Tenet geht als Sündenbock

USA-Politiker fordern grundlegende Reform der CIA

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Rücktritt von CIA-Chef George Tenet ist laut der gestrigen »New York Times« durch einen kritischen Geheimbericht des USA-Senats beschleunigt worden.
Die Liste der nachweisbaren Fehler und Fehleinschätzungen der US-Geheimdienste in Sachen Irak-Krieg ist offensichtlich lang. Die Vorwürfe reichen laut »NYT« von mangelhafter Materialsammlung durch Agenten und Spionagesatelliten vor dem Irak-Krieg bis hin zu schlampigen Analysen, die auf unbestätigten Quellen beruhten. Das habe zu dem offenkundigen Fehlschluss geführt, Irak verfüge über Massenvernichtungswaffen. Offiziell jedoch erklärte US-Präsident George Bush nach dem überraschenden Abschied Tenets nach sieben Jahren an der CIA-Spitze: »Er hat fantastische Arbeit geleistet. Ich werde ihn vermissen.« Noch am Donnerstag kündigte auch der Vize-Chef der Operationsplanung, James Pavitt, seinen Rücktritt an. Gab Tenet jetzt »private Gründe« an, habe der »CIA-Chefspion« bereits vor Wochen seine Entscheidung getroffen, hieß es dazu kryptisch.
»Das ist ein großer Verlust«, so Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice. Tenet sei ein »enorm begabtes« Regierungsmitglied gewesen, äußerte sich Pentagonchef Donald Rumsfeld. Umgekehrt lobte Tenet den Präsidenten in den höchsten Tönen. Bush kenne er als »großen Unterstützer der CIA«. Selbst der demokratische Präsidentschaftskandidat John Kerry lobte Tenet - schließlich wurde der noch vom demokratischen Präsidenten Clinton berufen. Aber er fügte auch hinzu, dass die CIA »wesentliche Aufklärungsfehler begangen« habe. Deshalb dürfe der Rücktritt »nicht die einzige Antwort« auf die jüngsten Skandale sein, betonte Nancy Pelosi, die demokratische Fraktionschefin im Repräsentantenhaus. Senator Lott, ein Rechtsaußen aus Mississippi, forderte eine umgehende Reform des Dienstes.
»Persönliche Gründe« jedenfalls, so Ex-CIA-Chef Stansfield Turner, der unter Jimmy Carter gedient hatte, »dürften als Ursachen für die Rücktritte ausgeschlossen« werden«. Dafür seien sie zu »schwerwiegend« und erfolgten »zu einem allzu wichtigen Zeitpunkt«. Tenet diene Bush als Sündenbock. Er wäre mitten im Wahlkampf kaum zurückgetreten, hätte ihn der Präsidenten nicht dazu aufgefordert.
Wie es letztlich wirklich war, werden wir wohl nicht so schnell erfahren. Denn Tenet muss sich beispielsweise Buchveröffentlichungen genehmigen lassen - von der CIA selbst. Der 51-Jährige bleibt noch bis Mitte Juli im Amt, dann übernimmt sein Stellvertreter John McLaughlin, den Bush zum Übergangsdirektor ernannte. Als weiterer Anwärter für die Nachfolge, die vom Senat bestätigt werden muss, wird der Republikaner Porter Goss gehandelt, der den Vorsitz im Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses führt. Eine Ernennung noch vor der Präsidentenwahl am 2. November wird jedoch nicht erwartet.


Hintergrund
Geht es um die nationale Sicherheit, fällt den meisten in den USA zuerst der 1947 gegründete Auslandsgeheimdienst CIA (Central Intelligence Agency) ein, der bei der Spionageabwehr mit der Bundespolizei FBI zusammenarbeitet. Doch hat sein im Ausland längst ruinierter Ruf inzwischen auch zu Hause heftig gelitten. Der Dienst, der in der Vergangenheit nicht vor Politikermorden zurückschreckte, Putsche organisierte, Wahlen manipulierte und Kriegsverbrecher rekrutierte, hatte zuletzt große Schwierigkeiten, seine ursprüngliche Hauptaufgabe zu erfüllen: die Regierung mit Informationen zu versorgen, die sie für ihre Entscheidungen benötigt. In Sachen Terrorbekämpfung und Irak hat man sogar doppelt versagt: Erst wurden in kalten Kriegszeiten islamistische Terroristen wie Osama bin Laden groß gemacht und Irak aufgerüstet, dann das Gefahrenpotenzial der einen für das eigene Land sträflich vernachlässigt und jenes Bagdads auf politischen Druck zum Kriegsgrund Massenvernichtungswaffen hin aufgebauscht. Ob US-Kongress oder Außenminister Powell - die Kritik an der CIA wurde auch im Land immer schärfer. Wie viele Menschen, vom Spion über den Computerspezialisten und Naturwissenschaftler bis zur Sekretärin, der Dienst mit Sitz in Langley (Virginia) derzeit beschäftigt, ist ungewiss. 1998 war von 17000 Mitarbeitern die Rede. Nach letzten verfügbaren Angaben lag der Etat damals für alle Geheimdienste bei 26,7 Milliarden Dollar, davon erhielt die CIA etwa drei Milliarden.Olaf Standke
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