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  • Politik
  • Wie ein Rumäne in Frankreich Deutschen etwas über sich selber beibringt

A table

  • PETER RICHTER
  • Lesedauer: 6 Min.

Guy Herbst

Foto: Porte Ludwiq-Bonac

um den Tisch des „Mas du Buis“.

Ist der Herr des „Buchsbaumhofes“ - zwischen den Ockerfelsen Roussillons und dem Felsenstädtchen Gordes gelegen - ein geschickter Nachahmer? Schafft er mit seinen deutschen Gästen einen künstlichen Biotop französischer Lebensart? Herbst nickt und schüttelt zugleich den Kopf: „Eigentlich ist der gemeinsame Tisch nicht typisch für den Franzosen. Das sind große Individualisten, und wenn sie sich treffen, dann nur in der Familie, allenfalls noch mit alten Jugendfreunden, nie mit Fremden. Mit denen gehen sie eher ins Restaurant als ins eigene Heim. Jene Leichtigkeit, mit der zum Beispiel Osteuropäer fremde Leute bei sich zu Hause aufnehmen, haben sie nicht.“

Guy Herbst weiß, wovon er spricht, denn er ist eigentlich gar kein Franzose. Zur Welt kam er am Anfang dieses Jahrhunderts in der rumänischen Bukowina, in einer begüterten Familie. Dort wurde französisch gesprochen.und deutsch erzogen. Bei Debrecen betrieb der Großvater ein Weingut, dahin zog es den Jungen zu den Bauern, den Pferden, der Natur. Aber es zog ihn auch zur modernen Technik. Er studierte in Frankreich, in Toulouse Radiotechnik, Elektronik, damals noch etwas Besonderes. Er wurde Elektroingenieur in Bordeaux, nach dem Krieg sogar Chef eines Flugzeugwerkes in Marseille, ehe er dort ein eigenes Unternehmen gründete.

Verließ er aber an den Wochenenden die quirlige Stadt am Mittelmeer, fuhr er hinauf in die hüglige Landschaft der Provence, dann meldete sich seine zweite Sehnsucht zurück - die Natur, die Landwirtschaft, das Leben im Rhythmus von Tageslauf und Jahreszeit. Er kaufte sich Land und wollte einen Neu-

anfang machen, mit Obstplantagen und friesischen Milchkühen. Eine moderne, technisierte Landwirtschaft sollte es werden - die Verbindung von Jugendtraum und studiertem Beruf. Aus vielerlei Gründen ging das nicht gut. Herbst mußte allzu hochfliegende Pläne aufgeben. Am Ende blieb das „Mas du Buis“, ein Reiterhof, zunächst als eigenes Hobby, später - auch jetzt noch, da sein Patron 85 ist - als Existenzgrundlage.

Monsieur ist ein Psychologe - nicht nur beim Entwerfen der Sitzordnung. Als alle ihren Platz haben, lockt schon die Vorspeise. Nichts Besonderes, einige Scheiben Honigmelone, dazu trockener, gesalzener Schinken nur in der Kombination ergibt sich der Gaumenkitzel,

den man kaum erwartet. Manche zögern: Geht das zusammen? Wer probiert, kommt auf seine Kosten. „Als ich in Deutschland für meine Art Urlaub warb, funktionierte es sofort.“ Er wußte: Der Süden Frankreichs, die Provence haben für Deutsche einen besonderen Klang. Und er spürte auch die heimliche Sehnsucht der Touristen aus dem Norden, in den Ferien ganz anders zu leben als zu Hause, eben nach vermeintlich französischer Art - gesellig, offen für den anderen, mit gutem Essen, einem guten Wein und ohne auf die Uhr schauen zu müssen.

Es funktioniert so gut, daß bei Guy Herbst gemachte Bekanntschaften oft lange halten, manche gemeinsam wiederkommen, viele schreiben. Er ist ein wenig stolz

auf seinen „kommunikativen Urlaub“, der nicht nur aus Essen und Trinken (der Wein, Direktbezug aus einer nahegelegenen Genossenschaft, geht nie aus an den langen Abenden) besteht, sondern auch aus dem Vortrag über die lasterhaften Päpste von Avignon - ihn hält ein Geschichtsprofessor aus Aachen, ein früherer Gast, aus dem Gitarrenkonzert eines jungen Künstlers und vor allem aus den unerschöpflichen Erzählungen des Gastgebers - über die Schönheiten der Camargue und die Raffinesse der Fischsuppe „Bouillabaisse“, über verwunschene Winkel des Luberon und die Weine von Chäteauneuf-du-Pape, über die beste Zeit zum Reiten und die Theaternächte in Avignon, über Wichtiges und Marginales, über Literatur und Kunst, über Pferde und

Lavendel, und auch schon mal über Politik, wo es paßt. „Ich kann nicht mehr in die Welt“, sagt der 85jährige wehmütig und lacht im nächsten Moment: „Da hole ich sie mir mit meinen Gästen ins Haus.“

Wenn der Hauptgang kommt, auf einer großen Platte, wird er bei Monsieur abgestellt. Er serviert persönlich: Heute Lamm geröstet, mit den „Herbes de Provence“ duftend gewürzt, dazu „Ratatouille“ aus Auberginen, Zucchini, Tomaten, Paprika, Zwiebeln und wieder den Kräutern des Landes. Er empfiehlt den passenden Wein. Bon appetit!

Guy Herbst ist seit 35 Jahren der Herr des „Mas de Buis“. Er empfängt Pferdekenner und Naturfreunde, Frankreichfans und einfach Sonnenhungrige. Er lebt davon, aber damit hat es noch nicht sein Bewenden. Als er vor etwa 20 Jahren begann, Deutsche als Gäste aufzunehmen, erntete er Mißtrauen bei den Einheimischen, auch Spott: Das ist der mit den Deutschen. Böse Erinnerungen waren noch wach: Die Provencalen sind ein stolzes Volk, Herrscher mögen sie nicht. 29 von ihnen wurden allein in Gordes erschossen, ein Teil des Ortes mit Artillerie in Schutt und Asche gelegt, nur eine der zahlreichen Repressalien gegen die Resistance.

Auch Herbst, Linker und Jude, war in Gefahr. Er wollte sich aber nicht verstecken, arbeitete im Gegenteil selbst

für den Widerstand. Über sein Haus liefen viele Informationen. Als Kurier leitete er illegale Schriften weiter. „Ein Franzose verriet mich.“ Drei Jahre verbrachte er im deutschen KZ. Vielleicht retteten ihm nur seine technischen Kenntnisse das Leben - Radioelektroniker waren im Hinterland gefragt, und sein Lager arbeitete auch für Siemens. Aber er fand auch Deutsche, die ihm halfen, und solche, die das Leben als Scherge nicht ertragen konnten. „Einer meiner Bewacher wollte nichts anderes als an die Front. Es war sein Tod, aber er sagte mir, das sei ihm immer noch tausendmal lieber als weiter als Wachtposten im KZ zu sein. Ich verstand ihn, denn es gibt auch für mich nichts Schlimmeres, als Menschen hinter Gittern - ganz gleich, auf welcher Seite. Es ist entwürdigend für beide.“

Als er nach dem Krieg die deutschen Gefangenen in ähnlicher Lage fand wie er selbst gewesen war, traf es ihn ins Herz. Sollte die gegenseitige Verständnislosigkeit nie ein Ende haben? Guy Herbst meidet hehre Worte über das Selbstverständliche, aber zu seinem 85. Geburtstag hielt er doch eine kleine Rede: „Seit 1945 habe ich mir vorgenommen, soviel wie möglich zu tun, damit wir und unsere Kinder in Frieden leben können. Seit 25 Jahren versuche ich meinen deutschen Gästen das französische Land und seine Menschen nahezubringen, um so auch am vereinten Europa mitzuarbeiten.“

Nach zwei, drei Stunden verläßt Monsieur die Tafel. Es mag ihm schwer fallen, aber das Alter fordert seinen Tribut. Vorher haben die Gäste das Dessert genossen und dann den frischen Ziegenkäse, am gleichen Tag ausgereift und nur wenige Stunden mit jenem Geschmack, der den Herr des Hauses zufriedenstellt. Vielleicht läßt er noch eine Flasche scharfgebrannten Trester stehen, damit der Gesprächsfaden nicht reißt.

Ob es das wirkliche Frankreich ist, das die Deutschen auf diese Weise kennenlernen oder vielleicht nur das Frankreich des Guy Herbst - wer weiß das schon. Zumindest lernen sie aber ein wenig das Aufeinanderzugehen, die Aufgeschlossenheit für den Menschen, der ganz zufällig neben ihnen steht. Sie lernen etwas von sich und vom Nachbarn, dem an ihrer Seite und dem hinter jener Grenze, die es für Monsieur und sein „Mas du Buis“ nicht gibt, wenn sich dort das Fenster öffnet und ein fröhliches „A table“ erklingt.

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