Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

  • Kultur
  • Pilotfilm zur Serie „Wir sind auch nur ein Volk“ in der ARD

Oberflächenbild vom Ossi-Alltag

  • Peter Hof
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Trotzkis aus Ostberlin heißen Grimm. Sie wohnen in Berlin-Mitte, in der Krausnickstraße. Sie sind die „Durchschnitts-Ossis“: Er, Benno, Mitte Fünfzig, ehemals Dispatcher, jetzt arbeitslos; sie, Trude, Ende Vierzig, (noch) Lehrerin; ihr Vater, Blauhorn, Ende Siebzig, ist Rentner. Dazu kommt noch ein Sohn, der das Philosophiestudium geschmissen hat und sich jetzt mit Gelegenheitsjobs durchschlägt. Die Grimms sollen dem Westautor Steinheim Modell für eine typische Ostfamilie stehen, denn Steinheim will mit einer Serie über die deutsche Vereinigung die große Kohle machen. Also beobachtet er „wie ein Insektenforscher“ diese seltsamen Wesen von jenseits der Grenze, hinter der für, die Westler einstmals „die Mongolei“ begann.

Jurek Becker ist eigentlich kein richtiger Westautor, lange genug hat er in der DDR gelebt, er kennt sein Ostberlin, wenn er auch diesmal wieder, wie schon in der letzten Staffel von

„Liebling Kreuzberg“, den Kiez zwischen Oranienburger und Sophienstraße zum „Prenzlauer Berg“ erklärt, wohl um das Weltbild der Westberliner nicht zu verwirren, die ihren Teil von Berlin so gern für die Mitte der Stadt halten. Becker nennt seine achtteilige Serie,

der ostdeutschen Trinkfestigkeit. - Soweit der Inhalt des Pilotfilms, der erst ungefähr nach einer Stunde so richtig in Fahrt kam, als endlich auf die Lebensbedingungen der Ostberliner eingegangen wurde. Bis dahin hielt man sich mit unverbindlichem Vorgeplänkel auf. Dann ging es endlich zur Sache - und man haspelte die Vorurteile ab.

Zu viele Klischees über den Osten und die Ossis haben sich schon gebildet, als daß dieser Teil des „einig Vaterlandes“ wohl noch unbefangen betrachtet werden kann. Manfred Krug hat seinen Benno mit Schnauzer, Kassenbrille und Schiffermütze ausgestattet, als einen Ossi, wie ihn der Darsteller sich vorstellt. Krug hat auch seinen Leib- und Magenregisseur Werner Masten in die Serie mitgebracht. Bei den durfte er schon als Hamburger Kommissar machen, was er wollte, und Masten verzichtete auch hier - zum Glück - auf Schauspielerführung.

So kamen dann doch einige gute darstellerische Leistungen zustande: von Christine Schorn als Trude, eine couragierte Frau, die ihre Familie zusammenhält, und Ferdinand Dux als Rentner Blauhorn, ein gewiefter Typ. Dietrich Mattausch als Steinheim ist endlich mal kein verbiesterter Nußknacker mehr wie sonst, wenn er seine Beamten des gehobenen Dienstes spielt, so'ndern ein recht sympathischer, weil lernbereiter Westler

„Die Trotzkis“ sollten seinerzeit ostdeutsches Selbstbewußtsein gegen westdeutsche Überheblichkeit stärken. „Wir sind auch nur ein Volk“ gibt bis jetzt ein nur wenig profiliertes Oberflächenbild vom Ossi-Alltag. Die fünfzehn Millionen zwischen Kap Arkona und Fichtelberg werden sich kaum in den Grimms wiedererkennen. Die Geschichte der deutsch-deutschen Beziehung gen ist eben auch in dieser Serie offenbar eine Geschichte voller Mißverständnisse.

PETER HOFF

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal