Jalta treibt die nationalkatholische Rechte Polens auf die patriotische Palme. Der 60. Jahrestag der Krim-Konferenz im Februar 1945 bot ihr neue Gelegenheit, »kommunistische Verbrechen« anzuprangern und die westlichen Großmächte des Verrats an Polen zu bezichtigen.
Während der Konferenz von Jalta sei Polen von Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill an Stalin ausgeliefert worden. Damit sei das Schicksal des Landes für ein halbes Jahrhundert besiegelt gewesen. Das war der Tenor bürgerlicher Zeitungen, vor allem aber privater elektronischer Medien in den letzten Tagen. Das historische Treffen der »Großen Drei« wird in dieser Art der Betrachtung völlig aus dem Zusammenhang des damals noch andauernden blutigen Krieges gegen das faschistische Deutschland gerissen. Man konzentriert sich lediglich auf die Polen betreffenden Vorentscheidungen der Konferenz (die Grenzziehung im Osten entlang der so genannten Curzon-Linie und die territoriale »Westverschiebung« des Landes sowie die Vereinbarung, dass nach dem Krieg eine polnische provisorische Regierung aus Vertretern der Exilregierung in London und des Lubliner Komitees zur Nationalen Befreiung gebildet werden sollte).
Am vergangenen Sonnabend nun ließ das russische Außenministerium durch die offizielle Nachrichtenagentur Itar-Tass eine Erklärung verbreiten: Die in Polen und anderen Ländern hörbaren Klagen und »verzerrten Auslegungen« der Bestimmungen von Jalta würden dem Ereignis in seinem historischen Kontext nicht gerecht und seien daher unaufrichtig. Einige politische Kreise an der Weichsel reagierten darauf mit Entrüstung. Nicht nur die Rechte, sondern auch Prof. Tomasz Nalecz, der aus dem Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) zu den »Sozialdemokraten« von Marek Borowski übergelaufen ist, fand im privaten Fernsehkanal scharfe, verdammende Worte: Russland benehme sich Polen gegenüber so, als lebten wir noch in den 50er Jahren - mehr noch: wie zu Zeiten Katharinas II. Der Historiker Nalecz wollte offensichtlich seinen rechtsgerichteten Berufskollegen nicht nachstehen und zeigte sich empört über die »freche russische Belehrung«.
Sämtliche Sprecher der Opposition stellten erneut die Frage, ob es angesichts der sich verschlechternden Beziehungen zwischen Warschau und Moskau opportun sei, dass Staatspräsident Aleksander Kwasniewski der Einladung Wladimir Putins zu den Moskauer Feierlichkeiten anlässlich der deutschen Kapitulation und des Kriegsendes in Europa am 9. Mai Folge leistet. Putin habe ja, als er am 27. Januar in Auschwitz-Birkenau weilte, auch keine Zeit für Kwasniewski gehabt, hieß es in den Ausführungen Jaroslaw Kaczynskis (Gerechtigkeitspartei - PiS) und Roman Giertychs (Liga Polnischer Familien). Überhaupt - meinte Sejm-Vizemarschall Kazimierz Michal Ujazdowski (PiS) - seien die Beziehungen zu Russland »wegen unseres (!) Sieges in der Ukraine« desolat und man dürfe keine Schwäche zeigen. Was das heißen soll, ließ er nicht erkennen.
Auffällig war, dass sich das Bündnis der Demokratischen Linken in Schweigen hüllte. Womöglich wollte man sich nicht weniger patriotisch zeigen als die Opposition. Andere Linke beziehen jedoch klare Positionen. Am Montag veröffentlichte »Trybuna« mehrere Leserstimmen zu diesem Thema. Eugeniusz Szalato aus Kutno erinnert daran, dass derselbe Wladyslaw Bartoszewski, der am 27. Januar in Auschwitz-Birkenau über die Befreiung des Lagers durch die Rote Armee sprach, wenige Tage später, am 8. Februar, die Teilnahme von Polen an den Feiern am 9. Mai in Moskau ablehnte und meinte, dass »mit dem Einmarsch der Roten Armee 1944/45 in Polen eine 50-jährige Okkupation begonnen« habe, weshalb eine Teilnahme an den Feierlichkeiten »eine Schande wäre«. Jan Mazur aus Elblag fand, dass die »falsche Darstellung der historischen Tatsachen« für Polens östlichen Nachbarn »beleidigend« sei. Er riet allen, die den historischen Zusammenhang der noch vor dem endgültigen Sieg der Alliierten veranstalteten Jalta-Konferenz nicht wahrnehmen wollen, erst einmal nachzudenken, bevor sie Blödsinn von sich geben.
Am Montag erklärte Ministerpräsident Marek Belka übrigens, dass er nach Moskau fahren werde. Präsident Kwasniewski ließ dasselbe verlauten.
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