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Wer hat geschwindelt: der Papst oder der Dichter?

  • GÜNTHER SCHWARRERG
  • Lesedauer: 6 Min.

Stimmen kann das nicht, was Thomas Mann in seinen Tagebüchern über den Besuch 1953 im Vatikan geschrieben hat: „Am Mittwoch den 29. April Spezial-Audienz bei Pius XII, rührendstes und stärkstes Erlebnis, das seltsam tief in mir fortwirkt. In den rotausgeschlagenen Vorzimmern Begegnung mit Hutchins und Mortimer Adler, die auf meinen Allein-Empfang warten mußten. Dieser im Stehen. Die weiße Gestalt des Papstes vor mich tretend. Bewegte Kniebeugung und Dank für die Gnade. Hielt lange meine Hand.“

So hat er es aufgeschrieben, und so steht es im zehnten Band der Tagebücher, der jetzt herausgekommen ist. Es ist der letzte. Er bricht ab mit den Worten „Soll heute etwas im Stuhl sitzen. - Verdauungssorgen und Plagen“ Das war am 29 Juli 1955 im Zürcher Kantonsspital. Zwei Wochen später ist er, am 12. August, an einer Venenblutung gestorben.

Die letzten anderthalb Jahre seines Lebens stehen hier aufgeschrieben. Ehrlich gibt er sein Bedürfnis nach versöhnender Anerkennung zu, nach all den Jahren der politischen

Gegnerschaft gegen die Nazis. Er sammelt Orden (Kreuz der französischen Ehrenlegion, italienischer Verdienstorden, Ordenskreuz von Oranje-Nassau, Friedensklasse des Pourle-Merit), Doktorhüte (Cambridge, Jena, Zürich), Preise (Accademia dei Lindei in Rom, Thomas-Mann-Spende der deutschen Länder), Ehrenbürgerschaften (Lübeck, Kilchberg) und Ehrenmitgliedschaften (Akademie der Wissenschaften in Berlin, Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt, Freie Akademie der Künste in Hamburg). Höhepunkt der Anerkennung seines Lebens und seines Werks ist für ihn der Empfang durch den Papst: „Kniete nicht vor einem Menschen und Politiker, sondern vor einem weißen geistlich milden Idol, das 2 abendländische Jahrtausende vergegenwärtigt.“ Er vergleicht sich, wie so oft, mit seinem Dichtervorbild: „Durch die Audienz im Stehen erinnert an Napoleon mit Goethe in Erfurt.“

Als er zurück ist, erzählt und schreibt er allen Freunden und Bekannten, Pius XII. habe ihm eine „Privat-Audienz“ gegeben, eine „Spezial-Audienz“

Niemand außer ihm sei dabei gewesen. Es sei - schreibt er an Alexander Moritz Frey -„ein Gespräch mit Pius XII. unter vier Augen“ gewesen. War es das wirklich? Anfrage an den Vatikan. Man antwortet mir: „In Beantwortung Ihres Briefes vom 3. April teilen wir mit, daß weder der .Oservatore Romano' noch die .Civiltä Cattolica' in dieser Zeit eine Audienz von Pius XII. für Thomas Mann erwähnen. Aus den Tagebüchern der Präfektur der Casa Pontificia geht hervor, daß dBr Papst in einer Generalaudienz am 29 April 1953 Thomas Mann zusammen mit wenigen anderen Personen empfangen hat. Eine dokumentarische Fotografie besitzen wir nicht.“

Also kein „Allein-Empfang“, keine „Privat-Audienz“ kein „Gespräch unter vier Augen“ Warum schreibt Thomas Mann so etwas? Was macht er sich vor? Und vor wem beging er seine „bewegte Kniebeugung“? Pius XII., Eugenio Pacelli, war durch seine Nähe zum Faschismus, dem italienischen, spanischen und deutschen, eine traurige Figur in der katholischen Kirchengeschichte.

Er sorgte als vatikanischer Außenminister nach Hitlers Machtergreifung für die außenpolitische Anerkennung der Nazis. Thomas Mann notierte am 14. 4. 33: „Goering beim Papst. Man empfängt ihn, man nimmt ihn alsob - Es ist ekelhaft. Die Rückkehr nach Deutschland, das Leben dort immer wieder unvorstellbar.“ Er, Pacelli, schloß mit Hitler im Juli 1933 das Konkordat. Er segnete die Faschistenkommandos, die in Spanien die Republikaner ermordeten. Er tolerierte Auschwitz. Gegen kein Verbrechen der Nazis rief er die Katholiken zum Widerstand auf - und Thomas Mann sah das alles. Selbst nachdem er vor diesem Papst sein Knie gebeugt hatte, sah er es. Er schrieb am 18. 5. 1954 an den Lyriker Victor Wittkowsky über Pius XII.. „Er hat an McCarthy telegraphiert und Franco den Christusorden verliehen - alles schlimm genug.“

Der Papst hatte Zweifel gehabt, ob er den „Kryptokommunisten“ Thomas Mann überhaupt empfangen sollte. Aber hätten das die katholischen „Zauberberg“-Verehrer akzeptiert? So half man sich

mit einer „Generalaudienz Thomas Mann schwindelte sich über diese Beleidigung mit dem „Gespräch unter vier Augen“ hinweg. Kein Wort in den Vatikanzeitungen, kein Bild. Aber Thomas Mann selbst verstand sich ja auf Public Relations. Er hatte Professor Raffaello Morghen, dem Kanzler der Accademia dei Lincei, seine Darstellung des Papst-Empfanges gegeben. Und der gab eine eigene Pressemeldung darüber heraus, so daß am 30. April 1953 in der „Gazzetta dei Popolo“ zu lesen war: „Thomas Mann wurde heute vormittag von Pius XII. empfangen. Der Schriftsteller erschien allein, pünktlich um 12 Uhr. Er wurde vom diensthabenden Kammerherrn, Monsignore Nasalli Rocca di Corneliano, in den ersten Saal der im zweiten Stock des Palazzo Apostilico gelegenen Privatbibliothek des Papstes geführt. Thomas Mann senkte dreimal das Haupt, ehe er vor den Heiligen Vater trat, der sich zu seiner Begrüßung erhoben hatte. - Das Gespräch zwischen dem Pontifex und dem Schriftsteller dauerte etwa eine Viertelstunde und war Gegenstand der offenkundigen

Neugier der an dem Zeremoniell Beteiligten, die, wie die gesamte kleine Welt des Vatikan, von den einzigartigen Vorkommnissen wußten, die dem Besuch vorausgegangen waren. - Einige Tage zuvor nämlich hatte das Büro des Kammerherrn - die für Empfänge beim Papst zuständige Stelle - mit Entschiedenheit verlauten lassen, daß die Audienz nicht gewährt werden würde: Nicht, weil der Schriftsteller kein Katholik sei, sondern wegen seines angeblichen Philokommunismus...“

Es war also auch nach diesem Bericht kein Gespräch unter vier Augen. Mindestens „die kleine Welt des Vatikan“ war dabei. Inge Jens kommentierte die letzten beiden Jahre des Dichters: „Nein, vormachen ließ sich Thomas Mann nichts - am wenigstens von sich selbst.“ Das darf man anzweifeln. Er machte sich vor, die Welt mit sich und sich mit der Welt versöhnen zu können, um ein unangefochtenes Werk zu hinterlassen. Er versöhnte sich mit seiner Vaterstadt Lübeck, die ihm zuvor nicht einmal zur Einweihung der wiederhergestellten Ma-

rienkirche „eine Einladung gegönnt“ habe, obwohl er für deren Wiederaufbau seine Honorare gespendet hatte. Zwei Jahre später, bei der Ehrenbürgerrede, ging er über die Antipathien, „die in Lübeck fort und fort gegen mich zu bestehen scheinen“, hinweg. Er versöhnte sich mit seinem ehemaligen Freund Ernst Bertram, der Nazi geworden war Selbst Herbert von Karajan, 1949 noch ein „unerträglicher Affe“, wurde für ihn nun zu einer Musik-Koryphäe. Und er feierte in einer Gedenkrede Gerhart Hauptmann, über den er in der Nazizeit geschrieben hatte: „Ich hasse diese Attrappe, die ich verherrlichen half.“

Er hätte es nicht nötig gehabt. Sein Werk war größer als der Papst, über dessen Format er eigentlich auch keinen Zweifel hatte, als er aufschrieb: „Begegnung im Vatikan, von deren rührender nachhältiger Bedeutung für mich der Papst sich wohl keine Vorstellung machte.“

Thomas Mann: Tagebücher 1953-1955. Herausgegeben von Inge Jens. S. Fischer Verlag Frankfurt/Main. 1056 S., Leinen, 128 DM.

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