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Nicht alles, was schlau scheint, ist auch klug

»La-Belle«-Prozeß Eine Verhandlung, die sich bis ins nächste Jahrtausend ziehen wird, stockte am ersten Tag

  • Lesedauer: 3 Min.

Von Rene Heilig

Offizieller Pressetext: Den Angeklagten wird vorgeworfen, in der Nacht zum 5. April 1986 in der Diskothek »La Belle« durch Sprengstoff eine Explosion herbeigeführt und dadurch drei Menschen getötet sowie bei neun Menschen dies versucht zu haben.

So einfach, wie es scheint, ist die Sache nicht. Schon die Polizeipräsenz vor und im Moabiter Gerichtsgebäude weist auf Sensibles hin. Nicht zu Unrecht fühlte man sich an den Mykonos-Prozeß erinnert, dessen diplomatische Nachbeben anhalten.

Richter Peter Marhofer war sich bewußt, daß er »einen der bedeutendsten Prozesse der jüngeren Berliner Justizgeschichte« zu leiten hat: Fünf Angeklagte, zwei Staatsanwälte, 16 Nebenkläger, 23 Rechtsanwälte, 68 geladene Zeugen, fünf Sachverständige, drei Dolmetscher (derzeit sucht man für einen der Nebenkläger

noch einen Urdu-Kundigen) sowie 91 Hauptakten samt 50 Beistücken verlangen Obersicht vom Gericht und Disziplin auch auf der letzten Zuschauerbank.

In ihren Glaskäfigen wirkten die fünf Angeklagten beherrscht - nur einer möchte nach fünf Minuten zur Toilette. Verena Chanaa, die die Bombe gelegt haben soll, zieht ab und zu am Pferdeschwanz. Ihr Ex-Mann verbirgt das Gesicht. Zum Ärger der Zeichner Kameras blieben vor der Sicherheitsschleuse.

Richter Marhofer sprach derweil von »Unwägbarkeiten« und wollte das auf den zeitlichen Rahmen bezogen wissen. Bislang sind Verhandlungstermine bis Mitte '98 ausgegeben. Unwägbar sind aber auch politische Auswirkungen - wie immer, wenn geheime Dienste im Spiel und im Verhandlungssaal sind. Wie schnell kann da der Ruf des Richters, alle - auch die Presse - mögen »fair« sein, verhallen. Schließlich scheint 1986 nicht nur das MfS »unfair« gewesen zu sein, indem es angebliches Wissen über einen möglichen Anschlag gegen in Westberlin stationierte US-Soldaten für sich behielt.

Irgendwie wußten auch CIA-Leute davon und legten in aller Ruhe libysche Angriffsziele für US-Bomber fest. Es bleibt abzuwarten, wer wessen Wäsche in Moabit waschen wird. Daß der erste »Wasch-

gang« bereits um 11.38 Uhr beendet war, lag vordergründig an Yasser Chraidis Rechtsanwalt. Christian Ströbele heißt er, und er stellte den Antrag, den Richter samt Beisitzerin wegen Befangenheit ab-

das libysche Volksbüro gearbeitet haben. Er war laut Anklage mit der Organisation des Anschlags beauftragt.

ALI CHANAA (38)

wurde am 18. April 1959 ebenfalls in einem Beiruter Palästinenserlager geboren und besitzt seit 1986 einen deutschen Paß. Er kam erstmals 1976 nach Deutschland, arbeitete als Pizzabäcker und bei Aldi. Am 15. April 1982 soll er sich zur Zusammenarbeit mit der DDR-Staatssicherheit unter dem Decknamen »Alba« bereiterklärt haben, um weiter Frau und Kind treffen zu können.

VERENA CHANAA (38) ,

geborene Hampel, ist Deutsche und wurde am 8. Januar 1959 in Ostberlin geboren. Sie lebte zumeist bei der Großmutter und arbeitete als Sekretärin. Auch Verena hatte mit dem MfS zu tun, sagt die Staatsanwaltschaft. 1982 heiratete sie Ali (Scheidung 1987) und durfte mit ihm nach Westberlin ausreisen.

ANDREA HÄUSLER (32)

ist die Schwester von Verena. Sie wurde am 17 April 1965 in Ost-Berlin geboren. Am 22. Januar 1986 durfte sie nach West-Berlin ausreisen. Dort wohnte sie bei der Schwester

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