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  • Politik
  • Sigmar Polkes »Die drei Lügen der Malerei« im Hamburger Bahnhof

Drei Wahrheiten über die Malerei

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 5 Min.

Bildtitel sind oft mehrdeutig. Sigmar Polke nennt 1994 ein Bild geheimnisvoll »Die drei Lügen der Malerei«. Und nun gar seine ganze Ausstellung samt Katalogbuch. Akzeptieren wir doch einfach die leise Infragestellung, die dem Titel innewohnt. Statt voreilig darauf zu antworten, bietet sich ein Zahlenspiel an. »Drei Lügen« also. Der Westen hob vor Jahrzehnten ein Dreigestirn von Malern auf den Schild. Die durften (und dürfen) in allen Staatsmuseen von Hamburg bis Stuttgart die besten Plätze beanspruchen: Gerhard Richter, A.R. Penck, Georg Baselitz. Man wollte erkannt haben, die DDR-Kunst sei von einer Viererbande bevorzugter Staatskünstler beherrscht. Also präsentierte man im Gegenzug gleich noch ein Triumvirat: Anselm Kiefer, Jörg Immendorf, Markus Lüpertz. Und Sigmar Polke?

Polke rangierte bisher daneben auf einem Sonderplatz, auf den ihn seine Erfolge im Ausland hievten. Seit der Biennale Venedig 1986 währt sein steter Aufstieg, neben dem der Glanz der anderen Malerfürsten zu verblassen beginnt. Polke ist schwer einzuordnen. Ein beweglicher, Veränderung suchender und mitunter bewirkender Typ. »Drei Lügen« zu vermeiden, sucht er die Wahrheit doppelt, zweiseitig, transparent. Neuerdings sind seine Bildflächen durchscheinend, damit zwei, oft drei Ebenen anbietend. Polke ist einer der ganz wenigen, die sich in den 90er Jahren enorm zu steigern vermochten - nicht nur in gigantische Formate. Er liegt im Trend: Wo Musik immer lauter, Film immer gewalttätiger wird, überwältigt Malkunst mit Größe in Quadratmetern.

Die zwei einzigen wesentlichen Ortsveränderungen seines Lebens passierten in der Kindheit. Der aus Schlesien, Gebürtige kam als Zwölfjähriger aus Thüringen ins Rheinland. Glasmalerlehre und Kunststudium dort gaben ihm zwei Impulse. Durchblick der Glasfläche. Kunstfreiheit nach Beuysscher Art. Anfang als der polemische Witzbold des »Kapitalistischen Realismus«. Längst darüber hinausgewachsen. Spürt Zeichen der Zeit.

In den 80er Jahren Aufbruch ins Heute. »Transit« nannte er nicht zufällig voriges Jahr seinen Einstand im Osten. Das war in Schwerin. Daraufhin bot die Bundeskunsthalle Bonn alles, was gut und teuer ist von ihm, auf zur Mammutschau: 230 Exponate den ganzen Sommer über Nun in Berlin der Beweis, daß das Weniger von 160 Exponaten ein Mehr an Substanz bietet.

Für Polke wurde ein Großteil der Sammlung Marx im Hamburger Bahnhof ausgeräumt. Und der bis ins Detail die Hängung bestimmende Maler setzt neue Akzente. Die Riesenbahnhofshalle interessiert ihn weniger als die daneben liegende »Ostgalerie« und die obere Etage des Ostflügels darüber Also dürfen in der Halle die Großobjekte des Kollegen Kiefer und anderer weiterhin zu klein wirken.

Er bringt den Raum mit den federleichten »Dürerschleifen« und den »Magischen Quadraten« von der Ostwand her zum Schweben. Nebenan inszeniert er die Großbilder der 90er als spirituelles Kraftfeld, das weit ausstrahlt. Seine Frühwerke dürfen hinter den engen Treppenaufund -abgängen inzwischen als Bagatellen ein wenig Allotria treiben.

Kehren wir zum Zahlenspiel zurück. »Drei Lügen«? Ja, Polke ist der magischen Zahl drei verfallen. Er liebt Bildkompositionen im Dreierrhythmus. Sie müssen ja nicht immer »Triptychon« hei-ßen wie das von 1996. Vier Jahre vorher entstand »Apparizione« (Erscheinung). An der Stirnwand der schier unendlichen Längshalle übt dieses Schlüsselbildtrio eine magisch-magnetische Anziehungskraft mit seinem Ocker-Rot-Blau aus.

Dem Hausherrn des Hamburger Bahnhofs, Peter-Klaus Schuster, gilt es als Polkes »Isenheimer Altar«. Neben dieser abstrahierenden Metaphysik wirkt die Dreierkonstellation von »Die Dinge sehen wie sie sind«, »Flüchtlingslager« und »Tropenwald« geradezu prosaisch gegenwartsnah, ja polemisch zugespitzt.

Die Wesensart des Meisters ist halt dreigeteilt: Hinterlistiger Schalk, alchimistischer Wundermacher, zeitkritischer Geist. Und drei Phasen bestimmen das Lebenswerk: In den Anfangsjahren war er clownesk, später experimentell und heute bietet er uns die tiefgeistige Synthese an. »Drei Lügen?« Oder lieber »Drei Wunder?« Das Bild »Landmaus - Stadtmaus« von 1997 nennt er im Untertitel »Lügen und Wunder der Malerei«. Er will hinter die Wunder kommen. Wie einst, als er die »Zwei Alten« von Goya durch Röntgenbilder fast sezierte. Er flieht vor den Lügen der Wirklichkeit, um mit den lügnerischen Mitteln der Malerei doch Wahrheiten auf die Spur zu kommen. Materiell, indem er immer neue Farbmixturen laufen läßt. Spirituell, indem er Verklärungen und Verunklarungen zelebriert. Aktuell, indem er immer wieder Themen beim Namen nennt. Von »Sicherheitsverwahrung« bis »Polizei-

schwein«, von »Radioaktiver Abfall« bis »Furcht« oder »Ruine«. Und »Für den dritten Stand bleiben nur noch die Krümel.«

Es gibt eine merkwürdige Gemeinsamkeit zwischen Künstlern, die im Osten blieben, und solchen, die aus dem Osten kamen. Alle stellen sich geradezu zwanghaft dem Zeitgeist. Polke tut das oft parodistisch, indem er karikaturistische Darstellungen zitiert und verfremdet. So etwa mit dem über Jahre (1988-96) geschaffenen Zyklus »Laterna magica«, in dem er seine Glasmalerfahrung nutzt. Leider sind nur die »Geschichte vom Hund« und eine zweite Comic-Version ausgestellt, Während die apokalyptische Vision mit dem Happy-End einer Slapstickpointe nur im Bonner Katalog abgebildet ist. Dieses sehr ernsthaft und gründlich gearbeitete Bild- und Textwerk ist leider überteuert, während der als überflüssige Zugabe produzierte Berliner Katalog von Preis und Gehalt her billig zu nennen ist. Denn er druckt über hundert Seiten in Übergröße effekthascherische Zerrgebilde, die der Meister mit zuckenden Handbewegungen am Kopierer zu erspielen pflegt.

Solcherart perfektionistische Routine gehorcht dem Zeitgeist. Der rächt sich allemal an seinen Opponenten durch Einvernahme. Und die Schickeria gefällt sich im Beweihräuchern. Polke wehrt sich pseudonaiv geschmeidig, mit gleitender Ironie. »Von nichts kommt nichts« und »Es ist alles schon mal dagewesen« - solche banalen Sätze brachten ihn einst zu konbanalen Bildern. Von etwas kommt eben auch etwas - in der Warenwelt ist Kunstware nur, was gefällt. Er floh und nahte sich dem schon mal Dagewesenen. Dem Genialen der Dürer und Goya. Wurde er damit kongenial? Er wurde zum großartigen Farbmagier des schwebend Different-Indifferenten. Die zeichnerische Substanz mußte er immer bei dieser oder jener Vorlage ausleihen. Kunstverwertung größten Ausmaßes. Ist er letzten Endes doch nur ein cleverer Manager - und somit ideal zeitgeistkonform?

Aber das sind schon mehr als drei Wahrheiten über Malerei.

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