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  • Politik
  • Beim SPD-Parteitag ging Lafontaine Kompromiß mit der Fraktion ein

Nein zu Tornados über Bosnien, aber mit der Option für ein Ja

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WOLFGANG HUBNER und WOLFGANG REX berichten aus dem Rosengarten in Mannheim Es soll noch einen Sonderparteitag der SPD zur Außenpolitik geben. Trotzdem bestanden Oskar Lafontaine und Heidemarie Wieczorek-Zeul darauf, daß der Mannheimer Parteitag eine Frage klarstellt. Die große Mehrheit der Partei sei nicht bereit, sich an Kampfeinsätzen der Bundeswehr zu beteiligen, sagte Lafontaine gestern in Mannheim.

Preissturz in einem Berliner Buchclub am Donnerstagnachmittag: Scharpings „Was tun?“ statt für 32,90 nun für 10 DM Fotos: dpa

Der neue SPD-Vorsitzende stand damit allerdings im Konflikt zumindest mit einem Teil der SPD-Fraktion im Bundestag. Der wollte die SPD auch für ein Ja zu Einsätzen von Tornado-Kampfflugzeugen in Bosnien bewegen. Den früheren Parteichef Rudolf Scharping hatten Außenpolitiker seiner Fraktion bereits gewonnen. Lafontaine wandte sich schon vor dem Parteitag dagegen und setzte in Mannheim nach einem SPD-Ja zur deutschen Beteiligung an Friedensmissionen in Bosnien den folgenden Satz durch: „Das schließt den Einsatz von Kampfflugzeugen (ECR-Tornados) aus.“

Eine große Mehrheit der Delegierten fand sich für ein Ja zu diesem Zusatz und ebenso für den gesamten Antrag zur Außenpolitik. Darin erklärt die SPD, daß sie auch die sogenannten Peace-Keeping-Einsätze der UNO unterstützen will. Gerade hier streiten sich Fachleute, ob solche Einsätze nicht auch in kriegerische Handlungen umschlagen können. Die SPD stellte einen reichen Katalog für ihre Bedingungen solcher „friedenserhaltender Einsätze“ zusammen. Vor einem Ja fordern die Sozialdemokraten, daß alle Konfliktparteien zustimmen. Die UNO-Soldaten dürften nur defensiv bewaffnet sein und keine Tarnung verwenden. Nicht die NATO, sondern der UNO-Generalsekretär sollte diese Einheiten befehlen und deren Ei'nsatzkonzeptiön ausarbeiten. , ,';

Karsten Voigt, Abgeordneter im Bundestag, wandte sich gegen solche einschränkende Position. Gegen Brandts Ostpolitik seien allein CDU/CSU und Albanien gewesen. Heute stimmten allein die amerikanische Rechte und die SPD gegen UNO-Einsätze ohne Bedingungen. Voigt sagte weiter, daß die deutsche Politik keinen Sonderweg formulieren dürfe. Es gebe zwar spezifische deutsche Beiträge für eine Friedenspolitik, aber eben keinen Sonderweg. Ähnlich äußerte sich auch Markus Meckel, der letzte Außenminister der DDR. Er sei in der DDR totaler Wehrdienstverweigerer gewesen. Es gehe jetzt aber um das Recht, da müsse es auch das Recht auf Sanktionen geben. Rudolf Scharping sprach von Schwierigkeiten der Bundestagsfrak-

tion, wenn sie von der Gesamtpartei Haltungen vorgeschrieben bekäme. Es sei Prinzip der SPD, ihren Beitrag im Rahmen kollektiver Sicherheit zu leisten. Man dürfe sich aber nicht in kriegerische Handlun-

gen hineinziehen lassen. Auf der anderen Seite müsse man helfen, wenn es um die Sicherung des Friedens geht. Damit meinte Scharping den von den Regierungsparteien angebotenen Bundeswehreinsatz in Bosnien nach einem Friedensschluß der Konfliktparteien. Da mußte sich Oskar Lafontaine zu einem weiteren Kompromiß bereitfinden. Die Bundestagsfraktion stimme diesem Einsatz grundsätzlich zu, vereinbarte er mit Scharping. Die Abstimmung darüber erfolge aber erst, wenn die Einsatzpläne der Bundesregierung vorlägen.

Damit wird frühestens im nächsten Jahr gerechnet. Lafontaine sagte, er wolle sich trotzdem in den nächsten Tagen um ein Gespräch beim Bundeskanzler zu diesem Thema bemühen.

Am Donnerstag kurz vor Mitternacht hatte sich der Parteitag noch für ein Einwanderungsgesetz eingesetzt. Ein Teil der Parteispitze hatte vor dem Parteitag entschieden, darauf zu verzichten. Nun lautet der Auftrag, Quoten und Bedingungen für Einwanderer vorzulegen, die nicht politi-

sches Asyl suchen. Außerdem möchte die SPD für lange in dieser Republik lebende ausländische Mitbürger eine Einbürgerung erleichtern.

Angenommen wurde ein Antrag zur Europäischen Union. Darin steht: „Die europäische Währung ist ein Gewinn für die europäische Wirtschaft.“ Mit diesem Satz wollen die Sozialdemokraten „unglückliche Äußerungen“ aus eigenen Reihen berichtigen. Ohne deren Namen zu nennen, wurde dabei auf Scharping und Schröder angespielt, die einen Gegensatz zwischen stabiler

D-Mark und einer europäischen Währung gesehen hatten. Die Währungsunion ließe sich nicht gegen kollektive Ängste durchsetzen, hieß es in der Debatte. Es gelte also, solche Ängste abzubauen anstatt ihnen nachzulaufen.

Angesichts der eigenen Misere konnte die SPD diesmal nicht so tun, als existiere die PDS nicht. Gespräche mit der PDS bleiben trotzdem umstritten. So bat Markus Meckel ausdrücklich, keine Gespräche mit Gysi zu führen. Der frühere Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel setzte sich dagegen für Gespräche ein. Dabei sollten aber Identität der SPD und deren Standpunkte bewahrt bleiben. Hessens Ministerpräsident Hans Eichel hielt Gespräche mit der PDS für eine normale Sache, über Koalitionen müßten die Genossen im Ostfin RntsnhfiiHen

Einige interessante und zum Teil nicht erwartete Ergebnisse gab es bei den Wahlen für den restlichen Parteivorstand. Im ersten Wahlgang schnitten drei ostdeutsche Kandidaten mit den besten Ergebnissen ab. Von einem großen Teil der Delegierten wurde das Wahlergebnis von Regine Hildebrandt, Ministerin in Brandenburg, bejubelt. 464 von 520 Delegierten stimmten für sie. Großer Beifall auch für Reinhard Höppner. Der Ministerpräsident aus Sachsen-Anhalt hatte als erster den Mut gehabt, das von CDU/CSU vorgeschriebene Berührungsverbot mit der PDS zu durchbrechen. Höppner bekam 438 Stimmen, Manfred Stolpe als drittbester 383. Dem Verlierer dieses Parteitages, dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, erteilten die Delegierten im ersten Wahlgang einen Denkzettel. Er verfehlte mit-20 Stimmen die notwendige ? Mehrheit, bekam dann aber im zweiten Wahlgang 303 Stimmen. Auch Hans Eichel, Ministerpräsident in Hessen, brauchte den zweiten Wahlgang für den Sprung in den Parteivorstand.

Die Ostberknenn Angelika Barbe fiel dagegen in beiden Wahlgängen mit Pauken und Trompeten durch. Sie hatte leidenschaftlich gegen jegliche Gespräche mit der PDS geredet. Frau Barbe erhielt im ersten Wahlgang nur 107 Stimmen, im zweiten rutschte sie sogar auf 51 Stimmen ab. Mit Thomas Westphal, dem früheren Juso-Vorsitzenden, scheiterte ein Vertreter der jungen Parteilinken. Auch andere junge Kandidaten fielen durch. Damit ist die von Scharping ohnehin nur halbherzig angekündigte Verjüngung des Parteivorstandes gescheitert.

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