- Politik
- ? Interview.' Zollhauptsekretär Michael Kulus, Gemeinsame Ermittlungsgruppe Schwarzarbeit (GES)
Was geschieht mit den großen Fischen?
? Rund 30 000 arbeitslose Bauarbeiter auf der einen und geschätzte 20 000 Schwarzarbeiter auf den Berliner Baustellen auf der anderen Seite. Ärgert Sie das?
Das ist natürlich eine völlig ungesunde Situation. Doch es ist nicht einfach das Problem, ob ausländische oder einheimische Arbeitskräfte beschäftigt werden. Nicht jeder Ausländer arbeitet illegal auf dem Bau. Die große Mehrheit der Arbeiter aus anderen Staaten ist völlig legal hier
? Was können Sie tun, damit die Schwarzarbeit auf Berliner Baustellen eingedämmt wird?
Zoll, Arbeitsamt und Polizei arbeiten in der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe zusammen. In der Regel starten wir jeden Tag um die fünf Einsätze. Das heißt, wir tauchen plötzlich an Baustellen auf und kontrollieren jeden Arbeiter.
? Woher nehmen Sie die Informationen, daß auf einer Baustelle etwas faul ist?
Wir gehen Anzeigen nach. Wir erhalten Informationen, teils anonym, daß auf einer Baustelle Illegale beschäftigt sind. Die Motive für solche Anzeigen sind recht unterschiedlich. Da sind Leute, die entlassen wurden und verbittert sind, da sind Unternehmer, die dem anderen eins auswischen möchten, oder Leute, die sich einfach in ihrer Ruhe gestört fühlen. ? Mit wievielen Anzeigen haben Sie so zu tun?
Wir hatten im Jahr 1995 einen Anstieg der Anzeigen im Vergleich zu 1994 von 5010 auf 6773. Davon richteten sich 1994 etwa 3880 Anzeigen gegen Arbeitgeber, 1995 waren es 4069 Die Zahlen für das läufende Jahr liegen noch nicht vor
? Und wie oft wurde dann überprüft?
Es werden im Jahr rund 30 000 Personen überprüft. Etwa 7500 Überprüfungen erfolgen dabei durch unsere Behörde, der Gemeinsamen Ermittlungsgruppe.
? Das hört sich so an, als ginge man entschlossen gegen die Arbeitgeber vor, die ja den Hauptgewinn aus der Schwarzarbeit ziehen. Doch Sie erwischen immer die armen Schlucker, die vor Ort sind. Die anderen sitzen zurückgelehnt im Chefsessel. Zwar können sie bestraft werden bis zu 100 000 DM. Doch das drücken sie ganz locker ab, verbuchen das als Spesen. Ist Ihnen bekannt, wieviele Leute schon bestraft wurden?
Das wissen wir leider nicht, weil wir nicht verfolgen, wie die Verfahren enden. Wir wissen, daß ein Großteil der Verfahren - zumindest der kleineren - oftmals wegen Geringfügigkeit eingestellt wird. Wir ärgern uns natürlich, daß diejenigen, die diese Dinge, die oftmals in mühevoller Kleinarbeit ermitteln wurden, nicht gebührend bestraft werden. Doch wir haben unabhängige Gerichte.
? Ein Tag, fünf Einsätze. Was kommt unter dem Strich heraus?
Wir finden im Prinzip auf jeder Baustelle illegale Arbeitnehmer, die nicht im Besitz gültiger Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse sind.
? Der Schwarzfahrer rechnet einfach: Fahre ich so und so oft ohne Fahrschein, habe ich die Miete drin. So ähnlich rechnet auch der Unternehmer.
So ist es. Der zahlt das aus der Portokasse. Der spart die Sozialabgaben, die Sozialversicherung, die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung. Er spart die Steuern für die Leute. Man schätzt für Deutschland etwa 100 Mio und für Berlin 10 Mio Schaden.
? Das bisherige System jedenfalls scheint nicht abschreckend zu wirken.
Vollkommen richtig, es gibt viele schwarze Schafe, die sich überhaupt nicht um Gesetze scheren und mit einer unglaublichen kriminellen Energie rangehen. Einige haben ausgeklügelte Techniken eines Vorwarnsystems entwickelt. Da werden Leute Straßen weiter abgestellt, die nur gucken, wo ein Polizeiwagen auftaucht. Kaum sind wir weg, tauchen die Illegalen wieder auf.
? Was erschwert Ihre Arbeit?
Auf einem Bau arbeiten viele Unternehmen, Subunternehmen aus vielen Ländern. Die Zeit, wo jeder jeden Arbeiter kennt, ist vorbei. Da steht einer auf dem Gerüst und daneben arbeitet einer aus einer völlig anderen Firma. Das erschwert unsere Kontrollen.
? Wie also sind kriminelle Unternehmer zu packen?
Solche Leute sollten auf eine schwarze Liste kommen, was die öffentliche Auftragsvergabe betrifft. Nur so kann man sie kriegen. Man muß sie am Geldbeutel packen. Wenn das nicht hilft, muß man den Laden dichtmachen.
Gespräch: Peter Kirschey
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