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Todessturz am Pisang Peak

VonLUDMILLA TÜTING, Katmandu

  • Lesedauer: 10 Min.

ND-Karte: Wolfgang Wegener

Warum die Gruppe abstürzte, merkwürdigerweise gemeinsam, ist ungeklärt. Es gibt nur Spekulationen. Vielleicht

rutschte ein überforderter Teilnehmer aus und riß die anderen mit sich. Gingen sie zu dicht hintereinander? Verhedderten sich die Trekker auf dem schmalen Gipfel im Seil und stürzten von ganz oben ab? Die entscheidende Frage ist, wieviel Seile die Gruppe überhaupt dabei hatte. Nur ein Fixseil von 300 Metern Länge, wie die Österreicher hörten? Oder zwei Seile, wie jemand aus der Basislager-Mannschaft aussagte? Der DAV behauptet, die Gruppe habe drei Seile dabei gehabt, da bei den Toten an der Unfallstelle Seile in drei verschiedenen Farben gesehen wurden. Der DAV glaubt heute an ein Schneebrett, das alle in die Tiefe riß - mit einem Dominoeffekt. Die Teilnehmer seien zweifelsfrei in drei Seilschaften gegangen.

Das jedoch wird in Nepal von vielen stark bezweifelt, weil allein acht Leichen als „Knäuel“, so der DAV, gefunden wurden. Auch der bekannte Südtiroler Bergsteiger Reinhold Messner konnte sich gegenüber der Presse „nicht vorstellen, daß die gesamte Gruppe an einem Gipfelgrat abstürzte, da bei so vielen Teilnehmern normalerweise mehrere Seilschaften gebildet werden“

Der Untersuchungsausschuß der Nepal Mountaineering Association (NMA), ein Verband der Trekkingindustrie, schlußfolgerte: „Aus Mangel an Beweisen gehen wir davon aus, daß alle Teilnehmer an einem Seil gingen und zusammen starben. Es liegt am DAV, das Gegenteil zu beweisen.“ Der DAV, mit über einer halben Million Mitgliedern der größte Alpenverein der Welt, hat bis heute weder der Regierung Nepals noch der für Trekkinggipfel zuständigen NMA einen Bericht, Fotos oder Videofilme vorgelegt, obwohl er dazu umgehend verpflichtet war. Der Informationsbedarf besteht

nicht nur in Katmandu, sondern auch bei der deutschen Öffentlichkeit, den Hinterbliebenen und der yersicherung. Die Adresse des Überlebenden Klaus Kolb wurde verweigert, so daß er als wichtiger Zieuge nicht befragt werden konnte.

Das Mißtrauen wuchs um so mehr, nachdem bekannt wurde, daß lediglich ein - wenngleich ausgezeichneter - deutscher Bergführer für die elf Trekkingtouristen zur Verfügung stand, der obendrein den Pisang nicht kannte. Warum ging der Sherpa-Führer mit auf den Gipfel? Für diese Aufgabe war er nicht vorgesehen und deshalb vom Veranstalter - wie vorgeschrieben - weder versichert noch ausgerüstet worden. Er bezahlte für seine Gefälligkeit mit seinem Leben. International Trekkers ließ seiner Familie inzwischen still und leise umgerechnet 9375 DM an „Kompensation“ zukommen, der DAV 3125 DM. Wieder einmal verlor ein Sherpa sein Leben, einer von Hunderten, damit westliche Touristen einen Berg „bezwingen“ konnten.

Weil Chayamba Sherpa (31) mit auf den Gipfel mußte, war keine verantwortliche Person im Basislager, als Kolb alleine dort eintraf. Eine recht ungewöhnliche Situation im nepalischen Trekking-Tourismus. Dadurch verzögerte sich der Hilferuf nach Katmandu um einen Tag. Am 13. November wurde die Gruppe mittags vermißt. Dem gewieften Koch ist es zu verdanken, daß überhaupt ein Funkspruch am nächsten Tag (14. November) abgesetzt werden konnte. Er gab dem Polizeihauptquartier in Katmandu durch, die Gruppe sei vermißt, ein Rettungshubschrauber werde sofort benötigt. International Trekkers behauptet, die Nachricht sei erst um „16 oder 16.30 Uhr“ bei ihnen eingetroffen. Man habe umgehend bei der Armee um einen Rettungshubschrauber gebeten, jedoch erfolglos, da es für den etwa einstündi-

Im November stürzten in Nepal zehn Trekking-Touristen aus Deutschland und der Schweiz und ein Sherpa-Führer am 6091 m hohen Pisang Peak tödlich ab. Ein Deutscher entging der Katastrophe, weil er aus gesundheitlichen Gründen auf den Gipfel verzichtete. Es handelte sich um die größte Bergtragödie des Deutschen Alpenvereins (DAV) nach dem zweiten Weltkrieg, um die zweitgrößte in der Geschichte Nepals. Dessen Tourismusministerium setzte einen sechsköpfigen Untersuchungsausschuß ein, der soeben seinen Report vorlegte. Journalistische Recherchen und der Untersuchungsbericht enthüllten zahlreiche Ungereimtheiten in Bezug auf die Unglücksursache, den Tod des Sherpas, die Rettungsaktion, die Informationspolitik des DAV und seines nepalischen Partners „International Trekkers“. Experten in Nepal sprechen von grober Fahrlässigkeit („gross negligence“) und glauben, daß bei verantwortungsbewußtem Handeln „niemand hätte sterben müssen“. Die um ihren Ruf besorgte Tourismus- und Trekkingbranche Nepals hofft, daß sich ein solches Ereignis niemals wiederholt und daß alle ihre Lehren aus der Tragödie ziehen.

gen Flug und eine Suchaktion an diesem Tag bereits zu spät gewesen sei. Wegen der Parlamentswahlen am nächsten Tag habe man „nicht weiter versucht, bei höherstehenden Stellen etwas zu erreichen“ Anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen, gab man sich dem Glauben hin, es handele sich „nur um ein kleineres Problem“, so der Manager Narhari Bhandari zu der Autorin.

Am Wahltag, dem 15. November, konnte laut International Trekkers auch kein Rettungshubschrauber geschickt werden, da ein generelles Flugverbot bestand. (Um Wahlbetrug im großen Stil zu verhindern, werden in Nepal während der Abstimmungszeit alle öffentlichen Verkehrsmittel und Privatfahrzeuge stillgelegt.) „Keine Maschine durfte starten, alle hatten auf Standby zu stehen“, so beschuldigte International Trekkers gebets-

mühlenartig die Regierung. Was verschwiegen wurde: Die Firme ist an zwei privaten Fluglinien beteiligt und verfügt über mehrere eigene Hubschrauber. Bei den Airlines handelt es sich um die „Nepal Airways“ und die „Nepal Airways Helicopter Services“, die auch „für Rettungsflüge bereit steht“

Die Regierungsanweisung betraf jedoch nur Linienflüge, nicht aber Charterflüge, beispielsweise für Touristen. Das Logbuch im Flughafen in Katmandu beseitigt alle Zweifel: Am 15. November sind 12 Hubschrauberflüge verzeichnet, darunter vier von „Nepal Airways“, u. a. nach Pokhara und nach Lukla im Everestgebiet! Warum setzte International“ Trekkers nicht sofort die eigenen Hubschrauber ein? Warum nahm man nicht die Suchhunde des „Himalayan Rescue Dog Squad“ in Anspruch?

Der erste Rettungshubschrauber von „Nepal Airways“ wurde schließlich am vierten Tag (16. November) losgeschickt. Er suchte 40 Minuten lang - vergeblich - nach Überlebenden. Am 18. November endlich entdeckte man eine Spur der Toten, „sieben bis acht bunte Punkte in der Wand“

Nun hätten der Alpenverein in München und sein Partner in Katmandu längst die Behörden und die NMA von dem Unglück verständigen müssen. Statt dessen flog der DAV blitzschnell ein Expertenteam mit dem früheren Vorsitzenden Dr Fritz März nach Nepal, wo er am 20. November eine Pressekonferenz gab.

Acht der Toten wurden am folgenden Tag mit Hilfe eines „Nepal Airways“-Hubschraubers geborgen. Wer die drei Toten sind, die am Berg blieben, ist der zuständigen Nepal

Mountaineering Association bis heute nicht bekannt.

Einige Bergsteiger und Vertreter der Tourismusindustrie können oder wollen die Diskussion um die verspätete Rettungsaktion nicht verstehen und spielen sie mit den Worten herunter- „Die waren doch sowieso alle sofort tot.“ Genau vor dieser inhumanen Einstellung fürchten sich jedoch die meisten der rund 300 Reiseund Trekkingbüros in Nepal. Sie haben Angst, daß sich nun potentielle Trekker und Bergsteiger nicht mehr trauen, Nepal zu besuchen. (Tourismus ist der zweitwichtigste Wirtschaftszweig des Königreiches.) „Solange jemand vermißt ist, muß selbstverständlich auch in unserem Land alles Menschenmögliche getan werden“, bekräftigen sie und bestätigen damit den Extrembergsteiger und DAV-Reiseleiter Reinhold Messner, der am 17 November der Deutschen Presseagentur (dpa) erklärte: „Es ist schon vorgekommen, daß nach zehn Tagen noch Eingeschneite gerettet wurden.“ Messner bezeichnete den „DAV Summit Club“ im selben Gespräch als den „seriösesten Veranstalter für solche Touren in Europa“

Die eingangs erwähnte DAV-Reiseleiterin Sonja Kubach vertritt allerdings die „Sofort tot“-Argumentation und kann die ganze Aufregung nicht nachvollziehen. Zum Entsetzen anwesender deutscher und nepalischer Touristiker fügte sie mit der Sensibilität einer Dampfwalze in Katmandu hinzu: „Warum das Hackfleisch vom Berg holen? Um andere Lebende zu gefährden?“ Für eine derartige Entgleisung gibt es in einem Land, in dem jeder an Wiedergeburt glaubt und deshalb die Seelen nach dem Tod durch zahlreiche Rituale liebevoll begleitet, keine Ent-

schuldigung. Ähnliches gilt für die Gefühle der Angehörigen in Deutschland.

So ganz nebenbei entdeckte der Untersuchungsausschuß noch eine Reihe weiterer Auffälligkeiten, die zeigen, daß der „größte Veranstalter von Bergreisen“ dem Land schadet. Beispiele: Die Trekkingpermits (Wandergenehmigungen) wurden für „Einzelreisende“ besorgt und nicht für eine Gruppe. Somit taucht die Reisegruppe vor der Steuer des Veranstalters in Nepal nicht auf. -Anstatt vier wurden nur drei Wochen für das Trekkingpermit beantragt, das jeweils für eine ganze Woche zum Preis von fünf US-Dollar ausgestellt wird. Der Trek dauerte aber mindestens 22 Tage. Für den Pisang Peak wurden nur zehn statt elf Genehmigungen eingeholt. Ein Teilnehmer bestieg ihn illegal. Die beiden anderen angebotenen Gipfel auf der Pisang-Tour sollten heimlich bestiegen werden. Sie stehen nicht auf der Liste der 141 freigegebenen Gipfel.

Bei näherem Hinsehen stellte sich außerdem heraus, daß auf elf Bergreisen, die der DAV in Nepal anbietet, z. T gleich mehrere unerlaubte Berge bestiegen werden. Dazu kommt eine Reise im absoluten Sperrgebiet. In Katmandu macht deshalb bereits ein neues Schlagwort die Runde: „Commercial Clandestine Climbing“ (Kommerzielles Klammheimliches Klettern). Ist das der sanfte Tourismus, den der DAV propagiert?

Offensichtlich galoppierte dem DAV Summit Club aus München die Freistaat-Mentalität durch und läßt ihn über alle Gesetzeshürden springen. Der Bergsteigerwunsch nach grenzenloser Freiheit zu Billigstpreisen nimmt auf die Vorschriften des Gastlandes keine Rücksicht. Ein einziger schneller Blick in Nepals „Bergsteiger-Regeln“ genügt, um zu wissen, zu welchen Gipfeln Reisen verkauft werden dürfen und was man bei Unglücksfällen zu tun hat, z. B. mit den zuständigen Stellen zu kooperieren. Die elf Toten passen schon gar nicht ins Konzept, weshalb der Öffentlichkeit und den Angehörigen in Deutschlands ein be.-v schönigtes Bild über das Unglück und die Rettungsaktion vermittelt wurde.

Der „DAV Summit Club, Bergsteigerschule des .Deutschen Alpenvereins“ muß sich etwas einfallen lassen, um auf die massiven Ungereimtheiten, die eine ganze Branche in Verruf gebracht haben, befriedigende Antworten zu finden. Als erfahrener Veranstalter kann er sich nicht damit herausreden, daß viele Individualbergsteiger ebenfalls - teilweise unwissend - illegal Berge in Nepal besteigen, d. h. mal eben auf einen Gipfel am Wegesrand klettern. In vielen Grenzgebieten im indischen Himalaja sind diese Gesetzesübertretungen wegen stärkerer Kontrollen vor Ort nicht möglich, in Bhutan undenkbar In Katmandu ist man da nachlässiger.

Doch wenn man etwas in diesem normalerweise großzügigen Land nicht leiden kann, dann sind das Ausländer, die denken, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Das betrifft vor allem Inder, aber auch Deutsche. Im Moment jedenfalls wird hochgerechnet, wieviele der jährlich 60 000 Trekker und Bergsteiger klammheimlich auf verbotene Gipfel stürmen, und überlegt, wie man das organisierte „KKK“ unter Kontrolle bringen kann. Vielleicht ist es neben der atemberaubenden Schönheit die Illegalität, die den Himalaja mit seinen schwer zu lösenden Grenzproblemen in eine Bergsteiger-Spielwiese der besonderen Art verwandelt.

Günter Sturm, Geschäftsführer des Summit Clubs und selbst passionierter Bergsteiger und Nepalkenner, versichert in seinem Katalog: „Wir bemühen uns, jede Reise so umweltverträglich und für unsere Gastgeber so vorteilhaft wie möglich zu gestalten. Wir wollen Ihnen als größter Veranstalter von Bergreisen die Welt der Berge nicht nur zeigen, sondern zugleich die unwiderbringlichen Werte ursprünglicher Natur und fremder Kultur schonen und die Sensibilität für ihre Bewahrung fördern. Dazu fühlen wir uns. ebenso stark verpflichtet, wie für das Wohlergehen der Kunden“

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