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  • Politik
  • M Zum Report über den Landrat von Potsdam-Mittelmark

Die Verführung durch Macht

  • Lesedauer: 4 Min.

Zu »Ein zweites Leben«, Report über Lothar Koch, Landrat von Potsdam-Mittelmark, von Peter Richter (ND vom 25. September):

Da hat er nun ein halbes Jahr in der Nische im Funkamt Brück gehockt; sich qualifiziert, wo sich die Gelegenheit bot, brav angepaßt, seinen Kampfgruppendienst absolviert und in seiner Freizeit nicht verbrauchte Kreativität beim Drechseln eingesetzt - der jetzige Landrat des Kreises Potsdam-Mittelmark, Lothar Koch.

Unzufrieden mit den erstarrten Verhältnissen.in der DDR, wie so viele, nutzte er die Gunst des Neuanfangs, wurde Mitglied der SPD und hatte damit eine wichtige Sprosse der Karriere-Leiter bestiegen. Vielleicht anfangs noch um Demokratisierung der Verhältnisse bemüht, gefiel

er sich mehr und mehr in seiner Rolle, die Fäden in der Hand zu halten und sich in eine eindrucksvolle Position zu bringen. Er fühlt sich ganz offensichtlich wohl in seinem Amtszimmer mit kunstvoller Holztäfelung und Bleiglasfenstern, wie es seine Vorgänger seit mehr als 150 Jahren nutzten.

Inzwischen ist er Landrat des Großkreises. Sein Mitbewerber von der gleichen Partei wurde in das ferne Brüssel gelockt. Der unbequeme 1. Beigeordnete, nominiert von Bündnis 90/Grüne, wurde abgewählt und dabei gleich das Amt des 1. Beigeordneten ersatzlos gestrichen. Das war die Gelegenheit, Haupt-, Personal-, Aufsichts- und Prüfungsamt unter sein Kuratel zu stellen. Die Aussagen, mit denen er 1993 durch den künftigen Großkreis zog, daß Belzigs Verwaltungsgebäude hervorragend geeignet seien, die Verwaltung des Großkreises zu beherbergen, daß durch die Delegierung von

hoheitlichen Aufgaben auf die Ämter auch im Großkreis bürgernahe Verwaltung möglich ist, sind längst vergessen.

Jetzt wird am Aufbau einer Landratsresidenz gebastelt. Nicht kleinlich lautet der Beschlußentwurf: »Der Landrat wird ermächtigt, die Verwaltung in Beizig zu konzentrieren...« Dazu sind Neubauten notwendig. Kosten: 44 Millionen. Vorhandene Gebäude werden marode geredet, z.B. ein vor 15 Jahren errichteter Bau des Rates des Kreises. Wenn auch die Opposition diese in Zeiten sozialer Sparpakete unmoralischen Vorstellungen vom Tisch fegte, gilt es aufzupassen. Dieser Traum ist deshalb nicht ausgeträumt.

Das alles ist möglich auf der Basis einer zahlenmäßig starken SPD-Fraktion, die »übergroße Loyalität gegenüber ihrem Landrat und die Arroganz der Macht gegenüber der Opposition zeigt«, um einen ortsansässigen Journalisten zu zitieren.

Aber die Decke ist dünn, die diese Machtstrukturen trägt. Bündnis 90/Grüne ist aus der Koalition ausgeschieden. Die noch in der Koalition befindliche FDP hat mehr als einmal in entscheidenden Situationen gegen die Vorstellungen des Landrates votiert. Die Fraktion PDS/Offene Liste hat einen Ausschuß zur Untersuchung der Rechtskonformität im Baubereich durchgesetzt. Dieser Ausschuß hat trotz aller Knüppel, die ihm in den Weg gelegt worden sind, zahlreiche Indizien zusammengetragen. Durch verantwortungslose Auftragsvergabe für den Anbau am Fläming-Gymnasium und Grundsteinlegung um jeden Preis am Vortag der Kommunalwahl ist großer Schaden entstanden. (Das halbfertige Gebäude mußte inzwischen wieder abgerissen werden.) Die schuldhafte Verstrickung des Landrates bei dem Verlust von 3,5 Millionen DM untersucht inzwischen der Staatsanwalt.

Nun gibt es einen offenkundigen Bauskahdal in Fahrland, der der Aufklärung bedarf. Von der letzten Legislaturperiode schmoren noch unbeantwortete Fragen über die Fläming-Hausbau AG, die schon einmal einen parlamentarischen Unter-

suchungsausschuß bemühten. Offen ist, warum er es innerhalb von zwei Jahren immer noch nicht geschafft hat, einen völlig unfähigen Leiter des Abfallbetriebes (Westimport) loszuwerden. Dessen Versäumnisse haben die Bürger des Kreises Hunderttausende Mark gekostet.

Aus der Verwaltung sind schon einige sehr befähigte Mitarbeiter ausgestiegen. Es wird offen von Mobbing gesprochen. An einer Mitarbeiterbefragung zur Verwaltungsmodernisierung beteiligten sich nur 15 Prozent. Woher nimmt der Mann bloß seine herablassende Selbstzufriedenheit?

Landrat Lothar Koch, der Moralist, wie er sich gerne bezeichnet, ist ein harter Brocken für die Demokratie, und gerade auf diesem Gebiet sollte sich nach der Wende etwas verändern. Wir sind optimistisch, daß der Krug nicht mehr lange zu Wasser geht. Aber es vergeht Zeit und es kostet Kraft. Beides wird eigentlich dringend gebraucht für die Gestaltung des Kreises »sozial und ökologisch«.

Annemarie Kersten, Fraktionsvorsitzende PDS/Offene Liste Landkreis Potsdam-Mittelmark

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