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  • Politik
  • Georg Weerth wurde vor 175 Jahren geboren - sein Werk war ein Gipfelpunkt deutscher satirischer Literatur

Vergeblich totgeschwiegen

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Foto: ND-Archiv

man so sehr mit Kot bewirft und deren einziges Verbrechen ist, daß sie für Arme und Unterdrückte zu Felde ziehen«, schrieb er an seine Mutter In seinen Skizzen und Reisefeuilletons dieser Jahre schlug sich das eindrucksvoll nieder Die Beschreibung des proletarischen Alltags war darin verbunden mit sachlicher Analyse und geschichtlich begründetem Urteil. Und auch Weerths Gedichte zeugen davon, die Lieder aus Lancashire vor allem, deren volksliedhaft-schlichte Kunstgestalt den Einfluß Heinrich Heines nicht verleugnen kann, die aber mit ihrer Darstellung der peinigenden Ohnmacht wie der erwachenden Souveränität englischer Arbeiter einen Erfahrungsbereich aufgreifen, der jenem poetischen Vorbild

Von Horst Haase

Das Leugnen und die Verdächtigung literarischer Leistungen haben im größeren Deutschland Hochkonjunktur Doch ist das nichts Neues in diesem Lande. Ein besonders krasses Beispiel dafür war der Umgang mit Werk und Persönlichkeit des Dichters und Satirikers Georg Weerth, wurde er in den herrschenden Diskursen doch gleich über ein gutes Jahrhundert hinweg gänzlich totgeschwiegen. Siegfried Unseld, renommierter Verleger, schrieb 1965, als er in der Sammlung Insel mit dem Fragment eines Romans erstmals in der Bundesrepublik einen Weerth-Text herausbrachte: »Georg Weerth kommt in keinem einschlägigen Literaturlexikon vor, unsere Literaturhistoriker haben ihn nicht in ihren Literaturgeschichten erwähnt, die Literaturkritik hat sich ihm versagt, sein Name steht nicht im Brockhaus.«

Diese eklatante Ungerechtigkeit war allerdings zu jenem Zeitpunkt im anderen Teil Deutschlands längst getilgt - Unseld verwies darauf. In Ostberlin erschienen bereits 1948 Ausgewählte Werke, in der DDR folgten 1956/57 Sämtliche Werke in fünf Bänden, begleitet von einem hörbaren literaturkritischen und später auch literaturgeschichtlichen Echo. Der verdienstvolle Herausgeber, Bruno Kaiser, stützte sich auf jene Würdigung Weerths, die Friedrich Engels seinem Freunde 1883 gewidmet hatte und deren Kernthese lautete, daß dieser »der erste und bedeutendste Dichter des deutschen Proletariats« gewesen sei. Wie vielen Schülern in der DDR mag wohl die gebetsmühlenartige Wiederholung dieser Ein-

schätzung im Deutschunterricht den unvoreingenommenen Blick auf den Autor beeinträchtigt haben? Aber sie lernten ihn jedenfalls kennen. Er nahm den Platz ein, der ihm zukommt.

Mag sein, daß die interessante Persönlichkeit des Dichters dadurch in den Hintergrund gedrängt wurde. Kaiser nannte sie »faszinierend«. Friedrich Engels beschwor die vielen »heiteren Sonntage«, die er und Georg Weerth in jungen Jahren miteinander verbrachten, Marx den temperamentvollen Erzähler, seine Mimik, sein schalkhaftes Lachen. Weerth ist es, von dem der Satz stammt: »Essen und Trinken ist Kunst- und Naturgenuß zu gleicher Zeit«, und auch der andere: »Ich habe mich von jeher an die Frauen gehalten «. Nicht umsonst betonte Engels den »Ausdruck natürlicher robuster Sinnlichkeit und Fleischeslust« im Werk Georg Weerths.

Doch trotz dieser Hochschätzung eines angenehmen Lebens verlor Weerth keineswegs den Blick für das unsägliche Elend vieler Menschen in dieser Zeit des brutalen Manchester-Kapitalismus. Er lernte ihn an der Quelle kennen, im mittelenglischen Bradford, wo er 1843-46 als Kontorist einer Textilfirma beschäftigt war. In seiner Freizeit durchstreifte er die Fabriken, lernte an der Seite eines befreundeten Arztes die Behausungen der Proletarier kennen, nahm an den Meetings der Chartisten teil. Und Friedrich Engels - der nicht weit entfernt in Manchester wohnte und dessen damals entstehende Schrift über die Lage der arbeitenden Klasse in England Weerth überaus schätzte - veranlaßte ihn auch zu theoretischen Studien: er las Smith und Ricardo, Owen und Weitling, Feuerbach und den frühen Marx. »Ich gehöre zu den Lumpenkommunisten, welche

verschlossen war. Wenn Engels' Urteil über Weerth als »Dichter des Proletariats« gültig ist, dann in erster Linie hinsichtlich der so lockeren, aber gewichtigen Verse und Skizzen aus den Jahren in England.

Literarisch durchschlagender noch aber war wohl der Satiriker Weerth, der zunächst den Umkreis- seines eigenen Berufslebens aufs Korn nahm. Als Sohn eines Superintendenten am 17 Februar 1822 in Detmold geboren, hatte er in Elberfeld eine kaufmännische Ausbildung absolviert, war in Köln Buchhalter gewesen und arbeitete 1842 für einen wohlhabenden Verwandten, den Kommerzienrat aus'm Weerth in Bonn, der Fabriken und ein Bankhaus betrieb. Eben dieser war das Urbild des Herrn Preiss, der Hauptgestalt seiner Humoristischen Skizzen aus dem deutschen Handelsleben, die Weerth zumeist als Feuilletonredakteur der von Marx geleiteten Neuen Rheinischen Zeitung 1848 veröffentlichte. Nirgendwo anders in deutscher Literatur erfuhr die heimische Bourgeoisie, in ihrer rücksichtslosen Profitmacherei wie in ihrer Provinzialität, eine solche satirische Abfuhr Bezeichnend, daß Weerths angestrengter Versuch, den Umkreis derselben Problematik im Roman zu erfassen, ungleich schwächer ausfällt und schließlich scheitert.

In den feuilletonistischen Florettstichen und Säbelattacken, die Weerth während der wenigen Monate revolutionärer Freiheit 1848/49 als Parteigänger der radikalen demokratischen Bewegung und als Kritiker der Konterrevolution austeilt, entfaltet er seine ganze sprachliche Originalität und eine Vielfalt künstlerischer Mittel. Es ist ein geradezu überschäumender satirischer Kunstverstand, der sich da Bahn bricht. Die Devise war-

»Kein schöner Ding ist auf der Welt/ Als seine Feinde zu beißen«. Engels bezweifelte zu Recht, »ob je eine andere Zeitung ein so lustiges und schneidiges Feuilleton hatte«.

Für die Texte aus Leben und Taten des berühmten Ritters Schnapphahnski, die als einzige zu seinen Lebzeiten auch als Buchausgabe vorlagen, wanderte Weerth für 12 Wochen ins Gefängnis. Das Urbild des lächerlichen Helden, ein Fürst Lichnowski, war jener trüben Spezies preußischer Junker zugehörig, die es, hört man sich manche heutigen Debatten über die Bodenreform an, womöglich nie gegeben hat. Jener, über den sich schon Heine lustig machte, vertrat die Aristokratie im Frankfurter Paulskirchen-Parlament, auf einem Inspektionsritt wurde er von aufständischen Bauern erschlagen. Der Witz des Weerthschen Pamphlets aber hatte ihn längst getötet deshalb die Strafe? Satiriker haben immer ein besonderes Risiko zu tragen.

Doch dürfte nicht die Furcht vor solchen Sanktionen der Grund dafür gewesen sein, daß Weerth nach dem Ende der Neuen Rheinischen Zeitung Journalismus und Schriftstellerei für immer an den Nagel hing. Eher die grenzenlose Enttäuschung über die Niederlage der Revolution,, die Unfähigkeit, der politisch-gesellschaftlichen Stagnation und Reaktion auch nur ein Wörtchen geistreich-wahrhaftiger Formulierung abzugewinnen. »Der Humor ist versiegt; das Buch ist zu Ende«, so schloß er einen Zusatz, als sein Schnapphahnski 1949 bei Hoffmann und Campe in Hamburg herauskam. Weerth warf sich wieder auf den Handel, reiste in Europa, durch beide Amerika, ein weitläufiger Mann, dem auf diese Weise sicherlich auch ein neues poetisches Konzept zugewachsen wäre. Doch daraus wurde nichts. Er starb 1856 in Havanna, an einem tropischen Fieber. Die heutige 175. Wiederkehr seines Geburtstages liegt nicht lange vor dem runden Jubiläum des älteren Heinrich Heine - ein aufschlußreiches Zusammentreffen, haben doch beide nicht wenig miteinander zu tun.

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