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  • Kultur
  • THOMAS STEINFELD dem Mythos Weimar auf der Spur

Ideale, Illusionen

Vnn Frm.trn.ud Gut.schke

  • Lesedauer: 3 Min.

wollte. Thomas Steinfeld hat nicht Forschungsarbeit geleistet wie jetzt Sigrid Damm; er hat sich lediglich fleißig in vorhandener Weimar-Literatur umgetan. Wenn er über das »Goldene Zeitalter«, das »Silberne« und das »Bronzene« erzählt, die mit der Klassik, dem Umkreis Liszts und dem Bauhaus verbunden werden, dann pflegt er einen frischen, geistreichen Plauderton und gefällt durch pointierte Formulierungen. Aber, wie gesagt, es geht ihm um etwas Umfassenderes - um den Mythos Weimar, um Deutschland, das Leben überhaupt.

Weimar - »eine Stadt mit einer >Feiertagsluft<, die man nur mit erhobenem Blick und gesenkter Stimme durchwandern durfte« - zuerst denkt man, der Autor wollte sich nur darüber lustig machen. So wie Kisch 1927 höhnisch von einem »Naturschutzpark der Geistigkeit« sprach. Seit jeher haben Zitate der Enttäuschung zum Musenort gehört. Pathetischer Anspruch und provinzielle Enge - der Geist von Weimar ist eben ambivalent.

Thomas Steinfeld: Mythos Weimar Mit Fotografien von Barbara Klemm. Klett-Cotta. 288 S., geb., 48 DM.

Daraus ein Sinnbild für deutsche Geschichte zu konstruieren, bot sich geradezu an. Seit 1945 kam dann der Gegensatz zwischen Goethehaus und Buchenwald, zu-

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lichkeit, im Traum von der Geborgenheit inmitten gebildeter Menschen, die über ihren elitären Kreis hinaus kultivierend auf die Gesellschaft wirken. Das war der Goethesche Lebensentwurf, der in der DDR im Ideal der allseitig und harmonisch entwickelten Persönlichkeit weiterlebte. Die freie Entwicklung eines jeden, die “laut Marx Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, als humanistisches Ziel - wie sollte ein Intellektueller wie Thomas Steinfeld dafür kein Verständnis haben. Umso mehr drängt es ihn zur Auseinandersetzung mit dem Illusorischen. Die Tatsache, daß Künstler mit ihren hochfliegenden Vorstellungen immer wieder gescheitert sind, wird in den Rang einer Gesetzmä-ßigkeit erhoben.

Es handelt sich um ein Widerspruchsfeld, in dem sich nicht nur das Feuilleton der FAZ bewegt. Eine durch Kultur bestimmte Politik müßte ureigenstes Anliegen sein, aber das würde eine konsequent politikkritische Haltung voraussetzen. Weil sie subjektiv nicht lebbar sind, schei-

nen Gesellschaftsutopien unerträglich. Das ist auch der Grund für die Intellektuellenschelte, wie sie etwa Grass getroffen hat. Wenn sich ein einzelner als öffentliches Gewissen versteht, wird er doch für die Allgemeinheit zum Vorwurf. In der DDR sollten Künstler ideologisch dienstbar werden, indem man die Einheit von Geist und Macht beschwor Heute sagt man, daß der Dichter wie jeder andere Bürger wählen dürfe; ansonsten solle er dichten, in politischen Dingen sei er nicht klüger als der Autoschlosser von nebenan.

Es ist faszinierend, wie Thomas Steinfeld sukzessive das Fragwürdige im Mythos Weimar enthüllt - schon bei Goethe selbst, beim Anspruch Liszts, der Verklärung Nietzsches, dem dadurch möglichen Mißbrauch seines Erbes. Er spricht ironisch von einer »pädagogischen Provinz der bleibenden Werte«, nennt Weimar »eine List wider die Geschichte«. Stimmt. Aber- Gibt es bleibende Werte nicht? Ist etwa jetzt schon bekannt, wie Geschichte verlaufen muß?

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