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Hungerstreik in Boizenburg

Schleswig-Holstein zieht zugesagte Mittel für Krankenhaus zurück

  • Lesedauer: 3 Min.

Seit gestern nachmittag ist die Boizenburger Marienkirche mehr noch als sonst ein öffentlicher Raum. Vier bekannte Bürger des Elbestädtchens haben sie zu ihrem Wohnquartier und Nachtlager, zu Proteststätte und Diskussionsort gemacht: Bürgermeister Dr. Uwe Wieben (FDP), der mecklenburg-vorpommersche Landtagsabgeordnete Till Backhaus (SPD), Dr. Wilfried Heß, Chefarzt der Chirurgie des städtischen Johanniter-Krankenhauses, und Oberschwester Monika John aus selbiger Einrichtung. Alle vier sind in den Hungerstreik getreten, und selbst der aus Schwerin herbeigeeilte mecklenburg-vor-. pommersche Sozialminister Hinrich Kuessner konnte sie nicht davon abhalten.

Den Grund für die ungewöhnliche Aktion nennt Frank Schäning, Hauptamtsleiter in Boizenburg: Der seit vier Jahren geplante und betriebene, da dringend notwendige Bau eines neuen Krankenhauses ist gefährdet, weil die schleswigholsteinische Landesregierung ihre Zusage, ein Fünftel der Kosten zu übernehmen, nicht einhalten will. Am 13. Juli hatte Schäning diese Mitteilung telefonisch von einer Mitarbeiterin der Kieler Sozialministerin Heide Moser (SPD) erhalten. 1991 war vereinbart worden, daß die mit 50 Millionen Mark veranschlagten Kosten für das 130-Betten-Haus zu 40 Millionen vom Land Mecklenburg-

Vorpommern, die restlichen zehn Millionen von Schleswig-Holstein getragen werden; letzteres hätte dadurch einen Anspruch auf die Nutzung von 30 Betten für Bürger des angrenzenden Herzogtums Lauenburg erworben.

Nun hat sich die Kieler Regierung ausgeklinkt. Sie könne nicht mehr vertreten, erklärte die Sozialministerin, schleswig-holsteinische Steuergelder in den Aufbau neuer Kapazitäten in Mecklenburg-Vorpommern zu investieren, da das Gesundheitsstrukturgesetz wesentliche Bettenreduzierungen verlange. Der .Lauenburger Bedarf werde mit den vorhandenen Kapazitäten gedeckt. „Ich verkenne nicht“, so Heide Moser, „welche weitreichenden Konsequenzen dieser Schritt für die Region und auch für die Mitarbeiter des jetzigen Krankenhauses hat.“

Diese Konsequenzen treffen vor allem Boizenburg und die gesundheitliche Versorgung seiner Bürger. Das bestehende, lediglich zwei Abteilungen umfassende Krankenhaus hält nur einen Notbetrieb aufrecht. Es ist nicht erweiterungsfähig und in einem solchen Zustand, daß es zum Jahresende geschlossen werden muß. Die Stadt kaufte im Vertrauen auf die Finanzierungszusagen aus Schwerin und Kiel für eine Million das Grundstück für ein neues Krankenhaus, für weitere zwei Millionen wurden be-

reits Planungs- und Erschließungsarbeiten geleistet. „Das sind Steuergelder“, so Schäning, „die dann in den Sand gesetzt wären.“

Vor allem aber würde die Krankenhausversorgung in und um Boizenburg erheblich beeinträchtigt, wie der Chirurg Dr. Eberhard Strauch einschätzt. Das nächste Krankenhaus läge dann 30 Kilometer entfernt von der mehr als 11 000 Einwohner zählenden Stadt an der früheren DDR-Grenze. Besonders für Notfälle wäre dies lebensbedrohend. Dabei habe das Krankenhaus durch die Umstellung,, seiner. Arbeit die betriebswirtschaftliche Effektivität steigern können und in den letzten Jahren stets schwarze Zahlen geschrieben. Daher sehe er keine Gründe für die Aufgabe des Bauvorhabens, vom Verlust von etwa 100 Arbeitsplätzen ganz zu schweigen.

Wie sehr die Boizenburger über die Entwicklung empört sind, zeigt nicht nur der Hungerstreik in der Marienkirche. Bereits vergangenen Donnerstag versammelten sich fast 500 Bürger und blockierten für eine halbe Stunde die durch den Ort führende Bundesstraße 5. Für morgen ist eine weitere Demonstration vor der Kirche angekündigt. Sie wollen,-so Schäning, „die Politiker an das Versprechen erinnern, das sie uns 1991 gegeben haben.“

PETER RICHTER

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