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  • Politik
  • Hellmuth Karasek schrieb einen Schlüsselroman, der viel Spektakel verursacht

Ein bißchen an der Oberfläche gekratzt

  • Klaus Beilin
  • Lesedauer: 5 Min.

Die letzte Party in diesem Buch gibt Chefredakteur Schwab, und natürlich geht's zu wie auf den vorangegangenen Parties auch. Es wird viel geredet und noch mehr getrunken, Milva singt, und der Liedermacher, den sie aus der DDR geschmissen haben, auch. Die Politiker halten hof, dem Gastgeber, der bald kein Chefredakteur mehr sein wird, kippt jemand den Rotwein aufs Hemd, und der berühmte DDR-Dichter, der Brecht-Schüler mit den braunen Stummelzähnen und der Zigarre, der öfter im Westen ist als zu Hause, erklärt unter Räuspern, daß »Schtalin« der einzige konsequente Sozialist gewesen sei. Später, wenn das total beschwipste, das erschöpfte Partyvolk besinnungslos in den Betten liegt, werden die Fernschreiber die Meldung verbreiten, daß der ehemalige Ministerpräsident Schleswig-Holsteins sich in einem Genfer Hotel das Leben genommen habe.

Karasek packt aus, hieß es bei 3sat am letzten Donnerstagabend. Die Schlagzeile war auf das Ereignis der Stunde gemünzt, eine Hamburger Buchpremiere, zu der, neugierig und in Erwartung einer hübschen Sensation, rund 400 geladene Journalisten kamen. Es war proppenvoll, dpa registrierte ein enormes Interesse der Medien- und Buchszene, und der Urheber der ganzen Aufregung beteuerte so unschuldig er konnte, sein Opus sei eine »Verbeugung vor dem Magazinjournalismus, der dafür gesorgt hat, daß die Bundesrepublik so aussieht, wie sie aussieht«. Anschließend, im Fernsehen, beneidete er noch rasch die Amerikaner, weil sie nicht so verbissen sind und keine häßlichen Trennungsstriche zwischen der E- und'der U-Kunst ziehen. Er ist, wie man sehen konnte, einigermaßen stolz auf sein Werk.

Das Werk, ein Roman, der erste, den Hellmuth Karasek nach einigen Theaterstücken schrieb, erzählt, nur leicht verschlüsselt, von jenem »Magazin«, dem er über 20 Jahre lang brav diente, bis

ihm 1996 seine ungebremste Begeisterung für den »Rossini«-Film den Stuhl kostete. Den Groll hat er nun auf über 400 Seiten abreagiert, aber das, was es wohl werden sollte, ein richtiges, kräftiges Enthüllungsstück, ist es bei aller Anstrengung nicht geworden. Der Blick bleibt an der Oberfläche kleben, und die offenbart nicht viel mehr, als man vom »Spiegel« ohnehin schon weiß. Statt tiefer Einblicke (etwa in die Verquickung von Medien, Wirtschaft und Politik) gibt's einen Haufen Schnurren und scheußliche Typen, eine Menge Insiderklatsch und Kraftmeierei, verrührt mit Ereignissen wie der Waldheim- und der Barschel-Affäre.

Im Zentrum agiert, immerzu schweißgebadet, ein Redakteur, dem Karasek sein einstiges Pseudonym Daniel Doppier verpaßt hat. Der Junge kämpft sich tapfer durch die vielen Seiten, und wenn man auch nicht richtig mitbekommt, was er eigentlich die ganze Zeit treibt: Er ist ja auch nur dafür da, das hierarchisch organisierte Panoptikum vorzuführen. Da

wimmelt's von aufgeblähten, arroganten Chefs und ausgepowerten, eher konturlosen Angestellten, von Wichtigtuern, Angebern, Karrieristen, Feiglingen, Duckmäusern, Versagern, aufstrebenden Blondinen und Rothaarigen, und wenn sie nicht gerade wieder irgendeine Schweinerei aufdecken oder verzweifelt mit ihrer Schreibblockade ringen, stehen sie auf Gängen oder Partys herum, und irgendwann fordert der »sibirische Juxknüppel«, wie das männliche Organ im »Magazin«-Ton heißt, sein Recht.

Es geht wüst zu in diesem Laden, wo man meist in winzigen Löchern hockt und frustriert seinem Tagwerk nachgeht. Mal verschafft uns Karasek den Blick in die Redakteurskonferenz, mal geht's um die Schlußredaktion, einmal muß sein Held ein wichtiges Interview machen, hat nichts auf dem Tonband, rekonstruiert alles aus dem Hut, und der interviewte Großschriftsteller, ha ha, merkt es nicht einmal. Zwischendurch werden Machtworte gesprochen, Intrigen gesponnen, Betten und Ledersofas strapaziert oder ein paar Gestalten des öffentlichen Lebens vorgeführt. Dann erhält der große F.F seinen Auftritt, Karaseks grobgeschnitzte Grass-Karikatur, oder Heiner Müller, der immer »Schtalin« sagt, oder Hamburgs Bürgermeister von Dohnanyi.

Ist das alles? Es ist beinahe alles. Ein paar Witze und Kalauer kommen noch dazu, ein paar sexuelle Anspielungen und von Zeit zu Zeit der andächtige Hinweis, daß es »lockere Zeiten« waren damals,

noch nicht ganz so schlimm, soll das hei-ßen, wie heute, wo die geschniegelten Yuppies die Szene beherrschen. Karasek gibt sich vollmundig und hemdsärmelig, aber das Amüsement hält sich in Grenzen. Die Geschichtchen, die er auftischt, sind harmlos und häufig so verschwitzt wie das Personal, da hilft es auch wenig, daß er sein Buch hin und wieder ein bißchen anreichert, mal mit Absätzen über die Umwelt, mal mit einem Aids-Toten. Zuweilen, etwa in der langen Partie, die die Barschel-Affäre auswalzt, wird's sogar richtig zähflüssig und strapaziös, aber da ist das Buch glücklicherweise nicht mehr weit von dem Augenblick entfernt, da Doppier seinen Job hinschmeißt, in ein Auto rennt und ramponiert im Krankenhaus landet.

Daß der Roman mehr verspricht, als er halten kann, hat sich bereits herumgesprochen. Daß es mit seinen Enthüllungen nicht weit her ist, auch. Es hagelt Verrisse. Der »Spiegel«, natürlich, wehrt sich am heftigsten und nennt Karasek in seiner jüngsten Ausgabe einen »Champion im Schattenboxen«. Es wird dem Autor wenig ausmachen. Auch im Verlag wird sich kaum jemand grämen. Rowohlt hat immerhin 100 000 Exemplare auf den Markt geworfen und die Aufregung ganz sicher einkalkuliert. Das Geschäft läuft ohnehin am besten, wenn es schön laut zugeht.

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