- Politik
- Die Nazi-Sondergerichte und die bundesdeutsche Justiz
Freislers »Panzertruppe der Rechtspflege«
Von Hans George
Wenn wir siegen, werden bestimmt die Köpfe rollen« - so Hitler 1930 als Zeuge vor dem Reichsgericht. Mit wessen Hilfe »Köpfe rollen« sollten, hatte er schon in »Mein Kampf» angekündigt. Einst werde »ein deutscher Nationalgerichtshof etliche Zehntausende der organisierten und damit verantwortlichen Verbrecher des Novemberverrates (von 1918) und alles dessen, was dazu gehört, abzuurteilen und hinzurichten» haben.
Mit der Bildung von Sondergerichten vor 65 Jahren leitete das Nazi-Regime
erste Schritte zur Realisierung der Hitlerschen Ankündigung ein. Am 21. März 1933 wurde im Reichsgesetzblatt die Verordnung über die Bildung von Sondergerichten veröffentlicht - knapp drei Wochen nach der Notverordnung »Zum Schütze von Volk und Staat« (Reichstagsbrandverordnung). Ebenfalls am 21. März erfolgte die Verkündung der Verordnung zur »Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung«. Drei Tage später kam das Ermächtigungsgesetz - ein komplettes Gesetzeswerk zur Aufgabenstellung für die Sondergerichte und zur Realisierung der Drohung Hitlers in der Nacht des Reichstagsbrandes: »Es gibt jetzt kein
Erbarmen mehr...« Das Instrumentarium des Terrors und damit die Vorgabe für die Sondergerichte wurde fortlaufend perfektioniert. Mit dem »Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen« vom 20. Dezember 1934 etwa und den Nürnberger Rassengesetzen zur Verfolgung vor allem der jüdischen Bevölkerung. Später mit der »Polenstrafrechtsordnung«, der »Rundfunkverordnung«, der »Volksschädlingsverordnung« usw. Der spätere Präsident des 1934 gebildeten »Volksgerichtshofes«, Roland Freisler, hat als Staatssekretär des NS-Justizministeriums immer wieder die herausragende Rolle der Sondergerichte betont.
Er nannte sie »Standgerichte der inneren Front« und »Panzertruppe der Rechtspflege«.
Verfügt wurde mit der Verordnung vom 21. März 1933 die Bildung von jeweils einem Sondergericht in jedem Oberlandesbezirk. Nach Kriegsbeginn wurde in jedem Landgerichtsbezirk ein Sondergericht eingerichtet. Im Februar 1940 gab es 40, Ende 1942 bereits 74 solcher Einrichtungen.
Sondergerichte wüteten in den überfallenen Ländern. Im ersten Halbjahr 1942 wurden 530 Todesurteile gegen polnische Bürger gesprochen. Das Sondergericht Zichenau verurteilte im Juni 1944 ein Polin zum Tode, weil sie einen Kri-
minalbeamten geohrfeigt hatte. - Es ist schon erschreckend: 65 Jahre nach Schaffung der Sondergerichte hat es Bonn noch nicht fertig gebracht, deren Urteile ohne Wenn und Aber als Unrecht von Beginn an aufzuheben. Allein in Berlin sind nach offiziellen Angaben noch 200 000 Urteile der NS-Justiz rechtsgültig, von denen 50 000 auf das Konto Berliner Sondergerichte kommen.
Gegenwärtig liegen dem Bundestag drei verschiedene Gesetzentwürfe und dem Bundesrat eine gemeinsame Initiative Berlins und Sachsen-Anhalts zur pauschalen Aufhebung aller Urteile gegen Widerstandskämpfer, NS-Gegner, Wehrmachtsdeserteure, Homosexuelle und anderer Verfolgtengruppen vor. Sie sollen, so wurde angekündigt, noch in dieser Legislaturperiode endlich zu einer förmlichen Beseitigung des »unwürdigen Erbes« der NS-Justiz führen. Man kann nur hoffen, daß es dazu kommt.
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