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  • Politik
  • Hermannus Pfeiffer: Der Kapitalismus frißt seine Kinder

Attacke gegen Miesmacherei

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Werner Rügemer

Die bundesdeutsche Ökonomie ist weltmarktfähig wie kaum eine andere, die Löhne sind im realen Wettbewerb nicht zu hoch und das soziale Netz weiterhin tragfähig. Deutschland wird Sieger der angeblichen Globalisierung - dafür spricht -die Kapitalkraft der Konzerne und ihre Innovationskraft.« Mit dieser These will Hermannus Pfeiffer dem miesmacherischen Gerede entgegentreten, das von der Unternehmenslobby und der Bundesregierung über den »Standort Deutschland« verbreitet wird. Pfeiffer führt eine Reihe Gegenbeispiele an: Die Erfolgsstory der Softwarefirma SAP aus dem badischen Walldorf, die Investitionen von IBM in Deutschland, die neuen Fabriken von Siemens und AMD in Dresden, die innovativen Produkte und zahlreichen Patente von BASF im Bereich der Bio- und Chemieindustrie, schließlich die Wertsteigerung der Aktien des DAX (Deutscher Aktienindex) um 350 Prozent im Jahrzehnt zwischen 1987 und 1997 Pfeiffer legt richtig dar, daß der Hauptgrund für Unternehmensgründungen im Ausland nicht die angeblich zu hohen

Löhne in Deutschland sind, sondern die Nähe zu neuen Märkten.

Pfeiffer beschreibt zahlreiche irrationale Erscheinungen des »wilden Kapitalismus der Jahrtausendwende«: unsinnige Produktvielfalt bei Kosmetika und Autos, steuerliche Anerkennung von Schmiergeldern, »liederlicher Kapitaleinsatz«. Pfeiffer entblättert den »Mythos Markt«: Unter dem EU-Kartellrecht ist es noch leichter, Kartelle zu bilden und Großfusionen durchzuziehen (»zentralisierte Marktwirtschaft«). Der Staat ist nicht neutral, sondern organisiert die Umverteilung des Reichtums durch Dauersubventionen und Steuerpolitik (»Betrug mit System«). Das ist nicht nur in Deutschland und den USA so, sondern hat sich als Modell in allen kapitalistischen Staaten durchgesetzt.

Mit Recht stellt der Autor fest, daß die Europäische Währungsunion vor allem ein »deutsches Projekt« ist und schon im Vorfeld europaweit die selben Folgen verursacht und verstärkt wie die Kohlsche Wirtschaftspolitik in Deutschland selbst: Arbeitslosigkeit, Lohn- und Sozialabbau, Verbesserung, des Kapitalprofits. Der »Maastricht-Vertrag« enthält nur finanzielle, aber keine sozialen Kriterien. Pfeif-

fer bedauert, daß sich die allermeisten Linken von diffusen Hoffnungen auf Einbindung und Neutralisierung »Deutschlands« in Europa einfangen lassen: Seine eigene Kritik an der europäischen Währungsunion bleibt allerdings unscharf und hängt mit dem diffusen Begriff von »Deutschland« zusammen.

Pfeiffer kommt zu dem Ergebnis, daß der weltweit siegreiche Kapitalismus in seine eigene Falle läuft. »Die Globalisierung ist gar keine«, sagt er mit Verweis darauf, daß die Akteure einseitig auf dem Globus verteilt sind, nämlich in den kapitalistischen Hauptländern USA, Deutschland, Japan, England usw., und daß auch da wiederum nur ein paar hundert Multis das Kapital und das Gesetz in der Hand haben. »Die Mehrheit der Menschen steht abseits«, »die zivilen Gesellschaften stehen vor dem Zerreißen«. Daran schließt Pfeiffer die Frage an: »Frißt der wilde Kapitalismus seine braven Kinder?« Zu diesen Kindern könnten, meint er, am Ende gar auch Deutsche Bank, Daimler und Siemens gehören diese Feststellung ist nicht unbedingt falsch, verwechselt aber die Ebenen. Denn der gegenwärtige Kapitalismus frißt die einen Kinder, aber die anderen wie

Deutsche Bank, Daimler und Siemens macht er fett bzw bildet sie zu kräftigeren Fressern heraus, die auch vor der eigenen Belegschaft, dem Staat und der Umwelt nicht Halt machen.

Pfeiffer, Inhaber des »Pressebüros finanzdienstleistungen« in Hamburg, bietet zahlreiche interessante Beobachtungen aus der widersprüchlichen Welt des »Kasinokapitalismus«. Doch zwischen der optimistischen Feststellung, der »Standort Deutschland« sei besser als sein Ruf, und der pessimistischen Feststellung, der wilde Kapitalismus fresse seine Kinder, bleibt eine Lücke. Beide Feststellungen stehen unvermittelt nebeneinander Es wird nicht klar, ob der Autor die »glorreiche Zukunft« des »Standorts Deutschland«, von der er im Untertitel seines Buches spricht, nun ironisch meint oder nicht. Pfeiffer zitiert am Ende einige Alternativen, die etwa von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik sowie vom Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland zusammen mit Misereor (»Zukunftsfähiges Deutschland«, 1996) vorgelegt wurden. Vergleichbare Vorschläge gibt es zahlreich, und sie bleiben blaß. Das wird auch so bleiben, solange nicht nach dem »Mythos Markt« auch der »Mythos Deutschland« einer schärferen Kritik unterzogen wird.

Hermannus Pfeiffer- Der Kapitalismus frißt seine Kinder Der Standort Deutschland, seine Gegner und seine glorreiche Zukunft. Papyrossa Verlag, Köln 1997 218 S., br.,28DM.

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