Mona Sahlin warferst einmal das Handtuch
Wegen ihres laxen Umgangs mit Geld ist die Nachfolge für Schwedens Regierungschef Carlsson wieder offen
Von BIRGITTA LUNDELL, Stockholm
Noch in der Vorwoche schien alles klar: Schwedens künftige Regterungschefia heißt Mona Sahlin. Nun hat die Alleinanwärterin für die Nachfolge Ingvar Carlssons erst einmal das Handtuch geworfen: Momentan, so die Vize-Ministerpräsidentin, stehe sie nicht mehr als Kandidatin zur Verfügung.
In den letzten Tagen hatte Schwedens Presse eine regelrechte Hetzjagd auf die als hart im Nehmen bekannte 38jährige gestartet. Ein Druck, dem Mona Sahlin schließlich nicht länger standhalten konnte. Gestolpert ist sie über den nachlässigen Umgang mit Geld. Zwar hat sie nach eigenen und bislang nicht widerlegten Angaben keine Beträge veruntreut - „Ich schulde dem Staat keine einzige Krone“ -, aber wie die Zeitung Expressen enthüllte, mußte der Gerichtsvolli zieher seit- Begina -ider -SOer Jahre bei der gestreßten Mutter von drei Kindern mehrfach unbezahlte Rechnungen eintreiben. Darüber hinaus verwendete die Politikerin dienstliche Kreditkarten für private Zwecke - und die Rückzahlung ließ oftmals auf sich warten.
Wie die Staatsanwaltschaft Mitte der Woche bekanntgab, wird zur „Kreditkarten-Affäre“ nun eine Voruntersuchung eingeleitet. Die Klärung der Frage, ob die Vergehen Mona Sahlins als kriminelle Handlungen, z. B. Veruntreuung oder Betrug, einzustufen seien, wird voraussichtlich etwa einen Monat dauern. In der Öffentlichkeit gehen die Ansichten dazu auseinander. Eine Bagatelle, meinen nicht wenige; die Presse habe bei ihrer Enthüllungsjagd unlautere Mittel nicht ge-
scheut und den Blick für Proportionen getrübt.
In der Tat ist Sahlins Schuld im juristischen Sinne nicht erwiesen. In anderen Ländern sind politische Skandale von anderem Kaliber und die schwedische Aufregung um zu spät beglichene Mietwagen-Rechnungen nur Anlaß zu unverständigem Lächeln. Ganz abgesehen davon, daß der Einblick in derartige Papiere anderswo kaum so einfach sein dürfte - in Schweden macht's das ^ altbewährte ^ »öffentlich; keitspfirizip^.“piögUch. Man er-, innert aueb daran,-tiaß. Mona Sahlin als Kandidatin keineswegs unumstritten war, und fragt sich, aus welcher Ecke die Tips an Expressen kamen - das Blatt selbst will sie „aus Regierungskreisen“ erhalten haben. „Kämpfe weiter Mona, laß dich nicht unterkriegen“ solche Botschaften bekommt Sahlin nun vor allem von schwedischen Frauen.
Andere stellen allerdings die Frage, ob jemand mit so offensichtlichen privat-ökonomischen Schwierigkeiten an der Regierungsspitze nicht fehl am Platze sei. In guter Erinnerung hat man Mona Sahlins Aussage, sie fände es „toll, Steuern zu zahlen“, und ihre beinharte Verteidigung sozialdemokratischer Sparpolitik. Den Vor-
wurf, die Landsleute hätten über die eigenen Verhältnisse gelebt, darf Sahlin, mit einem für Schweden enormen Gehalt von 55 000 Kronen (etwa 11 000 DM) im Monat, nun auf sich beziehen.
Ihr langjähriger Förderer Ingvar Carlsson hat inzwischen sein „volles Vertrauen und seine Unterstützung“ für die mögliche Nachfolgerin beteuert. Noch also ist Sahlin, die ein erneutes Überdenken ihrer
Kandidatur für den Fall, „daß die Partei mich noch will“, in Betracht zieht, nicht wirklich aus dem Rennen. Carlsson hat ihren politischen Scharfsinn, ihr Verhandlungstalent und nicht zuletzt ihre Gabe gepriesen, Kompliziertes verständlich zu machen.
Zudem haben die Sozialdemokraten ein großes Problem: Mehrere denkbare Ministerpräsidenten-Kandidaten hatten in der Vergangenheit ab-
gelehnt. Sollte Mona Sahlin endgültig durchs Raster fallen, beginnt man wieder bei Punkt Null. Eine Schreckensvision für die momentan ohnehin geschwächte Partei - die Stichworte EU und Sozialsparpolitik lassen es unter Mitgliedern und Wählern brodeln. Eine einigende Gestalt scheint da vonnöten. Schon sind in der Presse Aufforderungen an Carlsson aufgetaucht, mit dem für März geplanten Rückzug „einfach noch zu warten“
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