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  • Politik
  • Brigitte Reimann: Enthüllungen, die keine sind, passend zum Sommerloch

Wie Gerüchte entstehen

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 6 Min.

Für Freunde und Bekannte der Brigitte Reimann war es sowieso kein Geheimnis. Eigentlich kann es jeder wissen, der ihren Briefwechsel mit Christa Wolf »Sei gegrüßt und lebe« (Aufbau-Verlag 1993, oder jüngst im Aufbau Taschenbuch Verlag) aufmerksam gelesen hat. Was dort in den Anmerkungen auf Seite 183 kurz beschrieben ist, daraus machte der »Nordkurier« (ehemals SED-Bezirksorgan »Freie Erde«, jetzt im Besitz von Springer und zwei CSU-nahen Blättern) nun die passende Mediensensation fürs »Sommerloch«: »Brigitte Reimanns verdrängte Liaison mit der Stasi«. Und wer es bis jetzt noch nicht wußte, erfährt es hier: Im September 1957, da war sie 24 Jahre alt, hat sich Brigitte Reimann tatsächlich einmal bereiterklärt, mit dem MfS zusammenzuarbeiten. »Aus der Erkenntnis und der Überzeugung, einer guten Sache zu dienen«, wie der Autor des Artikels, Frank Wilhelm, aus ihrer Akte zitiert, wohl auch unter Druck, wie er hinzufügt. Denn Brigitte Reimann versuchte, auf diese Weise ihrem ersten Ehemann zu helfen, der wegen tätlicher Übergriffe auf die Staatsgewalt verhaftet worden war.

Im übrigen hat sie diese Zusammenarbeit schon ein halbes Jahr später wieder beendet, wie sich hier (und im Band »Sei gegrüßt und lebe«) nachlesen läßt, nicht zuletzt dadurch, daß sie sich »dekonspirierte«, das heißt, mit Schriftstellerkollegen über diese Kontakte sprach. »Der schicksalhafte Übergang von der konspirativen Beobachterin zur Beob-

achteten war fließend«, schreibt Frank Wilhelm. »Ihre Opferakte beginnt 1960 in Hoyerswerda. Aber erst, als sie 1970 schon zwei Jahre in Neubrandenburg wohnte, erregte sie größere Aufmerksamkeit in der Bezirksverwaltung des MfS in Neustrelitz. Oberleutnant J. legte über sie eine Operative Vorlaufakte (OVA) mit dem Geheimcode >Denker< an.«

Das Dilemma des Journalisten, von dem Enthüllungen verlangt werden: Er sollte sich an die Fakten halten, die meist so banal und widersprüchlich sind, wie sein Artikel keinesfalls sein darf. Zweifellos sind die eigentümlichen Verstrikkungen - und deutlichen Entgegensetzungen - von Kunst und Macht in der DDR (es handelt sich da ja nicht nur um das MfS) ein Thema, über das noch lange sehr tiefgründig nachgedacht werden müßte. Aber dazu bedarf es differenzierter Erforschung von Zusammenhängen allein zum Zwecke der Erkenntnis und auf jeden Fall ohne Effekthascherei.

Frank Wilhelm macht gleich zu Beginn des Artikels klar, was klarzustellen seine Absicht ist: Brigitte Reimann, »die >ewig dekadente< Schriftstellerin« werde bis heute »mit einer zweifelhaft oppositionellen Aura versehen«. Also, liebe Leser, die ihr diese Autorin mochtet, begreift, wie ihr euch getäuscht habt! Von wegen oppositionell. - Doch diese Masche zieht nicht mehr. Inzwischen weiß doch jeder-Die Stasiklatsche trifft vornehmlich die oppositionellen Geister, diejenigen, mit denen sich in der DDR Hoffnungen verbanden und aus denen auch heute vielleicht ein Stück Ostidentität erwächst. Mir fällt hier sofort Christa Wolf ein, doch lassen sich noch viele Namen nennen.

Wer höchsten Respekt verdient, so

scheint's, wird am liebsten in den Dreck getreten. Der ganzseitige Artikel im »Nordkurier« ist geschickt aufgemacht: großes Bild einer schönen Frau, eingeblockt biographische Erläuterungen und Zwischenzeilen, die Interesse anheizen. Da ist in Großschrift von IM »Caterine«

die Rede, im Artikel selbst, wenn aus der Akte zitiert wird, allerdings von GI. Aus »gesellschaftlicher Informant« wurde kurzerhand »informeller Mitarbeiter«. Doch dies ist nur ein Detail.

Aus dem halben Jahr 1957/58 ließ sich ohnehin kaum ein Sensationsartikel machen. So prüfte der Redakteur auch Brigitte Reimanns »Opferakte«. Enttäuscht (oder erfreut, weil's zu seinem Anliegen paßte) stellt er fest: »Fundamental-Opposition konnte das MfS von Brigitte Reimann aber auch in dieser Zeit nicht erwarten.«

Ach, diese späte Sehnsucht nach dem Fundamentalen! Die DDR-Opposition wurde einst in der BRD gehätschelt und wird jetzt beschimpft, sie sei nicht oppositionell genug gewesen. Wie stellt man sich denn eine »Fundamental-Opposition« für damals vor? Müßige Frage. Wie wünscht man sie sich heute? Sollte es in den Feuilletons tatsächlich so viele RAF-Sympathisanten geben? Aber das führt zu weit. Das geht .schon einen anderen Geheimdienst an. Welcher Staat hat keinen?

Doch zurück in die Provinz; Der »Nordkurier« ist weiter südlich nicht so bekannt, aber dpa machte's möglich, daß nun das ganze Land davon weiß. Frank Wilhelm hatte in seinem Artikel vorsichtig die Vermutung geäußert, nach dem Tode von Brigitte Reimann könnte das MfS auf die Veröffentlichung des Romanfragments »Franziska Linkerhand« Einfluß genommen haben. In großgedruckter Zwischenzeile wird daraus bereits eine Feststellung: »Wie mit Hilfe der Stasi ein unvollendeter Roman ideologisch richtig zu Ende geschrieben wurde«. Und dpa setzte noch eins drauf mit dem Versuch, die unbewiesene Feststellung zu widerlegen: Das Buch sei »nach Darstellung des Reimann-Archivs in Neubrandenburg nicht entscheidend von der Stasi umgeschrieben worden«, hieß es in der Meldung. Und weiter: >»Die These, das Buch könne nicht mehr uneingeschränkt als das Werk von Reimann gelten, halte ich für kühn<, sagte die Geschäftsführerin des Literaturzentrums, Heide Hampel, am Mittwoch der dpa.«

So entstehen Gerüchte; »Zu Ende geschrieben« wurde Brigitte Reimanns Roman bekanntlich nicht. Der Tod riß die Autorin aus ihrer zehnjährigen Arbeit an dem Manuskript. Ihr damaliger Lektor im Verlag Neues Leben, Walter Lewerenz, weiß von einem schwierigen Schaffensprozeß zu berichten, auch von geplanten Veränderungen am Text, die die Schriftstellerin selbst nicht mehr ausführen konnte - und die auch niemand anderes für sie ausgeführt hat. In dem Artikel von Frank Wilhelm ist von strittigen Passagen im 13. Kapitel die Rede. Ermutigt durch die Hager-Rede auf dem 6. Plenum, habe Brigitte Reimann hier alles hineinbringen

wollen, was sie von Loest und Kunze wußte, erinnert sich Walter Lewerenz. Aber die Figur des Ben Trojanowicz vertrug eine solche Stoff-Fülle nicht. Darüber sei man sich einig gewesen. »Es ging hier nicht so sehr um ideologische, sondern vor allem auch um literarische Einwände. Man kann doch heute nicht alles in der Lektoren-Arbeit darauf zurückführen, daß wir Angst vor der Druckgenehmigungsstelle gehabt hätten. Ich hatte das Vertrauen der Autorin und habe in ihrem Sinne gehandelt. Da ist keine Stasi zu mir gekommen, und auch von meinem Verlagsdirektor, Hans Bentzien, habe ich nicht irgendwelche Anweisungen erhalten, und das Buch ist ja dann auch recht schnell herausgekommen. >Von wenigen vorsichtigen Kürzungen abgesehen, wurde das Manuskript, das die Autorin hinterlassen hat, unverändert zum Druck gegeben<, so steht es im Nachsatz, und das stimmt.«

Nicht mehr also als normale Lektorierung eines Manuskripts? Das könne man auch wieder nicht sagen, so Walter Lewerenz. Mit der Autorin zusammen hätte man mehr am Text gearbeitet. Und au-ßerdem fehlte der Schluß. Aber den hat nicht etwa der Lektor hinzugeschrieben oder gar die Stasi. »Uns kamen da handschriftliche Aufzeichnungen zu Hilfe, die uns ihr letzter Mann, Dr. Rudolf Burgarzt, brachte. In dieser Kladde stand auch der Satz, der dem ganzen Buch noch jene erregende Perspektive gab: >Es muß, es muß sie geben, die kluge Synthese zwischen Heute und Morgen, zwischen tristem Blockbau und heiter lebendiger Straße, zwischen dem Notwendigen und dem Schönen, und ich bin ihr auf der Spur, hochmütig und ach, wie oft, zaghaft, und eines Tages werde ich sie finden..^«

Eine Künstlerin, die sich mit Begrenzungen nicht abfinden konnte, nicht im Politischen, nicht im Literarischen und schon lange nicht in ihrem persönlichen Leben, eine Frau, ungestüm und verletzlich - so liebten sie ihre Leser. Sie muß nun nicht mehr lesen, was über sie geschrieben steht. Aber bekanntlich ist auch die Rücksicht gegenüber lebenden Menschen gering, wenn es den Medien um Sensationen geht.

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