»An den Füßen aufgehängt und auf die Fußsohlen geschlagen«
Aus dem Kirchenasyl abgeschobener Kurde wurde in Istanbul gefoltert Von Reimar Paul
Mittwoch, 24. September. In einer armseligen Erdgeschoßwohnung in einem Istanbuler Neubaugebiet warten Heidi Lippmann-Kasten, niedersächsische Landtagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, und die Asylberaterin des Diakonischen Werks im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Verden, Angelica Williams, auf ihre Gesprächspartner Habip und Hazar Demir. Das kurdische Ehepaar und ihre sechs minderjährigen Kinder waren fünf Tage zuvor im Kirchenasyl in Uchte (Landkreis Nienburg) von der Polizei festgenommen und in die Türkei abgeschoben worden. Um nach ihrem Verbleib zu forschen, waren Lippmann-Kasten und Williams ein paar Tage später nach Istanbul gereist.
»Ohne Auftrag und aus eigenem Antrieb«, betonen die beiden Frauen. Die Abgeordnete betreut in ihrer Fraktion den Bereich Flucht und Asyl. Und im Kirchenkreis Verden lebt ein ebenfalls von Abschiebung bedrohter Bruder von Habip Demir
Nach ihrer Ankunft in Istanbul in der Nacht zum 20. September sei die ganze Familie von der Flughafenpolizei festgenommen worden, berichten die Eheleute den Bes'ucherinnen aus der Bundesrepublik. Die Kinder seien nach zwei Stunden, Hazar Demir nach einem Tag wieder freiT gekommen. Habip Demir wurde jedoch in ein anderes Gefängnis gebracht. »Dort hat man ihn verhört und gefoltert«, berichtet Angelica Williams. »Er wurde an den Füßen aufgehängt und immer wieder mit Knüppeln auf die Fußsohlen geschlagen. Wir haben die Schürfwunden
an seinen Fußgelenken und die geschwollenen Sohlen gesehen. Herr Demir war in einer ganz schlimmen Verfassung, als wir ihn trafen. Er hat die Folter auch psychisch überhaupt nicht verkraftet.«
In Deutschland hatte sich Demir öffentlich für eine politische Lösung des Kurdistankonflikts eingesetzt. Im Frühjahr beteiligte er sich an einer prokurdischen Demonstration in Düsseldorf, nahm später auch an einem Sternmarsch von Brüssel nach Straßburg teil. Türkische Zeitungen veröffentlichten daraufhin Fotos der Demonstranten und bezeichneten sie als PKK-Terroristen. Von den türkischen Behörden, so Lippmann-Kasten, wurde »dieser Vorwurf natürlich aufgegriffen«. Während des Verhörs und der Mißhandlungen hätten die Polizisten Demir immer wieder nach seinen »terroristischen Aktivitäten«, seinen Kontak-
ten, den Gründen für seinen Aufenthalt in Deutschland gefragt.
Am 22. September kam Demir vorläufig frei. Verwandte hätten dafür Geld bezahlt, viel Geld. Die genaue Summe kennen Lippmann-Kasten und Williams aber nicht. Während seine Frau und die Kinder bei Bekannten unterkamen, sei Habip Demir untergetaucht, halte sich nun »irgendwo in Istanbul« versteckt. Jederzeit drohten die neuerliche Festnahme, neuerliche Schläge, neuerliche Folter »Ein rechtsstaatliches Verfahren ist praktisch ausgeschlossen«, hat die Grünen-Politikerin bei Gesprächen mit dem türkischen Menschenrechtsverein IHD erfahren.
Das deutsche Generalkonsulat in Istanbul hat sich der offiziellen Version der Flughafenpolizei in Istanbul angeschlossen. Die Familie Demir sei »ordnungsgemäß mit dem von Ihnen angegebenen Flug am 20. 09 1997 eingetroffen«, heißt es in einem Telefax des Konsulats an den Landkreis Nienburg. »Da sie sich nach türkischem Recht keines Vergehens schuldig gemacht hatten, wurden sie unmittelbar nach der Einreise in die Türkei freigelassen.«
Vor ihrer Abschiebung lebte die Familie Demir bereits seit mehr als neun Jahren in Deutschland, die letzten sieben
Jahre in Uchte. Nachdem ihr Asylantrag endgültig abgelehnt wurde, versteckten sich die Eltern im Frühjahr bei Freunden. Die Kinder wohnten seitdem im Haus eines Onkels. Die Kirchengemeinde nahm die Kurden Ende Juli auf, um eine vorläufige Duldung und ein Asylfolgeverfahren zu erreichen. Bei der Räumung des Kirchenasyls am 19 September brachen Polizeibeamte nach Angaben der Gemeinde gewaltsam die Türen zum Mitarbeiterwohnhaus auf. Habip Demir, der in Panik auf das Dach des Gebäudes geflüchtet war, wurde mit Wasser aus Feuerwehrschläuchen bespritzt.
Der Polizeieinsatz und der »Bruch des Kirchenasyls« war von Flüchtlingsinitiativen und Menschenrechtsgruppen scharf kritisiert worden. »Der Einsatz von Wasserwerfern und Feuerwehrschläuchen gegen Menschen, die bei einer Abschiebung um ihr Leben fürchten müssen, zeugt von der zunehmenden Verrohung des Umgangs mit Flüchtligen in diesem Land«, hatte die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche erklärt. Eine Sichtweise, der sich Angelica Williams spätestens seit ihrer Rückkehr aus der Türkei angeschlossen hat. Sie findet es »unfaßbar, wie leichtsinnig man hier mit Menschenleben umgeht«.
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