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  • Kultur
  • Ein Atelier für ein halbes Jahr - Leipzig fördert junge Künstler mit mietfreien Arbeitsräumen

Malen am Wunderbrunnen

  • Lesedauer: 4 Min.

seinem Künstlerkollegen Mario Lobedan.

Zwölf Jahre lang standen in diesem hohen hellen Raum die Bilder des Altmeisters der Leipziger Kunstszene Bernhard Heisig auf der Staffelei. Im zweiten Atelier des Gebäudes, das Ende der 70er Jahre zusammen mit weiteren Häusern für Leipziger Künstler von der Stadt errichtet wurde, malte Heisigs Frau Gudrun Brüne ihre bekannten Puppenbilder. Jetzt teilen sich zwei Absolventinnen der Leipziger Kunsthochschule den Arbeitsraum: Kerstin Querengässer und die Ägypterin Mona Ragy Enayat. Als Fünfte im Bunde nutzt Barbara Burck das ehemalige Wohnzimmer der Heisigs als Arbeitsraum.

Für freiberufliche Künstler in den neuen Bundesländern, die nach dem Studium erst einmal auf die Beine kommen

müssen, ist das Leben nach der Wende nicht gerade leichter geworden: Aufträge, die in DDR-Zeiten vielfach von Betrieben und Gewerkschaften sowie für Kunst am Bau vergeben wurden, sind knapp, Ateliers nur in geringer Zahl vorhanden und häufig kaum bezahlbar. Wenn sich eins findet, wollen die Vermieter „Sicherheiten“ sehen, die ein freischaffender junger Künstler meist (noch) nicht bieten kann. Bruno Griesel und Mario Lobedan hatten Glück, der eine erhielt den Auftrag für„Specks Hof, der andere ein Stipendium für Schloß Wiepersdorf sowie den Preis „ARS LIPSIEN-SIS“ Dieser wurde erstmals 1993 von der Dresdner Bank Leipzig zur Förderung besonders begabter Absolventen der Hochschule für Grafik und Buchkunst gestiftet, um dem damit Ausgezeichneten den

Übergang in die freiberufliche Tätigkeit zu erleichtern und durch eine Ausstellung Öffentlichkeit zu verschaffen. Außerdem erhielten die beiden jungen Männer, ebenso wie ihre drei weiblichen Kolleginnen, die Möglichkeit, im „Atelierhaus Leutzsch“, wie das Anwesen jetzt genannt wird, Arbeitsräume zu bekommen.

Nach dem keineswegs freiwilligen Weggang des Künstlerehepaares Heisig-Brüne stand das Haus ab Januar 1993 leer. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse - für das Grundstück meldeten Erben eines früheren Besitzers ihre Rechte an, das Haus gehörte der Stadt - sowie eine übermäßig hohe Mietforderung von mehr als 8 000 Mark pro Monat waren die Hauptursachen für Heisigs Umzug. Und auch kein anderer etablierter Künstler war bereit, der Stadt eine

so hohe Summe hinzublättern. Was also tun mit dem Gebäude und seinen Ateliers?

Ungenutzt bleiben sollte es nicht, denn ein Haus kostet, auch wenn es. leersteht, Geld, wenn es nicht vollends vergammeln soll. Eine „Dezernentenrunde“ im Leipziger Rathaus stimmte schließlich dem Vorschlag des Kulturamtes zu, die drei großen Räume per Ausschreibung an junge Künstler mietfrei zu vergeben, jeweils für ein halbes Jahr, wobei Verlängerung in dringenden Fällen möglich ist. Inzwischen ist bereits die „dritte Generation“ eingezogen. Bezahlen müssen die Künstler nur die sogenannten Betriebskosten. Da nach dem nunmehr geltenden bürgerlichen Recht der Grundstückseigentümer auch Anspruch auf das Haus hat, investiert die Stadt so gut wie nichts mehr Die Wände

wurden nicht renoviert, die von Blättern verstopfte Dachrinne nicht gereinigt, die defekte Heizung nur notdürftig repariert. Und das Wasser in der Küche wird wohl bis zur Übernahme durch den neuen Alt-Besitzer nicht mehr fließen. Ein Hausmeister kümmert sich um das Allernotwendigste und mäht auch mal den Rasen im Vorgarten. Trotz aller Mängel sind die Künstler der Stadt natürlich dankbar für diese günstige, wenn auch nur befristete Arbeitsmöglichkeit, bestätigt Bruno Griesel.

Die Stadtväter an der Pleiße greifen auf diese Weise noch weiteren jungen Künstlern fördernd unter die Arme. Bewerben können sich um solche auf ein halbes Jahr befristeten Ateliers neben Absolventen der Hochschule auch Autodidakten. Beispielsweise mietete die HGB eine große Halle am Schillerweg von der Stadt für ihre Meisterschüler. Auch diese sind an kunstträchtiger Stelle tätig. Werner Tübke bereitete

dort in den 80er Jahren sein Bauernkriegspanorama für Bad Frankenhausen vor

Traditionen ganz anderer Art hingegen hat ein Atelierhaus im Leipziger Südraum zu bieten. Es trägt den Namen „Wunderbrunnen“ nach einer Mineralquelle, die auf dem Grundstück entspringt, und aus der Jahrzehnte lang Tafelwasser abgefüllt wurde. Die Besitzerin, der nach der Enteignung 1972 nur das Wohnhaus blieb, erhielt nach der Wende alles zurück, doch die Kosten für eine generelle Sanierung konnte sie nicht allein tragen, deshalb schloß sie 1992 mit der Stadt Leipzig einen Zwölf-Jahres-Vertrag, der eine Vermietung an junge Künstler zum Gegenstand hat. Das Kulturamt Leipzig ließ die ehemalige Abfüllhalle zu drei Ateliers umbauen und vergibt diese zu ähnlichen Konditionen wie das Atelierhaus Leutzsch.

SIGRID KUHN

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