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  • Politik
  • AUSLÄNDER IN DEUTSCHLAND: Pflegenotstand der 60er Jahre war das Tor für Tausende KOREANERINNEN

„Mandeläugige Engel“ gewannen Selbstvertrauen

  • ANNE-KATREIN BECKER
  • Lesedauer: 4 Min.

„Hier in Deutschland steht ständig das ,Ich' im Mittelpunkt. Die Erziehung in Korea ist dagegen auf Anpassung in der streng hierarchisch organisierten Gruppe orientiert. So .mußten wir lernen, an uns selbst zu denken und unsere Interessen zu vertreten“, sagt Sunok Schulz, die vor über 20 Jahren als junge Krankenschwester nach Deutschland kam. In der damaligen BRD herrschte Mitte der 60er Jahre Pflegenotstand im medizinischen Bereich, rund 50 000 Stellen waren nicht besetzt. Da kam es sehr gelegen, daß die südkoreanische Regierung auf das Angebot, ausgebildete Krankenschwestern nach Deutschland zu entsenden, gern einging. Zu der Zeit gab es im südlichen Teil der koreanischen Halbinsel eine hör he Arbeitslosigkeit, und die Löhne waren sehr gering.

Die Werbetrommel, die sowohl für den Einsatz in deutschen Krankenhäusern als auch für die Arbeit in deutschen Bergwerken gerührt wurde, hatte vollen Erfolg. Viele wollten einfach ihre Familien finanziell unterstützen, die unter oft miserablen Bedingungen in Südkorea lebten. Von den 600 DM, die die Krankenschwestern in der -Anfangszeit nach Abzug der Miete für das Schwesternwohnheim

und Verpflegung im Monat ausgezahlt bekamen, schickten alle mindestens zwei Drittel nach Hause.

Sie wollten in der Heimat die Gebühren für den Schulbesuch oder das Studium der Brüder finanzieren oder auch die Familie generell unterstützen. Der familiäre Zusammenhalt, das „Wir-Denken“ war dabei bestimmend.

Beliebt waren die „mandeläugigen Engel“, wie sie damals oft in den Medien bezeichnet wurden, sehr schnell bei Patienten wie auch bei deutschen Schwestern und Ärzten. Ihr Fleiß, die gleichbleibende Freundlichkeit und ihre Bescheidenheit waren sprichwörtlich. Dabei machte sich aber wohl kaum einer der Deutschen Gedanken über die

Befindlichkeit seiner ausländischen Kollegin. Die war nämlich in einer konfuzianisch geprägten Gesellschaft groß geworden, in der Konflikte nicht offen, auch nicht verbal ausgetragen werden. Das führte dazu, daß viele anfangs ihre Interessen nicht stark genug vertreten konnten, was auch Benachteiligungen in der Arbeit mit sich brachte und zum Teil von deutschen Kolleginnen ausgenutzt wurde.

„Unsere Arbeit in den Krankenhäusern kann als Entwicklungshilfe für das bundesdeutsche Gesundheitswesen bezeichnet werden, obwohl es offiziell hieß, daß Deutschland mit diesem Einsatz von Krankenschwestern Entwicklungshilfe leisten wolle“, sagt eine ehemalige Schwester. Weiter-

entwickelt hatten sie sich in ihrem Beruf keineswegs, da die koreanische Krankenschwester eine wesentlich höhere Qualifikation hatte als eine deutsche. Nach dem Abitur gehörte in Korea ein vierjähriges Studium zur Ausbildung.

Den zunächst für drei Jahre befristeten Arbeitsvertrag verlängerten viele, da sie bei ihrer Rückkehr nach Südkorea keine Arbeitschancen sahen. Vor einer Rückkehr hatten viele auch deswegen Befürchtungen, weil sie inzwischen „zu alt“ waren, um in Korea einen Mann zu finden. Zudem war die öffent-. liehe Meinung damals in Südkorea über das „freie Leben“ der Frauen in Europa äußerst negativ So entschloß sich etwa die Hälfte der Krankenschwestern, in Deutschland zu blei-

ben und hier mit Deutschen oder Koreanern Familien zu gründen.

Im Unterschied zu heutigen Praktiken der Ausländerpolitik hatten sie in den siebziger Jahren noch die Chance, mittels Protestaktionen die unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Es war im übrigen das erste Mal, daß sich ausländische Frauen in Deutschland in dieser Art politisch engagiert haben. Das war auch beredtes Zeichen dafür, daß die koreanischen Frauen ihre Interessen nun erfolgreich selbst vertreten konnten. Selbstbewußt haben sie sich im Bundesgebiet und in Berlin in zahlreichen Organisationen zusammengeschlossen.

Einige von ihnen sind bereits im Rentenalter An eine Rückkehr können sie jetzt kaum mehr denken, denn inzwischen sind ihre Kinder hier aufgewachsen, fühlen sich mehr als Deutsche denn als Koreaner. Ihre Zukunft betrachten manche dennoch mit Sorge, denn „in Deutschland erleben wir gerade auch durch unsere Arbeit, wie einsam alte Menschen hier sind“, meint Ok Shu-Eoh, Schwester auf einer Berliner Sozialstation. Sie findet es traurig, daß hier jeder nur für sich lebt. Doch den Traum von der Geborgenheit in der traditionellen koreanischen Familie hat sie sich bewahrt.

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