Der Mut zur Niederlage

Ab heute im Kino: Dennis Gansels umstrittener Film »Napola«

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Der »Zeit«-Herausgeber Theo Sommer war es, »Literaturquartett«-Hellmuth Karasek und Schauspieler Hardy Krüger ebenfalls: Napola-Schüler. Hitlers »Elite-Schüler«, wie es grell in der Werbung zum Film heißt. Aber die Nazis mochten das Wort Elite nicht, es klang zu geistig und aristokratisch. Man brauchte Funktionäre der Unterdrückung, blinde Gefolgsleute: brutale Herrenmenschen. 15000 Kinder und Jugendliche gingen auf 37 dieser Erziehungseinrichtungen, über deren Ziel Hitler sagte, in seinen »Ordensburgen« werde eine Jugend heranwachsen, vor der die Welt erschrecken werde. Gewaltig, herrisch, unerschrocken und grausam. Nichts an ihr dürfe schwach und zärtlich sein. Von den 15000 fanatisierten »Jungmännern«, wie der NS-Führungsnachwuchs genannt wurde, ließ sich die Hälfte in den letzten Tagen des Krieges willig in einen sinnlosen »Opfertod« schicken. Wer hier Schüler war, der sollte später Gauleiter in Minsk oder Chicago werden. Hirngespinste eines primitiven Größenwahns. Auf andere Art erfolgreich sind viele der Überlebenden später dann tatsächlich geworden. Alfred Herrhausen etwa wurde Chef der Deutschen Bank. Die Züchtung von Herrenmenschen war gewollt, ein ideologisch aufgeladener Biologismus herrschte: Auslese der Starken. Wie wirkt sich derartige Verhetzung, Erziehung zu Hass und Grausamkeit auf Zehn- bis Siebzehnjährige aus? Lassen sie sich formen wie Wachs, oder wächst stiller Widerstand? Ein aufregende Frage, über die Dennis Gansel einen bereits vor Kinostart umstrittenen Film gemacht hat. Denn unwillkürlich fragt man sich: gibt es derzeit keine anderen als Nazi-Themen mehr? Aber die Frage so rein quantitativ zu stellen, wäre auch wieder ignorant. Denn gute Filme gibt es immer zu wenige. Und »Napola« ist - trotz nötiger Detailkritik - ein wichtiger Film, der echte Widersprüche zeigt, wirkliche Fragen stellt. Indoktrinations- und Widerstandsmechanismen gegen die Indoktrination zu zeigen, das bleibt ein aktuelles Thema. Hardy Krüger spricht heute von »Narben auf seiner Seele«. Es beginnt wie eine Zumutung: Gansel zeigt uns die Nazi-Ideologie als Faszinationsgeschichte. Dagegen möchten wir uns gern verwahren, weil wir es für ungeheuerlich halten, dass das Verbrecherische jemals Massen zu faszinieren vermochte. Fanatische Gläubigkeit, Gruppenzwang, eine große herrliche Zukunft. Dies HJ-Weltbild blieb bis zum Schluss intakt. Bei den meisten Jugendlichen jedenfalls. Friedrich Weimar (Max Riemelt), siebzehn Jahre alt, arbeitet in einer Kohlenhandlung im Berliner Wedding. Sein Lebenstraum: Boxer. Als sein Boxverein im Training gegen die Napola-Schule in Potsdam antritt und Friedrich seinen Kampf nur knapp verliert, fällt er einem der Ausbilder auf. Der eher simple Friedrich, dessen Vater Arbeiter (und Nazigegner) ist, fühlt sich von der Aufmerksamkeit geschmeichelt. Als Boxtalent bekommt er ein Napola-Angebot. Raus aus dem Hinterhof und der tristen Perspektive wie sein Vater Arbeiter werden zu müssen. Auf den »Schulen des Führers« gibt es Duschen und die Aussicht Gauleiter in den eroberten Gebieten zu werden. 1942 scheint die Weltherrschaft der Nazis zum Greifen nah. Und Friedrich will dabei sein - gegen den Willen seines Vaters meldet er sich bei der Napola in Allenstein. Dort empfängt man ihn mit der Devise: Männer machen Geschichte, wir machen Männer. Für einen heranwachsenden eine verführerisches Angebot. Der Film hat Stärken wie Schwächen. Zu den Schwächen gehört, dass manches aus dem Drill-Alltag zu glatt poliert daher kommt. Zu den Stärken zählen die jungen Schauspieler, die glaubhaft wirken. Da ist der Sohn des Gauleiters, Albrecht Stein. Tom Schilling spielt ihn konsequent als Gegentypus zum Herrenmenschenideal der Napolo-Schule: Sensibel, zögerlich, nachdenklich. Seinem grobschlächtigen Gauleiter-Vater eine bloße Peinlichkeit. Eine ungewöhnliche Freundschaft zwischen den gegensätzlichen Jungen entsteht. Und bald blicken sie mit immer größerer Distanz auf das, was um sie herum passiert. Das Gerechtigkeitsgefühl rebelliert zuerst noch still in ihnen, als ein Bettnässer aus ihrer Stube gequält und als Schande für die Anstalt beschimpft wird - als er sich aber selbstmörderisch über eine zu Boden gefallene Handgranate wirft, verklärt man ihn zum Helden des Opfertodes. Wie menschenverachtend verlogen, denken die beiden. Und Schritt für Schritt beginnt sich ihre Haltung zu ändern. Vieles erinnert hier an »Die Abenteuer des Werner Holt«. Eines Nachts werden die Napola-Schüler bewaffnet ausgeschickt, entflohene russische Kriegsgefangene zu jagen. Aus lauter Angst schießen sie im Wald auf einige Gestalten, deren Schemen sich vor ihnen bewegen. Dann liegen fast gleichaltrige Russen tot vor ihnen, einer lebt noch und Albrecht versucht, ihn zu verbinden. Sein Gauleiter-Vater schiebt ihn ärgerlich beiseite und erschießt den Verwundeten. Alle in dieser Nacht gefangenen Kriegsgefangenen werden von der SS erschossen. Albrecht ist schockiert und als sie am nächsten Tag einen Aufsatz über »Die winterliche Landschaft in germanischen Heldensagen« verfassen sollen, schreibt er, er habe sich bisher als Auserwählter im Kampf gegen das Böse gefühlt, aber seit der vergangenen Nacht wisse er, dass er selber ein Teil dieses Bösen sei. Und Friedrich, der vor einem großen Boxkampf für seine Napola steht, entschließt sich, diesen Kampf anders zu gewinnen als man es von ihm erwartet. Diese Entscheidung trägt den Film, sie ist ganz und gar glaubwürdig.

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