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- HEINZ LIPPMANN - PORTRAT EINES STELLVERTRETERS
Das Geheimnis um einen „Verräter“ gelüftet
die erste westdeutsche Honekker-Biographie, die Lippmann 1971 in Köln herausgab, stellte der SED-Chef sogar Materialien zur Verfügung. Als er 1974 schließlich von Lippmanns Tod erfuhr, zeigte er sich ungewöhnlich betroffen.
Viele neue Einsichten verschafft die nun vorliegende Biographie über den Verfemten, vorgelegt von einem ostdeutschen Historiker, der sich seit einigen Jahren intensiv um Aufklärung bemüht, der zahllose schriftliche und mündliche Quellen erschlossen hat und der mit viel Geschick ein detailliertes Lebensbild zeichnet. Eine lesenswerte, manchmal sogar aufregende Darstellung ist entstanden, die der Dietz Verlag dankenswerterweise in seiner inzwischen anerkannten Biographienreihe publizierte. Das Vorwort schrieb der Mannheimer Kommunismus-Forscher Hermann Weber, der Lippmann zu Westzeiten
MichaelHerms: Heinz Lippmann. Porträt eines Stellvertreters. Dietz Verlag. Berlin 1996. 320 S., Abb., geb., 38 DM.
schätzen lernte und der in eine differenzierte Sicht auf die Persönlichkeit des Honecker-Stellvertreters und späteren DDR-Experten einführt.
Dem Autor Michael Herms ist es zu danken, wenn die interessierte Öffentlichkeit nun einiges über grundsätzliche Prägungen von Heinz Lippmann erfährt. Mit Hilfe des Auschwitz-Archives konnte er die Leidensgeschichte des jungen Heinz Lippmann darstellen, der aufgrund seiner jüdischen Herkunft drei Jahre lang in der Hölle von Konzentrationslagern zubringen mußte und der dort die lebenserhaltende Hilfe von Kommunisten erfuhr, was zu den persönlichen Weichenstellungen für die unmittelbare Nachkriegszeit führte. Auch
Der Stand der Erforschung der Geschichte des Politbüros verhält sich umgekehrt proportional zur Häufigkeit der Schlagzeilen über das SED-Führungsgremium. Das hat verschiedene Gründe. Zum einen hat die von der westdeutschen Justiz bevorzugte „Aufarbeitung“ der DDR-Geschichte mit den Mitteln des Strafrechts Blockaden geschaffen und von einer seriösen historisch-kritischen Analyse abgelenkt. Zum anderen haben Politbüromitglieder, die sich zur Geschichte der SED und der DDR sowie zu ihrer persönlichen Verantwortung geäußert haben, bisher wenig in die Tiefe gelotet und kaum überraschende Offenbarungen geboten.
Der, dessen Bekenntnisse nun, erst nach seinem Tode, zu lesen sind, zeigt einige bemerkenswerte Einsichten. Hermann Axen, geboren vor 80 Jahren, am 6. März 1916, gestorben am 15. Februar 1992, wurde zu seiner Vita von Harald Neubert, einem exzellenten Kenner der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung, befragt. Man merkt, daß hier in schmerzlich selbstkritischer Analyse gewonnene Erkenntnisse formu-
anderes mag sich daraus erklären: Lippmanns Versuche, die „verlorene Jugend“ zurückzugewinnen, seine lockere Einstellung zum Geld...
Über die FDJ-Karriere Lippmanns weiß man. Sein Aufstiegverlief rasch. Er hatte dies den dafür wichtigsten Eigenschaften, die er aufwies, zu verdanken: Organisationstalent, Einsatzwillen, Überzeugungsvermögen. Besondere Verantwortung trug er seit 1949 für die Westarbeit des Jugendverbandes. 1952 wurde er 2. Sekretär des Zentralrates und übernahm weitere Funktionen. Um so überraschender und förmlich ein Trauma unter seinen Kollegen auslösend war seine Flucht im September 1953 in den Westen. Herms führt eine ganze Reihe von Gründen an. Die Parteisäuberungen sowohl in Osteuropa und in der DDR gingen nicht spurlos an ihm vorüber Sein Mentor Franz Dahlem war im
Mai 1953 im Zusammenhang mit der Slansky-Affäre kaltgestellt worden. Er verspürte bei einigen Kader- und Organisations-Entscheidungen ein zunehmendes Mißtrauen gegenüber seiner Person. Schließlich hatte er eine fehlerhafte Angabe im Parteifragebogen gemacht. Er fürchtete Entlarvung und hatte Angst vor erneuter Haft.
Lippmann geriet nach seiner Flucht in die Fänge des westdeutschen Verfassungsschutzes und fungierte 1955 als Zeuge der Anklage im Prozeß gegen die KPD-Funktionäre Angenfort und Seiffert. Die unverhohlenen, andauernden Interessen der Geheimdienste in Ost und West verunsicherten den Neu-Bundesbürger. Hans Modrow traf den Renegaten bei den Weltjugendfestspielen 1959 in Wien und mußte „klassenbewußt“ reagieren: Mit einem Verräter durfte er nichts zu tun haben. Heinz Lippmann
selbst kam mit dem Alltag im Westen nur mühsam zurecht. Er engagierte sich im linken sozialdemokratischen Spektrum vor allem mit publizistischer Tätigkeit. Bei ihm dominierten Vorstellungen von einem demokratischen Sozialismus. Aufmerksam beobachtete er die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR. Mit Hilfe von Freunden bekam er nach jahrelanger Isolierung endlich Aufträge und gelangte schließlich als freier Mitarbeiter zur „Deutschen Welle“ Am Ende der sechziger Jahre, im Umfeld der neuen Ostpolitik, wurden seine Arbeiten stärker anerkannt. Seine Honecker-Biographie blieb von Wert. In den persönlichen Angelegenheiten hatte er weiterhin große Schwierigkeiten. Die labile Gesundheit ließ ihn nur 52 Jahre alt werden. Am 11. August 1974 starb Heinz Lippmann an Herzversagen.
GERD-RUDIGER STEPHAN
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