Der tiefe Fall

Uraufführung von »Himmelsleiter« am Hans-Otto-Theater Potsdam

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Rückblick schrumpft Geschichtszeit ein zum irren Clip. Etwas steuert auf eine Katastrophe zu, aber auch die ist längst historisch, was geht's uns an? So der herrschende Zeitgeist. Das Hans-Otto-Theater findet, Geschichte sollte uns aber etwas angehen, und hat darum den etwas sperrigen Bilderbogen »Himmelsleiter« von Ulrich Zaum als Uraufführung herausgebracht. Sehr mutig, denn dieser erweist sich als fast unspielbar. Thema: Die Geschichte der Kommunisten zwischen 1919 und 1952. Der Kommunismus bietet sich immer an, wenn man die Blutspur der Geschichte auf die Schnelle bebildern will. Verlorene Illusionen? Gewalt? Daraus besteht der Fortschritt in der Geschichte, der - siehe Marx - seinen Nektar bevorzugt aus den Schädeln Erschlagener trinkt. Das war vor der Erfindung des Kommunismus so und ist auch nach seiner Abschaffung so geblieben. Aber der Traum von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit ist viel älter als die Bewegung des Kommunismus. Er ist ja ein Ferment der Menschwerdung überhaupt. Warum aber hat sich der Kommunismus selbst zum eigenen Hauptfeind gemacht, sich selbst in barbarischer Weise am unerbittlichsten verfolgt - bis hin zum Massenmord? Eine schwierige Frage und ein Theaterabend kann sie gewiss nicht beantworten. Aber, dass sie überhaupt immer wieder gestellt wird, und zwar in aller Zuspitzung, zu der Theater fähig ist, das scheint wichtig. Sind es nur die Neurosen der Macht (Stalin als pathologischer Einzeltäter?), oder ist in der Art des kommunistischen Traums schon seine missbräuchliche Verwendung angelegt? Gewiss ist der Kommunismus (anders als der Faschismus!) eine Form der Aufklärung, aber er besitzt auch eine quasi-religiöse Seite, den urplebejischen Traum von der Erlösung des Einzelnen aus Verhältnissen, die ihn knechten. Kommunismus trägt also auch eine heilsgeschichtliche Dimension in sich - und wo man diese aus dem utopischen Reich (wo sie allein hingehört) ins Ideologisch-Parteipolitische übersetzt, bauen sich Sektenstrukturen auf. Da wird dann unter der Losung der Befreiung als erstes die Freiheit liquidiert. »Himmelsleiter« zeigt, wie dem die Liquidierung des Menschen folgt. Dass der Kommunismus eine unüberschaubar-differenzierte, weil formaljuristisch geregelte Gesellschaft mit ihrer sich reproduzierenden Verteilungsungerechtigkeit durch eine überschaubare Gemeinschaft (diese schöne Utopie) ersetzen und die Moral zum gesellschaftlichen Regulativ erheben wollte, machte ungewollt den Weg frei für absolute Macht und Willkür. Aber die Frage so abstrakt abzuhandeln, hieße wieder über Einzelschicksale hinwegzugehen. Das ist die Chance des Theaters, denn dieses debattiert und theoretisiert nicht, sondern zeigt etwas in sinnfälliger Form. Wie Menschen unter unerträglicher Spannung stehen, eigener Anspruch (Gewissen!) und Parteiauftrag Dinge werden, die sich feindlich gegenüberstehen, muss man miterleben. Welche Dramen sich abspielten unter denen, die eine menschlichere Gesellschaft wollten und die erfuhren, dass es irgendwann allein noch um Macht-Exempel ging. Dass es ein Verbrechen war, noch Fragen zu haben, wo doch alle Antworten schon gegeben und nur noch nachzubeten waren. Auf mehreren deutschen Bühnen sieht man derzeit einen ähnlichen Versuch, dem Kommunismus eine Bühne jenseits der Macht und jenseits des Museums zu bauen. »Die Geschichte des Kommunismus - nacherzählt für Geisteskranke«. Der Rumäne Matéi Visniec bringt die Geschichte des Stalinismus auf ihren absurden Punkt. Kein Lehrstück und wenn doch, dann ein paradoxes über die menschliche Leere der Menschheitsbeglücker, den Terror der großen Glücksversprechen. Die handelnden Personen in der »Russenhalle« (bis 1992 Fahrzeughalle der Sowjetarmee), direkt neben dem Potsdamer Theaterneubau, haben zumeist authentische Vorbilder. Mit denen das Stück dann aber frei umgeht. Das scheint inkonsequent, denn entweder werden die hier benannten Personen gedeutet oder sie sind erfunden. So aber jagen wir in gut dreieinhalb Stunden durch 30 (!) Bilder von der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes - durch ganz Europa - bis 1952 in Berlin alles endet. Gustav Reiser (mit Barton-Fink-Aroma: Moritz Führmann), 1919 als Kommunist angetreten, wird zum Antikommunisten, der Zauber des Versprechens einer besseren Zukunft ist gebrochen. Damit - noch vor Stalins Tod - endet die Faszinationsgeschichte des Kommunismus. Das scheint dann doch ein wenig oberflächlich gedacht. Wie hier überhaupt einiges zu eilig über den Laufsteg des Boulevards geht. Arnolt Bronnen zum Beispiel spielt eine Rolle, nur heißt er hier Arnolt Brunner. Bronnen war eine Figur, in der sich der Ideologiekampf des 20. Jahrhunderts bündelte. Expressionist (»Vatermord«), Brecht-Freund, Goebbels-Freund, Nazi, verbotener Autor, Widerständler gegen die Nazis, in der DDR Theaterkritiker und reuiger Schreiber immer noch lesenswerter Memoiren. Viel und mit gutem Grund gehasst, aber nicht ohne Genie, verrückt wie das ganze Jahrhundert. Andreas Herrmanns Arnolt Brunner aber ist nicht Bronnen, sondern eine reine Karikatur als charakterlos herumtändelnder Party-Man. Ganz anders Roland Kuchenbuch als Willi Maienberg, dem Willi Münzenberg als Vorbild diente. Zur »ultralinken« Fraktion der KPD gehörend, stand Münzenberg einem Medienunternehmen vor, das Zeitungen und eine Filmgesellschaft in ihrem Besitz hatte. Münzenbergs Kampf um die Bewahrung seiner Ideale endet 1938 mit dem KPD-Ausschluss, in Moskau war er 1936 nur knapp der Liquidierung entkommen, er stirbt 1940 nach seiner Flucht aus einem Internierungslager bei Lyon unter ungeklärten Umständen. Kuchenbuch zeigt die Tragik des langen, aber vergeblichen Kampfes gegen das Zermürbtwerden. Da wird einer, der gegen Krieg und Nazis kämpft, von den eigenen Genossen gerade deshalb immer stärker isoliert und beargwöhnt. Das ist dann das Gegenteil von Vernunft, das ist reiner Wahnsinn und schlimmer noch: Verbrechen. Stichworte aus »Himmelsleiter« sind Sozialfaschismusthese, Hitler-Stalin-Pakt, Paris, Interbrigaden in Spanien, Hotel Lux, Slánsky-Prozess... Am Anfang scheint es nicht mehr als eine hektische Bilderfolge, aber dann nimmt dieser Zug der Zeit Fahrt auf. Dank vor allem der jungen Schauspieler im Ensemble spannt sich ein wirklicher Bogen. Faszinierend im Spiel ohne alle falschen Beitöne: Jennipher Antoni. So rettet sich Regisseur Tobias Sosinka (erfolgreich in Potsdam bereits mit »Hermannschlacht«) in ureigenste Mittel des Theaters. Damit ist er gut beraten. Kein Urania-Abend (die Gefahr steckt in »Himmelsleiter«), sondern einer, der Fragen mal grotesk, mal burlesk, aber immer drastisch stellt, Geschichte auch in ihrem blutigen Wahnsinn verstehen will. Nicht als exotische, längst tote Historie, sondern etwas, das bis in die Gegenwart wirkt. Der Abend gibt Anstoß zur Diskussion, am 20. April debattieren Gregor Gysi und Oskar Lafontaine. Nächste Vorstellungen heute und 18.3., 30.3. Russenhalle Schiffbauergasse Potsdam, 19.30Uhr
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