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  • Politik
  • Reichtum in Deutschland - Geld ist genug da

Dolce vita für Schmarotzer

  • Werner Rügemer
  • Lesedauer: 5 Min.

Reichtum ist in Deutschland ein Tabu. Und zwar um so mehr, je häufiger vom Geld und vom Sparen die Rede ist. Herbert Schui und Eckart Spoo wollten das Tabu durchbrechen. Sie haben an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik einen »Sozialpolitischen Ratschlag über Reichtum in Deutschland« abgehalten, unterstützt vom DGB Hamburg. 450 Gewerkschafter und Wissenschaftler nahmen teil. Die 29 Referate sind nun als Buch erschienen.

Ernst-Ulrich Huster zitiert aus der offiziellen Statistik. Mit einem Nettomonatseinkommen von 10 000 Mark gilt man als reich. Der Anteil dieser Haushalte hat sich von 1980 bis 1992 verdreifacht. 1992 wurden in Deutschland 1 700 000 Haushalte mit einem solchen Monatseinkommen gezählt. Damit wurde nach Huster Reichtum eine Massenerscheinung.

Jenseits von 25 000 Mark pro Monat wird die Statistik stumm. Wir erfahren nicht, wieviele Haushalte etwa über ein Einkommen von 50 000 oder 500 000 Mark im Monat verfügen. Noch schweig-

samer werden die Statistiken beim Vermögen. Die etwa eine Million Vermögens-Millionäre und die Milliardäre sucht man in der Statistik vergebens. Eine vage Ahnung erhalten wir aber allein durch die Angabe, daß die untere Hälfte der Bevölkerung nur über 2,5 Prozent des privaten Geldvermögens verfügt, die oberen zehn Prozent aber über die Hälfte des Geldvermögens.

Seit 1980 ist das Volkseinkommen um ein Drittel gewachsen, die Reallöhne sind aber im statistischen Durchschnitt gleich geblieben, wie Stefan Welzk darlegt. Die Auflösung dieses Rätsels ist einfach: Die Löhne im Industriesektor sind um 20 Prozent gestiegen. Aber hier nimmt die Zahl der Arbeitsplätze ab. Gleichzeitig sind in den wachsenden Sektoren wie Einzelhandel, Gastronomie, Reinigung und Pflege zahlreiche schlechter bezahlte und Billigarbeitsplätze entstanden. Hier arbeiten - ebenso wie auf illegalen und halblegalen Arbeitsplätzen - die »working poor«. Als große Gruppe kennt man sie bisher aus den USA und den Entwicklungsländern. Sie sind arm, tragen aber zum Wohlstand der anderen bei. Das miese Entgeltniveau der »working poor« ist ein Wohlstandsgewinn derer, die ihre Dienste kaufen einschließlich der gut bezahlten Kern-Ar-

beitnehmerschaft. Die Steuerpolitik hat den Unterschied zwischen arm und reich maßgeblich verschärft. Stefan Welzk hat auch hier die Statistiken ausgewertet. Der Anteil der privaten Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen am Volkseinkommen hat in den letzten 15 Jahren zugenommen. Bei den Steuern war aber die gegenteilige Entwicklung im Gange. Der Beitrag der Körperschaftsund Einkommenssteuer zum westdeutschen Steueraufkommen ist von 17 Prozent auf sieben Prozent im Jahre 1994 gefallen. Auch Kapitalertrags- und Gewerbesteuern gingen beträchtlich zurück. Die Berechnungsgrundlage für Unternehmens- und Vermögenssteuern wurde abgesenkt: steuerfreie Rückstellungen, Wertberichtigungen, Abschreibungen. Hinzu kommen konzerninterne Verrechnungen, Einschaltung von Holdings in Steueroasen wie Luxemburg. Die Herausgeber Herbert Schui und Eckart Spoo geben einige Beispiele. Der Konzerngewinn der Deutschen Bank stieg von 1990 bis 1993 um 77 Prozent, die Steuerzahlungen sanken aber durch Gewinnumbuchungen über das Ausland um sieben Prozent. Im gleichen Zeitraum stiegen die Steuern auf Löhne und Gehälter. Schui und Spoo verdeutlichen die Ungleichheit.

»Mit rund 19,5 Milliarden Mark zahlten 1995 die Unternehmen vom Großkonzern bis zur Kleinst-GmbH gut eine Milliarde weniger an den Fiskus als Deutschlands Raucher über die Tabaksteuer abführen - die Lohnsteuerzahler bringen derweil 284 Milliarden Mark auf.«

Rainer Roth nun schildert »das süße Leben der Kapitalschmarotzer«. Bei Gewinnen aus dem Kauf und Verkauf von Immobilien, Wertpapieren, Devisen, Optionen usw tendiert die Besteuerung gegen Null. Es müssen nur bestimmte niedrige Schamfristen eingehalten werden; dann gelten sie als private Geschäfte. Diese »Privatgeschäfte« werden heute im großen Umfang von Unternehmen getätigt. Wie diese Geschäfte genau ablaufen, dazu steuert der Sammelband jedoch leider kaum Informationen bei...

Massenhafte Verschuldung ist die andere Seite des massenhaften Reichtums. Der Schuldenberater Hans Reich untersucht die Tatsache, daß mehr als die Hälfte der deutschen Haushalte bei den Banken verschuldet sind. 56 von 100 Haushalten zahlen monatlich Raten von mehr als 300 Mark für Konsumentenkredite; 26 mehr als 500 Mark. Vor allem Arbeitnehmer und Arbeitslose können die vertraglichen Zins- und Tilgungszahlungen vielfach nicht mehr aufbringen. 600 Inkassodienste machen u.a. daraus einen neuen Erwerbszweig.

Den Zustand der Überschuldung haben die staatlichen Haushalte längst erreicht. Aus den Steuereinnahmen können die in-

zwischen angehäuften 2000 Milliarden Mark Schulden nicht mehr zurückgezahlt werden. Die staatlichen Zinszahlungen von gegenwärtig 100 Milliarden Mark sind aber gleichzeitig Einkommen bei den Besserverdienenden, die dem Staat Geld leihen können. Die Staatsverschuldung ist so mit einer Umverteilung der Einkommen verbunden.

Das Glaubensbekenntnis »Die Gewinne von heute sind die Arbeitsplätze von morgen« hat sich als falsch erwiesen. Die Unternehmen legen ihre Gewinne mehr spekulativ und weniger produktiv an. Von 1980 bis 1993 bildeten die Unternehmen ein Geld vermögen von 1 212 Milliarden Mark - aber nur ein Sachvermögen von 859 Milliarden Mark.

Den Autoren geht es nicht nur darum, den tabuisierten, versteckten und unproduktiven Reichtum offenzulegen. Sie erinnern an das soziale Motiv der Demokratie. In ihrem Manifest »Hamburger Ermutigung« am Ende des Buches rufen sie dazu auf, sich die politische Phantasie nicht durch das Argument lähmen zu lassen, es sei kein Geld da. Das Buch macht aber auch deutlich: Es muß noch Phantasie aufgewandt werden, um den tatsächlichen Reichtum in unserer Gesellschaft - auch jenseits trockener und mangelhafter Statistik - erst einmal genauer zu beschreiben. Ein Anfang ist gemacht.

Herbert Schui/Eckart Spoo (Hg.): Geld ist genug da. Reichtum in Deutschland. Distel Verlag, Heidelberg 1996. 247 S., geb., 28 DM.

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