Schelm mit Moral

Otto Häuser alias Ottokar Domma wird 80

  • Matthias Oehme
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Geschichte ist nicht neu, aber heute ist Anlass, sie noch einmal zu erzählen. Es gibt tatsächlich einen Mann, der bewiesen hat, dass man mit Schulaufsätzen bekannt werden, Geld verdienen und in die Literaturgeschichte eingehen kann. Das ist doch, zumindest für Zwölfjährige, eine gute Nachricht. Und wer ist nun dieser Mann? Jeder hat ein Bild von ihm, leider stimmt es nicht, dafür stammt es von einem begnadeten Zeichner, von Karl Schrader nämlich, es ist frech, heiter, jungenhaft und - stimmt in einem tieferen Sinne doch zu dem heute Achtzigjährigen. Denn all diese Eigenschaften muss einer ja haben, der in naiv-aufgewecktem Ton wahre und groteske Geschichten aus dem Schulleben schreibt, dass es Jung und Alt kaum auf den Sitzen hält vor Lachen. Die Schule ist der Ort, an dem das spielende, unbestimmte, weltunerfahrene Kind erstmals und dann für viele Jahre auf das Leben in seiner fordernden, einschränkenden wie horizonterweiternden Gestalt trifft, auf seinesgleichen als Freund und Konkurrent, auf die Erwachsenen als Lehrer und Erzieher, wo seine Neugier eine Richtung, sein Lernen ein Ziel, im günstigsten Fall sein Wesen eine Bestimmung erhält. Diese Begegnung mit der Welt hinterlässt bei jedem Menschen die tiefsten Eindrücke, unsere besten Erinnerungen sind mit ihr verbunden, selbst wenn schlechte dabei sind. Wer sie auffrischen will, liest Mark Twain, Ludwig Thoma oder Spoerls Feuerzangenbowle. Oder eben Ottokar Domma. Erfunden hat Otto Häuser die Figur offensichtlich so, wie andere in Sitzungen Männchen malten. Der Lehrer verarbeitete Berufserfahrungen in kleinen heiteren Geschichten und Gedichten, die er gelegentlich an den »Eulenspiegel« sandte. Dort saß ein strenger Hansgeorg Stengel, der ihm das Dichten verwies, und ein neugieriger Rudi Strahl, der wiederum an den Texten Spaß hatte. Der brave Schüler Ottokar entstand als Schwejkfigur in pädagogisch-satirischer Absicht, er trat seinen Siegeszug unter Erwachsenen an. Die Geschichten wurden nicht für Kinder geschrieben; das erste Buch erschien 1967 bei Eulenspiegel - nicht eben ein Kinderbuchverlag. Natürlich taugten sie von Anfang an auch für Kinder. Bis heute aber kommen ihre Leser aus allen Generationen, Beweis dafür, dass Häusers oft klein und tagesaktuell angelegte Satiren unter der Hand zu einem großen Erzählwerk gewachsen sind, das den Vergleich mit einigen seiner Vorgänger nicht zu scheuen braucht. Er verdankt das guten Eigenschaften, die den Schriftsteller zieren: Beobachtungsgabe, Lebensklugheit, Menschenliebe, feiner Sinn für die Absurditäten des Alltags, Schalkhaftigkeit und überdies die Gelassenheit des Pädagogen. Er beherrscht außerdem den alten Trick des Beim-Wort-Nehmens, mit dem schon der Namenspatron des Eulenspiegel Verlags brillierte und alle Welt bloßstellte. Kurzum: Er ist ein Schelm; aber mit Moral: »Die Wahrheit sagen ist manchmal viel schwerer als das Lügen. Die Lüge wird einem bald wieder verziehen, die Wahrheit nicht so schnell.« Wer sich heute über DDR-Pädagogik beliest, möchte diesen Spruch manchem neueren Autor ins Stammbuch schreiben und dann seinen Wissensdurst bei Ottokar stillen. Otto Häuser stammt aus der Gegend um Karlsbad. Er lernte Gebrauchswerber, dann besuchte er das Lehrerseminar an der Humboldt-Universität Berlin, wurde Diplom-Pädagoge. Er arbeitete als Lehrer, Schulleiter, Oberstudienrat und Redakteur, und seit 1959 nebenher immer als Autor, freilich nicht unter seinem Namen. Den Grund dafür kennt die Literaturgeschichte; es kommt häufiger vor, dass einer sich genötigt fühlt, bürgerliche Reputation und beargwöhnte Schriftstellerexistenz vor den Augen der Welt auseinander zu halten. Heute können Häusers Schulgeschichten das Ansehen seiner einstigen Arbeitgeber, des DDR-Volksbildungsministeriums und des Neuen Deutschland, nicht mehr beschädigen, das Pseudonym ist längst enttarnt. Und dennoch hält sich der hintersinnige Schülername für diesen Autor; man nennt ihn, man kennt ihn nur so, und inzwischen hat er gar in genealogisch merkwürdiger Verkehrung die eigenen Memoiren unter dem Namen seines Fantasiegeschöpfs herausgegeben: Ottokar Domma sen. Mit leichter Resignation und viel Chuzpe hat Otto Häuser seine Rolle angenommen. Er ist jung geblieben und (beinah) Ottokar geworden. Es gibt von ihm ein gutes Dutzend Bücher. Nun, zu seinem achtzigsten, ist gar ein »Dickes Ottokar-Buch« erschienen. Lieber Otto, Du hast Dir und Deinen treuen Lesern mit dieser großen Sammlung bekannter und unbekannter Geschichten ein schönes Geburtstagsgeschenk gemacht. Auf dem Buchcover sieht man den braven Schüler Ottokar und den Eulenspiegel Verlag; beide gratulieren Dir ganz herzlich. Das dicke Ottokar-Buch. Mit Illustrationen von Karl Schrader. Eulenspiegel Verlag. 224S., geb., 19,90 EUR. Otto Häuser: Mit Humor und Hinterlist. Mit Bildern von Joachim Tilsch. Verlag INDIVIDUELL. 104S., geb., 19,50 EUR. Zum ND-Pressefest am 5. Juni liest und signiert Otto Häuser ab 16.30Uhr im Blauen Salon.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -