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Die Affekt-Antifa
Sollte die Linke den Rechten die Gefühle überlassen?
»Besser als gerührt sein ist sich rühren.« So heißt es in Bertolt Brechts »Aufbaulied«, aber daran scheiterte die DDR: Sie war nicht in der Lage, die bürgerliche Trennung von Produktion und Reproduktion, von Kopf und Hand zu durchbrechen. Sie war nicht in der Lage, die Begehren und Sehnsüchte ihrer Kinder zärtlich zu pflegen, als progressive Triebkräfte zur ständigen kommunistischen Erneuerung des Projektes. Leid und Leidenschaften wurden nach 1945 verdrängt, auch im »guten« Deutschland; dies legte den Grundstein für die Verdrängungspraktiken in den Familien und zementierte ein ängstliches Unbehagen gegenüber allem Körperlichen. Das traf sich gut auch für die Restauration des Kapitalismus. Die Universitäten wurden zu den neuen Fabriken, Ausbeutung der Hirne, der neuronalen Netze, der Kunst und immateriellen Arbeit war die Folge neuer kapitalistischer Landnahme. Das Ergebnis sind erschöpfte Menschen – zu erschöpft, um empathisch zu sein?
Traumata und emotionale Schäden blieben nach dem Nationalsozialismus Privatsache in deutschen Familien. Die Folgegenerationen leiden bis heute unter der Gewalt dieser politischen Verdrängungskunst – und agieren sie umso stärker selbst aus. Ein Phänomen, das sich nach dem Verlust der DDR im Osten der heutigen Bundesrepublik wiederholt. Die Älteren hinterließen den Jüngeren nicht nur den emotionalen Müll, sondern überließen die Sehnsucht und die Lust den Faschisten. Auch linke Analysen haben allzu oft keinen Körper und entfalten so keine verändernde Kraft: Worthülsen, die ihre Präzision verloren haben, weil sie weder leiden noch scheißen noch lieben. Diese verwahrlosten, verdrängten Gefühlswelten macht sich die Rechte leichthändig zunutze. Die deutsche Linke ist zu ängstlich und zu männlich dominiert, um die vernachlässigten Affekte als Kampffeld zu akzeptieren, sie zum Ausgangspunkt von Subversion und Widerstand zu machen.
Der Historiker Patrice Poutrus bekräftigte kürzlich in der Reihe »Heimatisierung« im Berliner Haus der Kulturen der Welt, dass wir uns mehr um die Frage des Überlebens im Faschismus scheren sollten, statt unsere Kraft damit zu verbrauchen, alles theoretisch richtig einzuordnen. Unter den Interessen der Menschen schlummern ihre Leidenschaften! Linke müssen sich die Hände schmutzig machen: Auch Wut, Hass, Ekel und Angst sollten nicht den Rechten überlassen werden.
Die Künstlerin Fatima Çalişkan plädiert in »nichtmuedewerden« für das Prinzip Freude: »als verstaubter Traum, unsexy wie ein auf dem Wasser treibendes Stück Holz, ist der ideale Begriff, um eine Lebenseinstellung, künstlerische Haltung und politische Praxis (alles gleichzeitig!) zusammenzufassen, bei der die Marktlogik nur ›igitt‹ murmelt und gelangweilt gähnt«. Die soziale Frage der Gegenwart erfordert eine antidepressive Arbeit – so beschreibt die Schriftstellerin Paula Fürstenberg die Verbindung von Politik und Emotionen. Zärtlich und freudvoll der harmonisierenden Einheitsliebe, der leistungsfetischistischen Selbstoptimierung trotzen: Mit solchen Mitteln kann die Linke der rechten Empathieverweigerung und dem Erstarken des Faschismus etwas entgegensetzen.
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