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Betrogene Olympiasieger

Kathrin Boron und Kerstin Koppen wurde in Atlanta der Zweitstart verwehrt Trainerin Jutta Lau: Besetzung nach dem Würfelprinzip

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Eckhard Galley

Der deutsche Doppelvierer der Frauen in Atlanta. An den Skulls sitzen Jana Sorgers, Kathrin Boron, Kerstin Koppen aus Potsdam und Katrin Rutschowaus Berlin. Die vier gewinnen die Goldmedaille. Trainerin ist Jutta Lau, dertrotz des großen Sieges nicht wohl ums Herz ist. Eins ihrer Mädchen spricht später von Betrug.

Jutta Lau, selbst Olympiasiegerin 1976 in Montreal und 1980 in Moskau, ist seit September 1980 Rudertrainerin in Potsdam. Das Diplom einer Sportlehrerin erwarb sie ein Jahr später an der DHfK. Die mittlerweile 40jährige ist heute als Skulltrainerin für Frauen im Deutschen Ruder-Verband beschäftigt. Als solche war sie zuständig für die Vorbereitung der Frauen auf Atlanta. Das sind jene Boote, in denen die Ruderinnen zwei Ruder, eben die Skulls, bedienen müssen: der Einer, der Doppelzweier und der Doppelvierer Ausgangspunkt für die Bootsbesetzung ist der Einer Ist der klar, leiten sich daraus die Besatzungen für das Zweier- und Viererboot ab.

Die Klassifizierung im Einer ergab im Frühjahr die Rangfolge Kathrin Boron vor Jana Thieme (beide Potsdam), Katrin Rutschow (Berlin), Kerstin Koppen (Potsdam). Erst an achter oder neunter Stelle kam Meike Evers (Ratzeburg). Da die stärkste Skullerin Boron nur im Zweier und Vierer fahren wollte, entschied sich Jutta Lau für folgende Besetzungs-Variante im Hinblick auf Atlanta: Einer mit Thieme, Zweier mit Koppen und Boron, Vierer mit Koppen, Boron, Rutschow und Sorgers. Nach Rennen in Köln und Duisburg erhärtete sich für die Potsdamer Trainerin immer mehr, daß diese Besat-

zungen für die Olympischen Spiele die erfolgversprechendsten sind.

Für die internationale Rotseeregatte in Luzern schlug sie dem DRV wieder selbige Besatzungen vor. Sportdirektor Dr Ralf Kollmann lehnte ab und erhärtete bereits vorher erhobene Vorwürfe an Jutta Lau, sie würde sich zu sehr um die Ruderinnen aus Berlin und Brandenburg kümmern und die anderen vernachlässigen. Die Hauptverantwortung wurde daraufhin dem Ex-Hallenser und heutigen Ratzburger Trainer Lothar Trawiel übertragen.

Entgegen aller meßbaren Kriterien nominierte der DRV für Atlanta für den Einer Evers, für den Zweier Thieme/Lutze (Halle/Magdeburg) und für den Vierer das bereits erwähnte Quartett. Als Jutta Lau dies erfuhr, war für sie folgendes klar-Evers wird nicht ins Finale kommen (sie

kam nicht einmal ins B-Finale und wurde 13.), der Zweier wird allenfalls Vierter oder Fünfter (er wurde Fünfter), der Vierer wird gewinnen (und gewann auch). »Wäre mein Nominierungsvorschlag akzeptiert worden, hätte es mit Thieme im Einer und mit Boron/Köppen im Zweiter mit großer Wahrscheinlichkeit Medaillen gegeben.«

Die Potsdamerin ist logischerweise auf Dr Kollmann sauer- »Ich akzeptiere Leute, die fachlich fähig und Partner sind. Zu ihm fand ich keinen Nenner Alle, die von Rudern Ahnung haben, sagten, die ganze Nominierung ist unmöglich. Der DRV ließ wegen seiner falschen Nominierung Medaillen im Lake Lanier von Atlanta liegen. Dr Kollmann überblickte das Ganze nicht. Aber er hatte nun einmal das Sagen. So ein Chaos hätte es in der DDR nicht gegeben. Es ging nicht um Lei-

stung, es ging um Personen. Kollmann hatte schlechte Berater« Mit Ossi-Geschimpfe gegen West-Funktionäre habe die Angelegenheit nichts zu tun. »Mir geht es lediglich um Kompetenz.« Das Prinzip Masse statt Klasse ist vielleicht für eine x-beliebige Regatta gut, für Olympische Spiele aber nicht tauglich.

Der Frust sitzt noch tief. Vornehmlich beim Duo Boron/Köppen, das in Barcelona Gold gewonnen hatte und nun in Atlanta seinen Olympiasieg verteidigen wollte. Kathrin Boron sagt klipp und klar-»Wir sind um eine zweite Medaille betrogen worden. Unser eigener Verband hat uns diese Medaillenchance verwehrt. Ich denke, daß Kollmann es allen Vereinen recht machen wollte, um mit ihnen keine Reibereien zu kriegen. Wir durften jedenfalls unseren Sieg von 1992 nicht bestätigen.«

Kerstin Koppen: »Wir hatten in Barcelona gewonnen, also schon viel erreicht. Da will man mehr Den Doppelstart. Ich bin überzeugt davon, daß ich mit Kathrin eine Medaille geholt hätte.« Welche? »Weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß die Zeiten, die wir erreicht hatten, in diesem Jahr von keinem anderen Doppelzweier auf der Welt unterboten wurden. Reicht das als Antwort?«

Die beiden sagten nicht, daß sie im Falle eines Sieges um je 15 000 Mark, die deutsche Starter für einen Olympiasieg erhielten, reicher geworden wären. Ein schönes Zubrot. Denn die Zuschüsse für A-Kader im Leistungssport mit knapp über 1000 Mark reichen nicht zum Leben. Trotz der olympischen Erfolge machen Sponsoren um Ruderinnen nun mal einen Bogen. Und zu »Reichtum« kommen Kathrin Boron als Bankkauffrau und Kerstin Koppen als Angestellte bei der Stadtverwaltung auch nicht.

Trainerin Jutta Lau indes hat, wie die meisten Bundestrainer, ihren Vertrag noch bis zum 31. Dezember 1996. Noch weiß sie nicht, ob er verlängert wird. Nach dem, was passiert ist, vermutet sie eher die Kündigung. Aber das würde die Frau, die selbst zweimal Gold gewann und zweimal Trainer-Gold holte, nicht aus der Bahn werfen. »Dann gehe ich ins Ausland.«

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