Jenas Roter Turm Fall für Gerichtshof in Luxemburg
Klage aus Thüringer PDS-Fraktion: Einhaltung von EU-Arbeitsschutz-Richtlinien hätte Einsturz verhindert
Archivfoto vom Roten Turm in der Jenaer Innenstadt
Foto: ZB/Kasper
Von PETER LIEBERS, Gera
Der Einsturz des Roten Turms in Jena am 7 August vorigen Jahres wird zu einem Fäll für den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dem Generalsekretariat der EU-Kommission wurde jetzt eine Beschwerde des europapolitischen Sprechers der PDS-Fraktion im Thüringer Landtag, Günter Harrer, als Klage zugeleitet. Darin kritisiert der Abgeordnete und vormalige DGB-Rechtsreferent die Nichteinhaltung europäischer Arbeitsschutz-Richtlinien. Die EU-Kommission bestätigte inzwischen diese Rechtsauffassung.
Wie Harrer gegenüber ND erklärte, liegt das Hauptversäumnis darin, daß zum Beispiel die Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und die 8. Einzelrichtlinie Baustelle der EU bis heute nicht in nationales Recht umgesetzt sind. Wäre das geschehen, hätte in Jena schon bei den Planungen ein Sicherheitskoordinator eingesetzt werden müssen. Die Geraer Staatsanwaltschaft bestätigte auf ND-Nachfrage, daß die Klage Bestandteil der Ermittlungen wird.
Sollte sich Harrers Rechtsstandpunkt durchsetzen, dürfte die Bauschlamperei von Jena eine teure Angelegenheit für die Staatskasse werden. Nach Auffassung der EU-Kommis-
sion haftet der Staat infolge der Verletzung des EU-Rechts. Die Ansprüche müssen allerdings vor nationalen Gerichten erstritten werden.
Beim Einsturz des Roten Turms waren vier Bauarbeiter getötet und vier weitere verletzt worden. Ein Zwischenbericht der Staatsanwaltschaft hatte Ende vorigen Jahres deutlich gemacht, daß die Unglücksursache offenbar in Mängeln in der Statik, in schlampiger Bauausführung und mangelhafter Bauüberwachung zu suchen ist. Damit wurden Vermutungen bestätigt, die Bauexperten unmittelbar nach dem Unglück geäußert hatten.
Das jahrhundertealte Mauerwerk war dem Druck tonnenschwerer Betondecken nicht gewachsen, die in den zuvor „entkernten“ Turm eingefügt worden waren. Der Einsturz sei „auf ein stoffliches Versagen der Außenwand infolge Uberbelastung zurückzuführen,“ heißt es in dem Bericht. Nach Ansicht der Ermittlungsbehörde hätte spätestens bei den Stemmarbeiten auffallen müssen, daß der Turm aus einem Mischmauerwerk von geringer Druckfestigkeit und nicht, wie ursprünglich angenommen, aus einem homogenen Mauerwerk von gebrannten Ziegeln bestanden habe. Zu allem Überfluß wurden beim Austausch
von Fensterwandungen und Mauerwerksimsen tragende Mauerwerkteile entfernt. Diese Erkenntnisse führten dazu, daß die Staatsanwaltschaft derzeit gegen drei Personen er-
mittelt. Ihnen wird Mitverantwortung für das Baustellenunglück angelastet.
Das einzige, was von dem denkmalgeschützten Bauwerk übrig blieb, ist der Sockel eines
1430 entstandenen Wehrturmes. Er war Bestandteil der Stadtmauer, und auf diesem Sockel war Mitte des 19 Jahrhunderts der Rote Turm aus Klinkern errichtet worden.
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