Schröpfen am Scheitel
Starfriseur sorgt für blühende Landschaften auf Berlins Oberhäuptern Von Hendrik Lasch
Haararmes Mannsvolk wird in nicht allzuferner Zeit in hellen Scharen die Suiten des Maritim-Hotels in der Friedrichstra-ße bevölkern. Uwe Rosinski schilderte gestern der Presse Pläne, seinen dortigen Salon zu einer Pilgerstätte für beschämte Träger ausufernder Geheimratsecken, breiter Scheitelschneisen und bläßlicher Tonsuren zu machen.
Rosinski begann vor zwanzig Jahren als Haarschneider Inzwischen betreibt er »Haute Coiffure« und segnet Berlin mit einer Attraktion, die sonst nur sein heimatliches Bielefeld aufzuweisen hat: Schröpfköpfe. Drei mickrige Plastenäpfe,
die an Schläuchen aus einem unscheinbaren Kasten baumeln, werden durch Haarausfall bedingten Karriereknicks und Ehekrisen künftig vorbeugen.
An den Haaren herbeigezogen? »Besonders Südländer haben enorme psychische Probleme mit dünnen Stellen auf dem Kopf«, erklärt der Meister. »Die deutschen Männer denken: Na, kämmen wir uns eben schön. Aber aufs Gemüt drückt es auch denen.« Gut belebte Kapillaren in der Kopfhaut jedoch lassen die nur 0,04 Millimeter dünne Oberhauptzierde wieder sprießen.
»Schon die alten Griechen haben ordentlich geschröpft«, weiß Rosinski. Was Bader und Quacksalber zur Entgiftung angedickter Körpersäfte nutzten, richtet
nun männliches Selbstbewußtsein wieder auf. Dreißig Minuten puckert es im Nakken, überm Ohr und an den Problemzonen, dreißig Sitzungen »zeitigen meist gute Erfolge«.
»Bei einer speckigen Glatze kann ich allerdings auch nichts mehr machen«, enttäuscht der Barbier einen Fotoreporter. Auf die besorgte Frage des Autors dieser Zeilen nach anderen, üblicherweise behaarten Körperstellen hat Rosinski eine ermutigende Antwort. »Probiert haben wir es aber noch nicht«, gesteht er verschämt.
Die Haare vom Kopf fressen soll die Therapie seinen Kunden nicht. »Zwei Mark kostet die Minute bei uns«, kalkuliert er Schneller Überschlag unter der regenerierten Kopfhaut, schlappe 1800 Mark für ein paar neue Locken. »Viele Manager kommen aber gar nicht wegen der Haare. Die Therapie sorgt auch für einen klaren Kopf und freies Denken«, erklärt Rosinski mit Balsamstimme, worauf sich eine weitere Bedeutung des Wortes »schröpfen« geradezu aufdrängt.
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