Orden für Anständigkeit?

Zum Tode der Schauspielerin Inge Meysel

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Die (Fernseh-)Mutter der Nation. So. Schnell hingeschrieben das strapazierte Wort. Als sei gleich zu Beginn eine Entlastung nötig. Nur rasch loswerden jene Metapher, die einst vom Kritiker Friedrich Luft geprägt wurde, aber sich zum Etikett vergröberte. Bloß weg mit jenem Schlagbegiff, der alles sagen wollte, aber irgendwann nichts mehr erzählte. Inge Meysel war Schauspielerin. Und zwar eine gute. Ja, sie konnte mütterlich sein, grundgütig wirken, aber auch bitterböse, hart oder komisch. Es gibt ein Spiel, das noch in abstoßender, mürrischer, plauziger Wirkungsabsicht anrührt. Ohne je ins Sentimentale zu rutschen. Man sah sie, und das Fremde einer Gestalt und das Ureigene der Meysel kamen auf eine seltsam ruppige, dann wieder zarte Weise überein. Wahrscheinlich ist das eine der Voraussetzungen für Volksschauspieler. Die Meysel war eine Volksschaupielerin. Wohl auch deshalb, weil sie eine Gabe beherrschte, die zu den schwierigsten Geschäften des Lebens gehört: das Altern. Wenn Frauen dann auch noch als Schauspielerinnen altern müssen, kann das die vorgezogene Hölle sein. Inge Meysel hatte nie Sehnsucht nach Jugend, sie wurde mit den Jahren immer besser. Vielleicht, weil sie im Grunde, als Künstlerin, gar keine Jugend hatte? Die 1910 in Berlin-Rixdorf geborene Kaufmannstochter war etwas über zwanzig, als Hitler an die Macht kam. Die Mutter eine Dänin, der Vater - ein Jude. Zigarettenhändler mit nur einem Arm, den anderen Arm »hat mein Vater Deutschland geschenkt, im Ersten Weltkrieg, er bekam das Eiserne Kreuz dafür - das er dann nicht mehr tragen durfte«. Und fliehen konnte er auch nicht; wegen des amputierten Armes nahm den Juden kein Land auf. Zwölf Jahre überlebte er in einem Versteck. Zwölf Jahre keine Auftritte für die junge Schauspielerin. Sie habe in dieser Ewigkeit aber nicht ein einziges Mal »Heil Hitler!« gesagt, so Inge Meysel später. Die Nazis seien für sie »einfach nicht existent« gewesen. Bis sie wirklich nicht mehr existierten und der Schauspielerin in Hamburg auf der Straße der Regisseur Helmut Käutner begegnete. Er brachte sie ans Thalia Theater. Inge wurde Meysel. Ein Charakter. Rolf Hochhuth - in dessen Komödie »Die Hebamme« sie die Titelrolle spielte - drückte es einmal so aus: »Die Sozialanklägerin Käthe Kollwitz ist dieser patent Lebensfrohen - eben weil sie auch politische Ausdruckskraft hat - künstlerisch weit näher als etwa eine Paula Modersohn.« Sie war Gorkis Wassa Shelesnowa, eine eisige Mutter, und sie war manch andere zwiespältige Gestalt. Nicht immer nur die zähe Liebenswürdige. Mit französischem Boulevard ging sie 1990 auf Tournee, gastierte auch im Berliner Theater im Palais, dem TiP. In der Familienserie »Die Unverbesserlichen« freilich hatte sie ihren größten Auftritt. Von 1965 an, bis 1971, einmal jährlich. Mutter Käthe Scholz. Es war im Grunde der Adenauer-Abschied, es war, in Kittelschürze und mit kämpferischer Zartheit, der letzte Familienkampf gegen die Auflösungsfeiern der Achtundsechziger. Die Meysel als Heilige Käthe der Küche. Wunderlich stur im brüchiger werdenden Wirtschaftswunder; zupackend und mit Herzton. Ein wahres Müttergenesungswerk, das an Arbeit, Übersicht und freche Kraft gebunden ist. Die Bürgerin Meysel hat gegen das Abtreibungsverbot protestiert und gegen den Sexismus der Medien. Sie sprach sich für Gysi aus und hat das Bundesverdienstkreuz abgelehnt - »wieso ist es schon einen Orden wert, wenn man einigermaßen anständig lebt? Das sind ja merkwürdige Maßstäbe für Anstand!« Sie hat sich selber als »links« bezeichnet und vielleicht damit gemeint, sich mit sehr eigener Meinung just in der Mitte des Jahrmarktes zu postieren. Sie hatte nie Angst vor Öffentlichkeit, und sie gehörte noch zu jenen Stars des deutschen Fernsehens, die mit ihrer Haltung politische Stimmung betrieben. Nachdem die Intellektuellen langsam begonnen hatten, sich als öffentliche Personen zu verabschieden; und die Beckmanns, Gottschalks, Christansens hatten den Moderatoren-Zirkus noch nicht in den armen Adel einer schwatzhaften Tonangeberschaft erhoben. Inge Meysel ist 94 Jahre alt geworden, sie starb in ihrem Haus in Hamburg. Spiel war ihr Leben, es hat ihren berühmten, unzähligen Falten eine listige, schnippisch-frohe Kraft beigesellt. Unter Anspannung war sie lebendig - der Mensch wächst eben nicht durch Fütterung, sondern durch Anstrengung.

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