Das größte Wirtschaftsunternehmen Italiens ist weder Fiat noch der Fernsehkonzern Mediaset, weder die Telecom Italia noch ein namhaftes Modehaus. Die Nummer 1 hat weder Markennamen noch einen angemeldeten Firmensitz - es ist die Mafia.
Auf einen Jahresumsatz von sage und schreibe 100 Milliarden Euro bringt es die Mafia in Italien. Dies erklärte Pierluigi Vigna, Oberstaatsanwalt in der nationalen Antimafiabehörde, dieser Tage auf einem Gewerkschaftskongress. Den Umsatz erwirtschaftet die organisierte Kriminalität fast ausschließlich in ihren »klassischen« Sparten Waffen-, Drogen-, Müll- und Menschenhandel, Prostitution, öffentliche Bauaufträge und Schutzgelderpressung. Die Schätzung umfasst die vier wichtigsten Organisationen - Cosa Nostra auf Sizilien, Ndrangheta in Kalabrien, Sacra Corona Unita in Apulien und Camorra in Neapel. Ausgenommen sind die, so Vigna, »neuen« kriminellen Organisationen mit nationalem Charakter, wie die russische, und vor allem die chinesische und die albanische Mafia, die inzwischen in Italien fest verankert sind.
Das Geld, das mit illegalen Aktivitäten erwirtschaftet wird, beunruhigt seit längerem nicht nur die Polizei und die Justiz, sondern immer stärker auch Wirtschaftsexperten. Annahmen zufolge fließen etwa 30 Prozent der Finanzmittel wieder in den rein illegalen Kreislauf zurück - etwa für den Ankauf weiterer Drogen, die Bezahlung des »Personals« oder die Bestechung von wichtigen Personen. Bleiben jährlich ungefähr 70 Milliarden Euro übrig, die von der Mafia in die ganz legale Wirtschaft eingespeist werden. Schon in den sechziger Jahren wurde enthüllt, dass die »ehrenwerte Gesellschaft« massiv zum Beispiel in Hotelanlagen in Spanien investierte. Ihre Unternehmen unterscheiden sich äußerlich in Nichts von »normalen«.
Mittlerweile haben die Mafiabosse aber keine eigenen Firmen mehr, da man diese leicht auf sie zurückführen könnte. Stattdessen fließt das illegale Geld über Finanzmakler oder die Börse in die Medienbranche, in Bauunternehmen oder in die Lebensmittelindustrie. Wie der oberste Mafiajäger Vigna erläuterte, richtet es enormen Schäden an, weil es die Marktregeln verzerrt. Wie kann ein legaler, seriös finanzierter Betrieb, der nur mühsam Kredite auf dem Finanzmarkt auftreiben kann, gegen einen Kontrahenten bestehen, der auf einen schier unendlichen Bargeldfluss zurückgreifen kann? Weitere Probleme ergeben sich für eine durch und durch legale »Firma X« beim Absatz, wenn die Mafia in einer bestimmten Gegend anordnet, dass dort nur die Produkte der ihr nahe stehenden »Firma Y« gekauft werden.
Besonders heikel ist die Situation im Bauwesen. Ein Unternehmen, das etwa in Sizilien einen Auftrag erhalten und durchführen will, muss entweder Schutzgeld zahlen oder aber damit rechnen, massiv behindert zu werden. Mit derartigen Schwierigkeiten hat eine Baufirma, an der die Mafia mit Kapital beteiligt ist, natürlich nicht zu kämpfen.
In einigen Landstrichen Italiens sind mittlerweile ganze Branchen in kriminellen Händen, wie etwa die Zementherstellung auf Sizilien oder der Transportsektor in Neapel. Dies zeigt, wie weit die organisierte Kriminalität das wirtschaftliche Geschehen inzwischen beeinflussen kann und auch beeinflusst. »Wenn die reale Wirtschaft in kriminelle Hände gerät, dann gibt es natürlich auch keine demokratische Zukunft mehr«, befürchtet Pierluigi Vigna. Deshalb hat sich der Oberstaatsanwalt auch gezielt an die Gewerkschaften gewandt. Sie sollten vor Ort die Menschen mobilisieren und stärker auf die Einhaltung der Gesetze pochen. »Wenn wir die Legalität in der Wirtschaft schützen, dann schützen wir auch die Demokratie. Denn es ist eines der wichtigsten Ziele der organisierten Kriminalität, die Privatinitiative unfrei zu machen.«
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