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Flüchtlinge bangen immer noch

Bericht der Staatsanwaltschaft soll Vorwürfe klären Von Claudia Schreyer

  • Lesedauer: 3 Min.

Zur öffentlichen Kritik an den Ermittlungen in Lübeck im Zusammenhang mit dem Brand in einem Asylbewerberheim müssen die zuständigen Behörden jetzt Stellung nehmen.

Nach der Brandkatastrophe, bei der im Januar 1996 zehn Menschen ums Leben kamen, waren zunächst vier deutsche Jugendliche als Tatverdächtige verhaftet und kurze Zeit später wieder freigelassen worden, weil sie angeblich ein Alibi hatten. Aufgrund der Aussage eines einzigen Zeugen, der ein Geständnis gehört habe will, wurde der Hausbewohner Safwan Eid als Täter präsentiert und angeklagt. Im Laufe der fast zehnmonatigen Verhandlung kamen immer mehr Pannen und einseitige Untersuchungen seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft ans Tageslicht, die zum Teil auch der Richter in der Begründung des Urteils (Freispruch und Haftentschädigung für Eid) monierte.

Das Justizministerium von Schleswig-Holstein hat jetzt von der Staatsanwaltschaft Lübeck einen Bericht über die Ermittlungsarbeiten angefordert. Er soll nach Angaben des Ministeriumssprechers Christian Frank auch die Aktivitäten der Polizei erhellen. »Der Bericht, der im Rahmen der Dienst- und Fachaufsichtspflicht auch im Interesse der Staatsanwaltschaft erstellt werden muß, soll Auskunft darüber geben, ob es tatsächlich handwerkliche Fehler gegeben hat.« Den Vorwurf rassistischer Ermittlungen kann Justizminister Gerd Walter (SPD) nicht tolerieren. In einem offenen Brief an Christoph Kleine, den Sprecher des Bündnisses gegen Rassismus, das von Anfang an die erschreckende Ungleichbehandlung von deutschen und ausländischen Tatverdächtigen kritisierte und die Ermittlungen deshalb wiederholt ras-

sistisch nannten, wies Walter den »unhaltbaren Vorwurf« als ehrabschneiderisch gegenüber der Staatsanwaltschaft und grotesken Verlust des Maßstabes zurück. In dem Verfahren seien die Prinzipien sichtbar geworden, die ein funktionierender Rechtsstaat für die Zweifelsfälle von Schuld oder Unschuld bereit hält.

»Die Justiz sollte sich den unvermeidlichen Freispruch nicht allzu hoch anrechnen«, sagte dazu Kleine. Es bleibe die Tatsache, daß ein Unschuldiger über fünf Monate in Untersuchungshaft gehalten wurde, während die Spuren zu rechtsextremen Tätern einfach ignoriert worden seien. Nach seiner Überzeugung müßten die Staatsanwälte, die an diesem Fall skandalös und schuldhaft gehandelt hätten, abgelöst werden.

Auch vier Wochen nach Ende des Lübecker Brandprozesses ist das Schicksal der Flüchtlinge, die die Katastrophe mit schweren Verletzungen überlebt haben, ungewiß. Antirassistische Gruppen und die Internationale Unabhängige Kommission setzen sich für ein dauerhaftes Bleiberecht der Flüchtlinge ein. Aber trotz Unterstützung auch von Innenminister Ekkehard Wienholtz (SPD) sowie dessen Parteikollegen, Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller, erhielt das Gros der 38 Menschen lediglich den Status der Duldung; zunächst nur für die Dauer des Prozesses.

»Keiner der Überlebenden ist akut von Abschiebung bedroht«, sagte der Sprecher des Innenministeriums, Thomas Giebeler, gegenüber ND. Die Duldung werde so lange verlängert, bis Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) entschieden habe, ob die Flüchtlinge abgeschoben werden oder bleiben können. Mehrmals sei Wienholtz in dieser Sache in Bonn bereits vorstellig geworden, sagte Giebeler, bislang habe aber noch nichts erreicht werden können. Kanther hat allerdings bereits verlauten lassen, daß er nicht gedenke, einen Präzendenzfall zu schaffen.

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