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Kritik am Kungeln, aber keiner wollte kandidieren

Wahl zum Fraktionsvorstand nahm einen komplizierten Verlauf

  • Lesedauer: 4 Min.

Von Wolfgang Rex, Stolberg

Per Stimmzettel offenbarte sich ein Konflikt in der PDS-Fraktion des Bundestages. Ausgetragen wurde er nicht. Zwei Tage lang diskutierten 33 der 35 Abgeordneten in der Eifel über Regeln für die künftige Arbeit und über die nächsten Wochen im Parlament.

Beinahe wären die Ereignisse am Rande die interessantesten gewesen. Täve Schur frühstückte am Donnerstagmorgen per Zufall mit Olaf Ludwig in der Eifelstadt Stolberg nahe der belgischen Grenze. Zufall deshalb, weil die PDS-Fraktion im selben Hotel in Klausur saß, in dem die Radfahrer von Telekom vor und nach den Trainingsstunden wohnen. Kolportiert wurde die Frage vom Rennstall Telekom, wer denn der »Kleine« an Täves Seite sei. Gregor Gysi weiß von solchen Scherzen zur Ge-

nüge und behauptet, 95 Prozent der Bevölkerung würde ihn kennen.

Wie gut kennen sich aber die Abgeordneten der PDS? Am Mittwochabend erlebte die Fraktion ihre erste Überraschung. Vorher war ausgekungelt worden, wer an die Spitze der Fraktion gewählt werden soll. Daß man Gysi unangefochten und ohne Gegenkandidaten zum Fraktionschef nominiert, das war allen klar Nach Gysi bestimmten die Abgeordneten Christa Luft zu einer von drei Vizevorsitzenden. Nachrichtenagenturen bereiteten da schon ihre Meldungen vor, als die Wahl ins Stocken kam. Heidi Knake-Werner wie Wolfgang Gehrcke erhielten im ersten Wahlgang nicht die notwendige Mehrheit von 17 Stimmen. Einige Abgeordnete rieben sich hinterher die Hände. Andere schimpften auf diejenigen, die ohne vorherige Kritik gegen die beiden Kandidaten stimmten. Von Beratungsbedarf war die Rede. Der Wirt des Sporthotels hatte pünktlich 21 Uhr das Fleisch für das Abendessen auf dem Grill. Er mußte bis nach 22 Uhr warten.

Gründe für eine andere als die geplante Fraktionsführung wurden mehrere genannt. Mit einer jungen Abgeordneten hätte die PDS ein Zeichen für neue Wähler setzen können, hieß es. Im Gespräch war Angela Marquardt, mit 27 Jahren eine der jüngsten Abgeordneten des 14. Bundestages. Petra Bläss, bereits zum dritten Mal im Bundestag, soll in dieser Sache vergeblich bei Gysi vorgesprochen haben. Marquardt wollte dann während der .Krisensitzung nicht von selbst ihre Kandidatur ankündigen, andere traten nicht für sie ein. So wurden im zweiten Wahlgang Knake-Werner wie Gehrcke ohne Gegenkandidaten gewählt.

Ein zweiter Grund für das erste Mißtrauensvotum in der Fraktion sei der schon im 13. Bundestag schwelende Ost-West-Konflikt, meinten einige Abgeordnete. Der jetzt gewählte vierköpfige Fraktionsvorstand hält allen Quoten stand. Zwei Frauen, zwei Männer, zwei Ossis, zwei Wessis. Heidi Knake-Werner kommt aus Bremen, Gehrcke ist in Bayern geboren und hat lange in Hamburg gelebt.

Eine Partei, die im Osten stark ist, sollte das auch im Fraktionsvorstand zeigen, meinten anfängliche Gegner der West-Kandidaten.

Ansonsten diskutierten die 33 nach Stolberg gefahrenen Abgeordneten viel länger als geplant Geschäfts- und Betriebsordnung. Mit ihrem neuen Status als Fraktion hat die PDS nicht nur mehr Rechte. Sie bekommt auch mehr Geld für die politische Arbeit. Der etwa 150köpfige mittelständische Politikbetrieb in Bonn darf sich vergrößern. Der Standard, der in anderen Fraktionen bereits üblich ist, zieht auch in der PDS ein. Da sind Berater für Gysi geplant und Leute, die parlamentarische Initiativen strategisch vorbereiten. Wolfgang Gehrcke, auch stellvertretender PDS-Vorsitzender, bezeichnete das als künftige Denkfabrik. Zusätzlich zur Parteistiftung, die ebenfalls nach dem erneuten Wahlsieg eingerichtet werden kann. Schon tauchte in der Fraktion die Furcht auf, solcher Apparat könne Abgeordnete entmündigen. Auf der anderen Seite braucht die PDS mehr Fachleute, die die parlamentarische Arbeit der Abgeordneten betreuen können.

Bestätigt wurde in Stolberg noch ein Papier mit 15 Parlamentsinitiativen. Fünf davon waren schon vor einer Woche während der Klausur in Berlin beschlossen worden. Was kommt noch dazu? Die PDS will den kostenlosen Zahnersatz auch für Jugendliche wieder einführen. Der war

im vorigen Jahr von der Koalition aus CDU/CSU und FDP gestrichen worden. Die Zuzahlungen für Medikamente möchte die PDS wieder senken, wenn sie Mehrheiten im Parlament findet. Auch an die Nutzer von Wochenendgrundstücken wird gedacht. Hier sollen Grenzen für Pachtgebühren im Osten gezogen werden. In einigen Gemeinden sind bereits Wuchergebühren üblich, die Preise in solchen Nobelgegenden wie der am bayerischen Ammersee übersteigen. Auf dem Wunschzettel der PDS stehen auch die Wertschöpfungsabgabe als neue Steuerform und das Ende für Niedrigstlöhne auf bundesdeutschen Baustellen.

Unaufgeregt wartet die PDS auf den kommenden Streit mit der CSU um den Posten einer Vizepräsidentin im Bundestag. Weil die Bayern eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU bilden, erhalten sie als einzige Partei keinen Platz im Präsidium des Bundestages. Trotzdem kündigte die CSU eine eigene Kandidatin an. Falls die scheitert, soll die SPD angeklagt werden. Die Sozialdemokraten würden eine »Kommunistin« einer Demokratin vorziehen, dekretierte CSU-Gruppenchef Michael Glos schon am Wochenanfang als Propagandaformel. Die PDS verläßt sich auf Zusagen der SPD-Fraktion, die versprach, die Geschäftsordnung einzuhalten. Diese schreibt für jede Fraktion einen Vizepräsidenten und für die stärkste zusätzlich den Präsidenten vor

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