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  • Politik
  • Gastspiel Sechs häßliche Töchter Inc. nach Garcia Lorca in der Baracke des Deutschen Theaters

Girlies und zugleich Vollweiber

  • Thea Adler
  • Lesedauer: 3 Min.

Mit ihrer Diplominszenierung hat sich Ute Rauwald, Absolventin der Schauspielregie der Universität Hamburg, nicht nur den Nachwuchspreis der Wiener Festwochen verdient, sondern auch den Status einer Hoffnungsträgerin für das Theater der Zukunft.

Seit Federico Garcia Lorca 1936 seine vom spanischen Katholizismus geprägte Tragödie schrieb, hat sich das Frauenbild gründlich gewandelt; und während noch die legendären Inszenierungen von Frank Castorf (Halle 1987) und Konstanze Lauterbach (Leipzig 1993) vom Selbsthaß unterdrückter Minderheiten unter patriarchale (Über)Macht zeugten, erleben wir 1998 eine völlig andere Geschichte.

Während des Einlasses schon bleiben dem Zuschauer keine Illusionen mehr darüber, daß 62 Jahre eine lange Zeit sind: Da lümmeln, wirbeln, tuscheln, ko-

kettieren sechs Spice-verdächtige Girlies, die Aktienkurse der einzelnen Schwestern verhandeln, in einem Wettbewerb der Reiztechniken. Das Vokabular des weiblichen Brokers ist das Einmaleins im harten Ringen um Identität, nicht Häkeln, Stricken, Nähen.

Mädchenzimmer in trendy colours, ein paar Möbel markierende Puppenkissen, das dreistöckige Armeebett, das schwach an eine Kaserne erinnert -ansonsten beherrschen die sechs atemberaubend streitenden, schreienden, tobenden, tanzenden Frauen den leeren Raum. Sie streifen die Kleider der Mütter/Großmütter über wie das fremde Eigene, das eigene Fremde. Freilich kämpfen sie noch immer um die Hierarchie mit den Schwestern, in launischer Gleichzeitigkeit von Lieben und Hassen, von Neid und Fürsorge.

Und doch sind da vor Lebenslust strotzende Vollweiber, die sich selbst wachgeküßt haben. Für sie heißt die Wirk-

lichkeit nicht mehr Konvention, sondern Spiel. Sie sprechen ihre eigene Sprache, denn sie sind selbst autorisiert; sie erzählen ihre eigenen Stories, im emanzipierten Bewußtsein »Ich bin mein eigener

Kult«, sie improvisieren - gekonnt! -, denn Gefühlsverleugnung ist antiquiert.

Auch sie haben noch von Leid zu berichten, aber nicht mehr in der Endgültigkeit der Opferrolle, sondern aus der Erinnerung an eine ferne Vergangenheit heraus, die noch Gestalt im Raum, aber keine Macht mehr über die Personen besitzt: women isn't the nigger anymore.

Es gibt nicht mehr den Mann oder die Mutter als Gegenspieler, auf die frau die Eigenverantwortung abwiegeln könnte.

So entpuppen sich die anfangs püppchenhaft wirkenden Wesen mehr und mehr als reich und tief empfindende, herrlich widersprüchliche Persönlichkeiten. Das Tragische ist hier nurmehr eine Episode, und der doch noch in der Schlußsekunde versuchte Mord (Adela als Täterin!) hat keinen Raum.

Radikalität und Mut zeichnen Darstellerinnen und Regisseurin aus - in der überzeugenden Bewältigung der selbstgestellten Aufgabe, eine authentische Erzähl- und Spielweise zu entwickeln. Da ist mädchenhafte Verspieltheit, gepaart mit handwerklicher Perfektion, da wird die scheinbar subjektive Exaltiertheit der Indikator für Wahrhaftigkeit. Wiewohl die Schauspielerinnen selbst das Material für die Geschichten liefern, wurden sie doch nicht eine Sekunde lang von der Regisseurin benutzt oder verraten.

Leidenschaftliche Hingabe und Virtuosität in Komposition und Spiel machen den Zauber dieser Inszenierung aus.

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