- Politik
- 30 Jahre Tanztheater in der Berliner Komischen Oper
Vom Korsett befreites Ballett
Von Günter Görtz
Berlins Tanzszene ist in Bewegung geraten. Des Kultursenators Pläne, die Tanzensembles der drei Opernhäuser zu einer Truppe zu verschmelzen, um Geld zu sparen, nicht aus künstlerischen Gründen, hat zu verstärkten Anstrengungen geführt, das eigene Profil stärker auszustellen. Die Premieren der letzten Wochen machten das sichtbar. Und just in die Zeit der Profilierungszwänge fällt das 30jährige Jubiläum des »Tanztheaters der Komischen Oper«.
Der geniale Theatermann Walter Felsenstein hatte Tom Schilling einst zu der Gründung inspiriert: »Realistisches Musiktheater in vielfältigen Formen des Tanzes, vom klassischen und neuen abendfüllenden bis hin zum Kammertanz«, wollte man pflegen. Ein durchaus neuer Weg zur Belebung des zeitgenössischen Tanzes wurde beschritten, den Choreograph Tom Schilling mit einer Vielzahl erfolgreicher Inszenierungen pflasterte. Tanztheater, das zielte auf Handlungsballett. Nicht auf formale Ästhetik oder virtuose Artistik war Schilling mit seinem Librettisten Bernd Köllinger aus, es kamen vielmehr Charaktere in ihren
»Handlungen, Gedanken und Gefühlen« auf die Bühne.
Tanz stellten sie stets in einen gesellschaftlichen Kontext, die Traditionen des Klassischen Balletts nahmen sie auf, führten sie schöpferisch weiter- »Romeo und Julia«, (1977) »Schwanensee« (1978), »Ein neuer Sommernachtstraum« (Musik. Georg Katzer, Choreographie: Tom Schilling, Libretto: Bernd Köllinger) sind dafür hervorragende Beispiele, die auch international große Aufmerksamkeit erregten und die Diskussion um die zeitgenössische Tanzkunst belebten. Das Corps de ballet erfuhr im Konzept Schillings eine enorme Aufwertung, wurde aus dem auf dekorative Exaktheit fixierten Korsett befreit. Die Gruppe formte er zu einem Ensemble von Individualitäten. Nur so ließ sich das Prinzip des realistischen Musiktheaters von Felsenstein auch auf das Ballett übertragen. Trotz der Aufwertung des Ensembles kommt das Tanztheater jedoch nicht ohne Solisten von Format aus. Tänzer, die von Anbeginn die Intentionen Tom Schillings auf der Bühne umsetzten, waren Hannelore Bey und Roland Gawlik sowie Frank Bey Andere kamen hinzu. Namen wie Jutta Deutschland, Angela Reinhardt, Gregor Seyffert sind den Ballettomanen ein Begriff.
Theater als gesellschaftliche Angelegenheit und nicht als Welt des schönen Scheins. Zumindest in den ersten 25 Jahren fühlte sich die Tanztruppe der Komischen Oper dem verpflichtet. In »Schwarze Vögel« (1975, Choreographie: Schilling, Libretto: Köllinger, Musik. Katzer) wurde auf die Ereignisse in Chile, auf die Ermordung Allendes reagiert, wenn der Stoff auch in der Zeit des Bauernkrieges angesiedelt ist. »Wahlverwandtschaften« (1983), nach Goethe, zählt für mich noch heute zu den nachdrücklichsten Balletterlebnissen. Partnerbeziehungen in einer von Krieg bedrohten Welt werden hier von Schilling auf psychlogisch sensible Weise und mit enormer künstlerischer Phantasie gestaltet. Auch »Othello und Desdemona« (1988, Choreographie: Arila Siegert, Musik. Gerald Hummel) war ein aufsehenerregender Tanztheaterabend.
Als Tom Schilling mit dem Erreichen des 65. Lebensjahres die künstlerische Leitung abgab, begann für das Ensemble eine seiner schwierigsten Phasen. Vorher schon, in den Wendezeiten, hatte man sich von Ballettdirektor Bernd Köllinger, dem initiativreichen Librettisten, getrennt. Einen Neubeginn wollte man wagen. Was seither auf die Bühne kam,
Szene aus »Schwarze Vögel«
konnte die Erwartungen kaum erfüllen. Erst Birgit Scherzers kürzlich uraufgeführter »Franz Woyzeck«, Musik. Heiner Grenzland, ließ die Hoffnung wieder keimen, daß es dem neuen Leitungsteam Marc Jonkers (Ballettdirektor) und Jan Linkens (Chefchoreograph) gelingen werde, den Gedanken des Tanztheaters neu zu beleben. Viel Zeit wird ihnen dabei
Foto: Arwid Lagenpusch
nicht bleiben, denn die Pläne der Berliner Senatskulturverwaltung, in der Hauptstadt ein Tanzkombinat zu gründen, sind noch nicht vom Tisch.
Den Geburtstag feiert man heute mit der Aufführung des Tanzstückes »Sonnenkönig - Eine Reise« in der Choreographie und Inszenierung von Jan Linkens.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.