durch einen Dokumentarfilm, der auf der Berlinale gezeigt wurde und kürzlich im SFB lief. Trotzdem erhielt Emig das Bundesverdienstkreuz. Und ausdrücklich für sein Walten in Sachsenhausen.

Herr Reiche war nicht nur so instinktlos, den möglicherweise von seinem Amtsvorgänger für dessen FDP-Parteifreund beantragten Orden öffentlich zu überreichen. Nein, den begründeten Protest von einstigen Häftlingen dagegen nannte er „ehrverletzend“.

Selbstbewußtsein bis zur Arroganz und „Schnellschüsse“ attestieren dem 34jährigen,

der als junger Pfarrer 1989 in der DDR die SDP mitbegründet hatte, auch seine SPD-Genossen. Doch erklärt das alles? Mag sein, daß Reiche, obwohl er unweit von Sachsenhausen Abitur machte, nie die Stätte des Grauens besuchte, sich gar - aus „Opposition“ gegen „verordneten Antifaschismus“? nie für das schlimmste Kapitel deutscher Geschichte interessierte. Das wäre schlimm genug. Oder paßt sich Reiche wieder nur schnell politischen Konstellationen an, wie ihn ein Mitglied seines SPD-Landesvorstands charakterisierte?

Geschichtsfälschung ist ja im Reiche Helmut Kohls en vogue: 64 350 DM „Haftentschädigung“ für eine KZ-Aufseherin und wissenschaftlich verbrämte iHetze gegen die „roten Kapos“ von Buchenwald. Wessen Ehre wird hier eigentlich von wem verletzt . ?

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