• Kultur
  • Reportage - Sachsen-Anhalt

Tanz auf dem alten Speicher

In Buhlendorf bei Zerbst brachten die Einwohner ihr historisches Getreidelagerhaus wieder in Schuss

  • Stefan Tesch
  • Lesedauer: 4 Min.
Hamburg hat seine Speicherstadt, Gdansk ein Speicherviertel und Buhlendorf seinen alten Kornspeicher. Der ist Dank 28 Metern Höhe nicht nur weithin sichtbar, sondern mit dem kleinen ziegelgedeckten Turmaufbau auch ausgesprochen schön und zudem eine technische Rarität. »In ganz Europa gibt es nur vier baugleiche Exemplare«, berichtet Hans-Joachim Wuttig. Der Buhlendorfer, der im Hauptjob zur Leitungscrew des Agrarbetriebes AgriCo im Nachbarort Lindau gehört, entwickelte sich in den letzten Jahren zu einem richtigen Speicherexperten. Denn nach Feierabend leitet er den Kultur- und Heimatverein Buhlendorf e.V. Dahinter stecken, wie er erzählt, rund vier Dutzend Dorfbewohner, die in den letzten Jahren vor allem ein Ziel einte: den seit der Wende dahindümpelnden Speicher zu neuem Leben zu erwecken. Von 1912 bis 1914 war er errichtet worden - angeregt durch den umtriebigen Pächter Julius Sperling, der die Domäne Buhlendorf damals zu einem führenden Saatzucht-Betrieb Deutschlands umwandelte. Unlängst jährte ich zum vierten Mal die feierliche Wiedereröffnung des markanten Baus. Parterre lädt eine rustikale Bar zum Verweilen ein, in den Etagen darüber trifft sich das 260-Seelen-Dorf zu Vereinsarbeit, Feiern und Festen, und auch der besteigbare Turm erlaubt bei guter Sicht wieder den Blick bis Harz und Fläming. Doch die Jahre dazwischen, konkret ab 1997, seien von harter Arbeit und dem ständigem Kampf um Gelder geprägt gewesen, erinnert sich Wuttig. Der 49-jährige, im Dorf als Durchreißer bekannt, war die treibende Kraft der Rekonstruktion, auch wenn er es als große Gemeinschaftsaktion der Buhlendorfer Vereine wertet. Vor allem die Senioren, darunter die eigene betagte Mutter, hätten unermüdlich mitgearbeitet. Es begann mit der äußeren Hülle. Der Turm wurde neu gedeckt, Schäden in der Fassade wurden repariert, Fenster ausgewechselt. Zehntausende Freizeitstunden und viel handwerkliches Können stecken so in dem Mühl- und Lagerhaus. Wuttig verdeutlicht es an einer Zahl: »Bezogen auf einen mittleren Stundenlohn am Bau erbrachten wir Eigenleistungen für 61400 Euro.« Diese Arbeiten wurden zum entscheidenden Unterpfand, damit auch erhebliche Fördergelder nach Buhlendorf flossen. Allein die EU schoss u.a. über ihr Leader-II-Programm zur Entwicklung ländlicher Räume rund 190000 Euro zu. Und auch die Buhlendorfer selbst klotzten, statt zu kleckern: Fast 17000 Euro stammen aus der Gemeindekasse, weitere gut 10000 Euro brachte der Verein selbst auf. Nun ist ständig etwas los im Speicher. Die Palette reicht von Vereinsarbeit und Laienspielproben über Floristikabende, Weinverkostungen und Blasmusik bis zu Polterabenden, Schülerprojekttagen und wissenschaftlichen Tagungen. Zu Speicherführungen lockt es Interessierte von weither in das de facto noch funktionsfähige technische Denkmal. Ein Highlight im Dorfleben, für das man sogar schon jede Auswärtswerbung unterlässt, sind Kabarettabende zwischen Schüttgosse, Becherwerk und Transmissionsriemen. Denn Buhlendorf gehört zum regelmäßigen Tourneeprogramm der beiden Magdeburger Ensembles »Kugelblitze« und »Zwickmühle«. Und wenn sie angekündigt werden, so der Vereinschef, versammele sich praktisch das ganze Dorf im Speicher. Meist sei man schon lange vorher da, um sich in familiärer Atmosphäre bei einem Gläschen auf das heitere Satireprogramm einzustimmen, und auch anschließend laufe man nicht so schnell auseinander. Was bei Veranstaltungen in die Vereinskasse fließt, ist meist schon für neue Projekte verplant. So erfuhr nun auch die alte Getreidereinigung vis-à-vis des Kornhauses eine Frischzellenkur. »2002 haben wir sie komplett saniert und uns hier nun ein kleines Heimat- und Landtechnikmuseum eingerichtet«, erzählt Wuttig bei einem Bummel durch die Räume. Die große Halle im Erdgeschoss beherbergt vor allem historische Dreschmaschinen, die dem Verein meist gespendet wurden. In den Etagen darüber findet der Besucher kleinere Land-technik sowie alte Hof- und Haushaltsgeräte. Ein Raum im Museum ist einem Brauchtum gewidmet, bei dem Buhlendorf einen Namen zu verteidigen hat - dem Binden von Erntekronen. Eine Gruppe von Landfrauen im Ort ist derart darauf geeicht, dass sie mit ihren Kreationen schon sachsen-anhaltischer Landessieger wurde. Erwartungsgemäß treiben den Verein schon neue Pläne um. Denn es bleibe noch allerhand zu tun, etwa im Park, der mit der Zeit auch etwas in Vergessen geriet. Schließlich steht ein großes Ereignis ins Dorf: 2007 begeht Buhlendorf die 700. Wiederkehr seiner urkundlichen Ersterwähnung.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal