Union, SPD und AfD versagen Geflüchteten das Recht auf Familie

Bundestag beschließt Gesetz, das Aussetzung des sogenannten Familiennachzugs für zwei Jahre festlegt

Als Familie zusammenzuleben, ist ein Grundrecht in Deutschland. Für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus galt es ohnehin eingeschränkt – nun dürfen sie ihre Kinder, Eltern oder Ehepartner zwei Jahre lang gar nicht mehr zu sich holen.
Als Familie zusammenzuleben, ist ein Grundrecht in Deutschland. Für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus galt es ohnehin eingeschränkt – nun dürfen sie ihre Kinder, Eltern oder Ehepartner zwei Jahre lang gar nicht mehr zu sich holen.

Für Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) ist der Beschluss des Bundestages vom Freitag ein großer Erfolg: Mit der Aussetzung des sogenannten Familiennachzugs für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus kämen ab sofort jedes Jahr 12 000 Menschen weniger nach Deutschland. Die Kommunen würden also in Sachen Versorgung und Integration »entlastet«.

Konkret entschieden die Abgeordneten von CDU/CSU, SPD und AfD, dass Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus ihre Kinder, Ehepartner*innen oder Eltern nicht mehr zu sich holen dürfen. Zwei Jahre lang – »zunächst«. Dieses Verbot, mit den Liebsten zusammenzuleben, galt schon einmal für zwei Jahre, von 2016 bis 2018. Anschließend wurde eine Kontingentregelung geschaffen, die es zum Beispiel Kriegsflüchtlingen aus Syrien ermöglichte, den Nachzug ihrer engsten Angehörigen zu beantragen. Danach durften aber monatlich nur bis zu 1000 Personen einreisen, insgesamt also die erwähnten 12 000 pro Jahr. Dieses Kontingent wurde aber nie ausgeschöpft, weil die bürokratischen Hürden sehr hoch waren.

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Das Gesetz aus dem Hause Dobrindt erhielt 444 Ja- und 135 Nein-Stimmen. Es gab keine Enthaltung. Bei der SPD gab es lediglich zwei Nein-Stimmen. Sie kamen von den Abgeordneten Hakan Demir und Maja Wallstein. Grüne und Linke stimmten geschlossen dagegen.

Dobrindt begründete die weitere Entrechtung Geflüchteter in der Debatte noch einmal damit, dass die Belastbarkeit des deutschen Sozialsystems, des Bildungswesens, des Betreuungssystems und des Wohnungsmarktes Grenzen habe. »Deswegen muss auch der Zuzug nach Deutschland eine Grenze kennen, und die bilden wir politisch ab.«

Die bisherige Nachzugsregelung sei ein »Pull-Faktor« gewesen, der Menschen nach Deutschland gezogen habe, behauptete der CSU-Politiker weiter. Wenn ein Flüchtling es ohne Asylanspruch nach Deutschland geschafft habe, »dann kann die ganze Familie nachziehen«. Dies habe ein »Geschäftsmodell krimineller Banden« im Schleppergewerbe genährt, das nun »zerschlagen« werde.

Dobrindts Rede wurde von Zwischenrufen der Opposition begleitet. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) erteilte dem Linke-Abgeordneten Luigi Pantisano einen Ordnungsruf, weil dieser den Innenminister in Zwischenrufen der »Lüge« bezichtigt hatte.

Clara Bünger, Expertin für Flucht und Migration der Linken, kritisierte das Gesetz in ihrer Plenarrede als »grausame Symbolpolitik auf dem Rücken der Schwächsten«. Der Familiennachzug sei »heute eine der letzten legalen Möglichkeiten, überhaupt noch Schutz in Deutschland zu finden«. »Wer diesen Weg versperrt, zwingt Familien auf Fluchtrouten, die tödlicher und gefährlicher denn je sind«, sagte die Linke-Abgeordnete. Schon heute, so Bünger, dauere ein Familiennachzugsverfahren vier bis fünf Jahre. Die von der Regierungskoalition beschlossene Härtefallregelung werde in der Praxis kaum jemandem helfen, das hätten Experten in einer Anhörung im Bundestag einhellig betont, so die Politikerin.

Der Grünen-Abgeordnete Marcel Emmerich kritisierte das Gesetz als »Angriff auf das Herzstück jeder Gesellschaft, auf die Familie«. Das Gesetz sei »unbarmherzig« und bedeute Leid »für Kinder, die ihre Eltern nicht sehen können, für Ehepartner, die sich nur über Bildschirme begrüßen können«.

Am Vorabend der Abstimmung hatten noch einmal rund 200 Menschen am Reichstagsgebäude gegen die Maßnahme demonstriert, die meisten von ihnen Betroffene. Einer von ihnen: Ali Al-Matar, der vor gut drei Jahren aus Ostsyrien nach Deutschland kam. Seine Töchter sind fünf und drei Jahre alt, die jüngere hat er bisher nie in die Arme schließen können. Dies, obwohl er bereits kurz nach seiner Einreise einen Antrag auf Familiennachzug gestellt hat. Nun gehe ihm der Sinn all dessen verloren, was er bisher auf sich genommen habe, um einerseits für seine Liebsten zu sorgen und andererseits, um sie eines Tages zu sich holen zu können, sagte der junge Mann dem Deutschlandfunk.

Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, erklärte am Freitag: »Heute hat der Bundestag nicht nur ein Gesetz verabschiedet. Er hat Tausenden Menschen bewusst weitere Jahre Trennung und Leid auferlegt. Das ist kein politischer Kompromiss, das ist ein Bruch mit humanitären Werten und dem Grundrecht auf Familie sowie eine Missachtung des Kindeswohls.« Betroffen von dem Einreiseverbot seien insbesondere Frauen und Kinder, denen einer der letzten sicheren Fluchtwege genommen werde, hatte Alaows bereits am Donnerstag auf der Kundgebung in Berlin betont.

Er machte zudem darauf aufmerksam, dass das Gesetz auch für die vielen Menschen gelten soll, die seit Langem die Aufnahme ihrer Angehörigen beantragt haben. Dies verstoße gegen das Rückwirkungsverbot als Grundprinzip des deutschen Rechtssystems. Gesetze dürfen demnach nur zukünftige Sachverhalte neu regeln. Viele Angehörige in Deutschland lebender Geflüchteter, so Alaows, stünden längst »auf Wartelisten für Botschaftsvorsprachen zur Familienzusammenführung und warten bereits monate- oder jahrelang auf einen Vorsprachetermin«. Selbst für sie soll nun das Verfahren zum Familiennachzug ausgesetzt werden.

Unterdessen räumten Rednerinnen und Redner der SPD im Bundestag ein, dass ihnen die Zustimmung zu dem Gesetz schwerfalle, dass sie sich aber der Koalitionsdisziplin beugten. Die Aussetzung des Familiennachzugs sei »ein Thema, das sich die SPD so nicht ausgedacht hätte«, sagte der SPD-Abgeordnete Sebastian Fiedler. Integrations-Staatsministerin Natalie Pawlik (SPD) hob hervor, dass das Gesetz Ausnahmen in Härtefällen zulasse, etwa bei Kindern oder in Fällen schwerer Krankheit.

Das Gesetz sieht auch vor, die »Begrenzung« der Zuwanderung als Ziel in das Aufenthaltsgesetz aufzunehmen. Betroffen von der Aussetzung sind Familienangehörige sogenannter subsidiär Schutzberechtigter. Dies sind Menschen, die in Deutschland weder im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention noch als Asylberechtigte anerkannt wurden, aber aus anderen Gründen bleiben dürfen – etwa wenn ihnen im Heimatland unmenschliche Behandlung droht oder Lebensgefahr wegen militärischer Konflikte besteht. Mit AFP

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