Rebellisches Regieren

Die Möglichkeiten und Grenzen der Berliner Mietenbewegung zwischen Protest und Parlament

  • Matthias Bernt und Andrej Holm
  • Lesedauer: 13 Min.
Für das gute Wohnen für alle: Die Mietenbewegung lernte am eigenen Leib, dass in der Realpolitik eine große Brache besteht zwischen Wille und Wirklichkeit bezahlbaren Wohnraums.
Für das gute Wohnen für alle: Die Mietenbewegung lernte am eigenen Leib, dass in der Realpolitik eine große Brache besteht zwischen Wille und Wirklichkeit bezahlbaren Wohnraums.

Die Mietenbewegung ist in Berlin ein zentraler politischer Faktor. Mit der rot-rot-grünen Koalition zwischen 2016 und 2021 wurde sie von Teilen der Landesregierung als Partnerin anerkannt und partiell in politische Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbezogen. Diese Einbindung war allerdings immer auch begrenzt, umkämpft und wurde von Teilen der Landesregierung und der Verwaltung sabotiert. Aus den Erfahrungen der Berliner Mietenbewegung lassen sich wertvolle Erkenntnisse zur Verzahnung von Mobilisierung und Regierungshandeln gewinnen.

Daher haben wir in einer sozialwissenschaftlichen Studie die »Möglichkeiten und Grenzen« der Berliner Mietenbewegung kritisch beleuchtet, um so auch in aktuelle linke Strategiedebatten zu intervenieren. Hierfür haben wir im Frühjahr 2022 insgesamt 25 Interviews mit Schlüsselpersonen der Berliner Mietenbewegung geführt. Zusätzlich zu den Gesprächen mit Aktivist*innen haben wir drei Politikerinnen interviewt, die immer wieder als Ansprechpartnerinnen der Initiativen genannt wurden. Dabei zeigten sich die Einschätzungen zu »politischen Gelegenheitsfenstern« sowie die Frage von Ressourcen der Bewegung als Schlüsselbereiche.

Gelegenheiten in der Verflechtungsfalle

Als Gelegenheitsfenster werden in der Politikwissenschaft die institutionellen und politischen Bedingungen beschrieben, in denen sich eigene Forderungen und politische Projekte durchsetzen lassen. In den Interviews haben wir entsprechend gefragt, welche Chancen und Hindernisse zur Durchsetzung ihrer Forderungen in der Zeit der rot-rot-grünen Koalition von den Aktiven der Mieterbewegung gesehen wurden. Der wichtigste Befund in Bezug auf Gelegenheitsfenster ist in den Interviews sehr klar zu erkennen: Das Vorhandensein einer Mitte-Links-Koalition und die punktuelle Unterstützung durch Regierungsvertreter*innen auf Landes- und Bezirksebene haben bis etwa 2022 einen Möglichkeitsraum eröffnet, den die Mietenbewegung nutzen konnte.

Viele Initiativen pflegten enge Kontakte zu einer überschaubaren Anzahl von Fachpolitiker*innen der Linken und (teilweise) der Grünen und nutzten diese, um Informationen zu beschaffen, Öffentlichkeit herzustellen und für Ihre Positionen zu werben. Unter »Rot-Grün-Rot«, wie die Koalition ab 2021 weitergeführt wurde, blieben einige Initiativen – wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße – partiell in den Politikbetrieb eingebunden und haben an vom Senat beauftragten Kommissionen teilgenommen, »Sprechzettel« sowie Gesetzesvorlagen erarbeitet und kommentiert. Dabei ist allerdings auch eine große Bandbreite zu erkennen. Insgesamt wurden aus Sicht der Interviewten also Fenster geöffnet, die vorher über Jahrzehnte geschlossen erschienen. Allerdings wurden in den Interviews auch die Grenzen dieser Öffnung sehr deutlich – und häufig mit einem erheblichen Maß an Frustration geschildert. Drei Bereiche stechen dabei besonders hervor.

Das erste Problemfeld lässt sich kurz mit den drei Buchstaben SPD beschreiben. Fast alle Interviewten äußerten sich sehr kritisch gegenüber der Berliner Sozialdemokratie und beschrieben sie als Haupthindernis für einer Durchsetzung der Ziele der Mietenbewegung. Es sei, so eine interviewte Person, »auf vielen Ebenen immer klar, dass die SPD halt das größte Problem in der Geschichte ist«. Dass die SPD »einfach zu feige war«, spielte den Interviewten zufolge ebenso eine Rolle wie der »Koalitionszwang« und die Anrufung, Konflikte lieber intern mit der SPD zu verhandeln, statt öffentlich Druck zu machen. »Darauf haben wir uns eine ganze Zeit lang verlassen und es ist nichts passiert.«

Die Sperrhaltung der SPD durchkreuzte dabei regelmäßig die gegenüber Linken und Grünen erzielte Offenheit und machte eine Umsetzung der Politikvorschläge der Mietenbewegung unmöglich. Im Kern wird hier ein unlösbares Problem formuliert: Eine Regierung aus Linken und Grünen alleine ist nicht mehrheitsfähig, aber eine Regierung unter SPD-Beteiligung blockiert die Umsetzung progressiver Politikansätze. Da Linke und Grüne auch bei tiefgreifenden Differenzen keinen Koalitionsbruch riskierten, saß die SPD, trotz historisch niedriger Stimmenanteile in den Wahlen, am längeren Hebel.

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Ein zweites Problem resultiert aus dem mehrstufigen, horizontal und vertikal miteinander verflochtenen Verwaltungsaufbau Berlins. Dabei halten sowohl Landes- als auch Bezirksverwaltungen wichtige Entscheidungspositionen besetzt. In beide Richtungen ermöglicht das Verzögerungen, Blockaden und Sabotage. Auch dies führte für die Mietenbewegung zu Problemen. Besonders in den Interviews mit Aktivist*innen aus am Rand der Stadt gelegenen Wohnvierteln sticht die Ignoranz von Bezirksregierungen hervor, die völlig unbeeindruckt vom wohnungspolitischen Stimmungswandel der Öffentlichkeit agieren. »Das Bezirksamt hat sich geweigert, irgendwas davon auszuführen«, berichtet eine interviewte Person, »da war tatsächlich zu sehen, in welchem Ausmaß sich unser Bezirksbürgermeister mit den Immobilienunternehmen identifiziert. Eine andere Person formuliert es drastischer: «Wir haben uns die Finger wund geschrieben mit Einwendungen usw. Es ist alles für die Katz. Du darfst ein bisschen rumspielen, Du darfst Sachen schreiben, Du darfst Demos machen – alles kackegal.»

Zusammengefasst wird hier ein Problem beschreiben, das in der Forschung als «Politikverflechtungsfalle» bekannt ist: Komplexe Abhängigkeiten und Abstimmungsmechanismen zwischen verschiedenen Ebenen und Akteuren ermöglichen eine Blockade durch Vetospieler, die innerhalb der gegebenen Strukturen nicht überwunden werden kann. Politische Initiativen werden dadurch blockiert oder ineffektiv. Die Forschung kennt zwar auch Wege, dieser «Falle» zu entgehen (etwa durch «Level shifting», die «Einrichtung von Parallelinstitutionen» oder die Informalisierung der Konfliktregelung in inoffiziellen Expertengremien oder Netzwerken) – all diese Wege sind aber schwierig und nicht im «Normalbetrieb» zu erreichen. Hinzu kommt, dass es – abhängig vom Thema – nicht nur eine, sondern eine Vielzahl von «Politikverflechtungsfallen» gibt. Angesichts der Größe Berlins und der zunehmend ungleichen Verteilung von politischen und kulturellen Milieus und Wähleranteilen kommt es hier zu einer Zersplitterung der politischen Einflussmöglichkeiten.

Macht des Verfahrens

Ein drittes Durchsetzungsproblem, das in den Interviews immer wieder beschrieben wird, ergibt sich aus der «Verfahrensmacht» der Verwaltung. Auch diesem Problem liegt ein struktureller Konflikt zugrunde: Politiker*innen sind von Wahlen abhängig und damit (wenn auch in unterschiedlichem Maße) an Legitimität und Zustimmung durch ihre Wählerschaft interessiert. Durch dieses «Einfallstor» können Initiativen Einfluss auf die Politik nehmen und die von der Politik formulierten Zielvorstellungen beeinflussen. In der Umsetzung ist die Politik aber auf die Verwaltungen angewiesen, die in ihrem Handeln wesentlich weniger von politischen Mehrheitsverhältnissen bestimmt werden. Verwaltungen sind zeitlich über mehrere Legislaturperioden hinweg stabil, einem vorgegebenen Rechtsrahmen sowie daraus wurzelnden administrativen Verfahrensweisen verpflichtet und häufig strukturkonservativ. Politische Beschlüsse können daher leicht von Verwaltungen ignoriert, konterkariert oder «ausgesessen» werden.

Diese «Verfahrensmacht» hat sich für viele Interviewte als zentrales Hindernis erwiesen, dem sie nur wenig entgegensetzen konnten. «Insgesamt waren wir doch zu blauäugig», sagt eine interviewte Person. «Wir haben ein bisschen zu sehr daran geglaubt, dass ein Gesetz auch wirklich umgesetzt wird.» Entgegen der politischen Zielvereinbarungen, passierten «viele Entscheidungen, weil es technische Entscheidungen sind, die nicht als politische Entscheidungen begriffen werden, aber de facto sehr politisch sind».

Zusammengefasst waren die politischen Rahmenbedingungen für die Mietenbewegung unter «R2G» also ambivalent. Auf der einen Seite eröffnete die Mitte-Links-Regierung politische Möglichkeitsräume, die von der Bewegung aktiv genutzt wurden. Dadurch sind zahlreiche «Grauzonen» entstanden, in denen Aktive einen politischen Einfluss erlangen konnten, der – bei aller Kritik – in Deutschland einzigartig ist. Auf der anderen Seite haben es SPD-Spitzen, Bezirkspolitiker*innen und Verwaltung immer wieder verstanden, ihre Positionen im politisch-administrativen System so zu nutzen, dass Initiativen blockiert und ausgebremst und einmal erkämpfte Erfolge zunichte gemacht werden konnten.

Die Ressourcen der Mietenbewegung

Ein zweites Kernergebnis unserer Untersuchung bezieht sich auf die Ressourcen der Mietenbewegung. Der Ausgangspunkt unseres Forschungsinteresses war dabei recht einfach: Treffen organisieren und moderieren, telefonieren, recherchieren, Pressefragen beantworten, Plakate entwerfen, Websites designen, Nachbar*innen informieren, Rechtsberatung einholen, Demos anmelden und Lautsprecher organisieren, sich fachlich weiterbilden, Interviews geben, Politiker*innen ansprechen – all das kostet Arbeit. Wir haben uns dafür interessiert, wer diese Arbeiten verrichtet? Woher kommt die Zeit dafür? Welche Qualifikationen kommen hier zum Einsatz?

Der absolute Löwenanteil der Arbeit der Mietenbewegung, so der eindeutige Befund aus den Interviews, wird ehrenamtlich verrichtet. Die dafür benötigten Qualifikationen bringen die Aktiven zum Teil aus ihrer vorherigen politischen Praxis mit, aber diese korrespondieren auch mit ihrer beruflichen Qualifikation (etwa Grafikdesigner, Lektorin, Sozialwissenschaftler). Typisch ist eine kontinuierliche und enorme Inanspruchnahme der Freizeit – kaum ein Gesprächspartner hat weniger als vier Stunden in der Woche für die Bewegung gearbeitet, auch 20 Stunden sind nicht ungewöhnlich. Wenn man die ehrenamtlich verrichteten Tätigkeiten zusammenzählt, kommen wir allein bei den 25 interviewten Aktiven auf einen Umfang von etwa acht bis zwölf Vollzeitäquivalenten (die Zahl ist ungenau, weil der Arbeitsanfall diskontinuierlich ist). Das ist in etwa die Größe eines bezirklichen Stadtplanungsamtes. Da Aktivismus – im Gegensatz zur Tätigkeit in einem Stadtplanungsamt – kaum bezahlt wird, agieren die meisten Gruppen permanent am Rand der Überforderung.

Zur Verdeutlichung geben wir hier ein paar Interviewpassagen wieder, die beispielhaft für die Situation sind: «Also, im Fall der Sprecher*innen der Initiative: Das war weit mehr als ein Vollzeitjob. Also, ich habe da wirklich alles reingebuttert. Manchmal fing das mit einem Pressetermin an mit dem ›RBB‹ um zehn Uhr und endete um zwei Uhr nachts mit dem letzten Gesamtplenum und dann noch Protokoll abtippen und Emails für den nächsten Tag vorschreiben. Und dann die ganzen Termine mit der Politik. Wir haben so viele Leute getroffen. In der Zeit habe ich meine Doktorarbeit einfach liegen gelassen. Ich habe einfach alles liegen gelassen. Aber das können ja nicht alle.» Ein solcher Arbeitsaufwand «ist schon für Profipolitiker schwierig», fasst eine Person zusammen, «für uns als Ehrenamtler ist das kaum zu händeln».

Deutlich wird aus diesen Interviewpassagen nicht nur eine enorme Inanspruchnahme, sondern auch der Umstand, dass die Statuspassagen, in denen die Aktivist*innen in der Lage sind, erhebliche Zeitressourcen in die Bewegung zu investieren, zeitlich begrenzt sind. Abschlussarbeiten müssen auch in der Wissenschaft irgendwann abgeschlossen werden, Leute kriegen Kinder und Rentner*innen sind mit zunehmendem Alter leider auch häufiger mit Krankheiten konfrontiert. Die Nicht-Finanzierung der Bewegungsarbeiten führt deshalb zu einem immer wiederkehrenden Abgang von Aktiven. Diese Lücken müssen durch neue Aktive geschlossen werden, die sich in einer ähnlichen Statuspassage befinden, nicht automatisch über die Qualifikationen, Kontakte und das Renommé ihrer Vorgänger*innen verfügen und überhaupt erst einmal gefunden werden müssen. Die Mietenbewegung fängt dadurch gewissermaßen regelmäßig von vorne an!

Strategien in der Überforderung

Wie gehen die Initiativen damit um? Aus den Interviews lassen sich vier Lösungsstrategien erkennen, die gleichwohl alle neben Chancen auch Probleme mit sich bringen.

Professionalisierung: Um eine Finanzierung für die notwendigen Arbeiten zu finden, die erworbenen Qualifizierung auch im Lohnberuf nutzen zu können und die Sache an verantwortlicher Stelle voran zu bringen, gehen Aktivist*innen in Stellen, die sich am Rande der Bewegung befinden. Das können einerseits «echte» Positionen in NGOs, Verbänden, Wissenschaft und Verwaltungen sein. In diesen Fällen geht das häufig mit einer wachsenden Distanz zu den Ursprungsinitiativen und einer intensiven Einbindung in die neue Arbeitsumgebung einher.

Eigenfinanzierung: Vereinzelt und in geringem Umfang versuchen Initiativen der Ressourcenüberforderung durch eine Eigenfinanzierung zu begegnen. Die Finanzierung stützt sich dabei entweder auf Crowdfunding und Spendeneinwerbung, oder auf Mitgliedsbeiträge. Der erste Weg ist faktisch vor allem für prominente Initiativen attraktiv. Der zweite wird in der Regel von kleineren Gruppen angewandt, vermag aber nur in begrenztem Maße Ressourcen zu generieren. Insgesamt ist Eigenfinanzierung bislang eher ein Randphänomen.

Netzwerkressourcen: Viele Initiativen arbeiten eng zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Hierdurch können von Wissensbeschaffung bis zum Plakatdruck viele Aufgaben über die Einzelinitiativen hinweg in der Szene verteilt werden. In vielen Fällen werden die Netzwerke aber von einer überschaubaren Anzahl von Hardcore-Aktivist*innen getragen. Dabei sind Doppel- und Dreifachmitgliedschaften in unterschiedlichen Initiativen nicht selten. Die Kehrseite der Inanspruchnahme von Netzwerkressourcen ist damit eine Verstärkung der Ressourcenüberforderung bei den Personen, die die Knotenpunkte des Netzwerks besetzen. Da die Nutzung von Netzwerken in der Regel auf personengebundenen Beziehungen basiert, ist dieser Weg zudem sehr störanfällig. Fallen zentrale Aktivist*innen – etwa aufgrund persönlicher oder beruflicher Veränderungen – aus, werden erhebliche Lücken hinterlassen.

Reduzierung: Einige Initiativen lösen die beschriebenen Konflikte, indem sie sich auf ihr «Kerngeschäft» konzentrieren und weitere Verpflichtungen ablehnen. Einer Überforderung der Aktivist*innen kann damit wirksam entgegengearbeitet werden. Die Konsequenz ist aber häufig eine Fokussierung auf das engere (auch räumliche) Arbeitsfeld und Reduzierung der Kontakte zu anderen Gruppen und insbesondere zur Landespolitik. In der Folge kommt es zu einer Ausdünnung von Netzwerken und einer schwächeren Intervention in die politischen Rahmenbedingungen der eigenen Arbeit. Dies betrifft allerdings vor allem Gruppen, welche die Einflussmöglichkeiten innerhalb eines kapitalistischen Systems sowieso als eher gering einschätzen.

Auch hinischtlich der Ressourcenmobilisierung sind die Erfahrungen also ambivalent: Auf der einen Seite kann die Berliner Mietenbewegung aus Netzwerksressourcen schöpfen und auf ein hohes unbezahltes Engagement und eine beeindruckende Vielfalt von hohen Qualifikationen in einer großen Bandbreite von Spezialisierungen zurückgreifen. Das macht sie unabhängig von parteipolitischer Einflussnahme und schützt sie vor den Kosten, die bei Aufbau und Management von Großorganisationen (wie Gewerkschaften) entstehen. Auf der anderen Seite ist ihr Zugriff auf Ressourcen (vor allem Zeit, Netzwerke und Wissen) chronisch instabil und von der Verfügbarkeit des ehrenamtlichen Engagements von Einzelpersonen abhängig. Anders als Verwaltungen und Parteien kann die Bewegung eine hohe Inanspruchnahme von Ressourcen meist nur über kurze Zeiträume durchhalten. Sie ist – in ihrer bestehenden Organisationsform – zu einer hohen Fluktuation verdammt und kann der permanenten Überforderung nur wenig entgegensetzen.

Zukunft des rebellischen Regierens

Welche Empfehlungen lassen sich aus dieser Rundschau ableiten? Wie können die Berliner Mietenbewegungen im Besonderen und stadtpolitische Initiativen allgemein ihre Schwächen schwächen und ihre Stärken stärken? Eine eindeutige, endgültige und einfach umzusetzende Antwort kann es auf diese Frage nicht geben. Die Mietenbewegung und die sie umgebende politische und administrative Landschaft ist zu komplex, als dass es möglich wäre, die beschriebenen Probleme durch das Drehen an ein paar Stellschrauben zu lösen. Nichtsdestotrotz glauben wir, dass die von uns vorgelegte Analyse auch einen strategischen Wert haben kann. In den Interviews sind in dieser Hinsicht eine Reihe struktureller und strategischer Probleme zu erkennen. Diese hemmen die Durchsetzungsfähigkeit der Mietenbewegung und führen gleichzeitig zu Widersprüchen in Zielorientierungen, Strategie und Taktik. Am wichtigsten sind aus unserer Sicht dabei die folgenden «Baustellen».

Erstens stellt der Umgang mit der Berliner SPD die Mietenbewegung vor unlösbare Dilemmata: Einerseits agiert diese Partei häufig als Blockierer progressiver Wohnpolitik, andererseits ist eine progressive Landesregierung ohne die SPD nicht möglich. Die Bewegung muss daher aushandeln, ob eine strategische Kooperation mit reformorientierten Kräften innerhalb der SPD sinnvoll ist oder ob die Risiken der Kooptation überwiegen.

Zweitens benötigt die Bewegung Strategien der Umgehung, mit der «Beipässe» zu ungünstigen Machtkonstellationen und «Politikverflechtungsfallen» gelegt werden können. Diese erfordern jedoch ein Niveau des Zugang zu Regierungsentscheidungen, über das die meisten Initiativen nicht verfügen. Hinzu kommen Fragen der demokratischen Legitimation und interne Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Einfluss. Der Widerspruch besteht hier in der Spannung zwischen institutionellem Zugang und Bewegungsnähe.

Drittens ist die Entwicklung stabiler Organisationsformen, etwa durch Professionalisierung, Mittelakquise und institutionellen Aufbau, eine Voraussetzung für eine weniger zyklische und insgesamt effizientere politische Wirksamkeit. Anders als es sich viele progressive Politiker*innen wünschen, stehen die Unterstützung und Druck durch die Mietenbewegung eben nicht verlässlich zur Verfügung. Die Bewegung arbeitet im Gegenteil in der Regel diskontinuierlich, unter großem – oft kaum zu bewältigendem – Einsatz und immer am Rande der Überforderung.

In der Summe sind die Anforderungen an die Berliner Mietenbewegung also vielfältig und schwerwiegend. Sie lassen sich auch nicht einfach durch einen Willensakt oder durch mehr Kommunikation auflösen. Im Gegenteil markieren sie zentrale Spannungsfelder, zwischen denen «trade-offs» bestehen und die kontinuierlich ausgehandelt und strategisch bearbeitet werden müssen, um langfristige Handlungsfähigkeit zu sichern. Ohne eine aktivere Auseinandersetzung mit diesen strategischen Problemen – da sind wir uns sehr sicher – wird vergleichbare Bewegungen weiter an Bedeutung verlieren. Auch eine Regierungsbeteiligung, die sich diesen Problemen nicht aktiv stellt und stabilere Formen der Kooperation zwischen Politik und Bewegung findet, als es die letzte rot-rot-grüne Landesregierung vermochte, wird aus der Perspektive der Mietenbewegung schnell an Attraktivität verlieren. Ohne ein stärkeres Fundament können sich auch Strategien eines «rebellischen Regierens» dann schnell als auf Sand gebaut erweisen.

Matthias Bernt hat Politkwissenschaften studiert und ist kommisarischer Leiter der Forschungsgruppe «Stadtentwicklungspolitik» am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner.
Andrej Holm hat Sozialwissenschaften studiert und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Arbeitsbereich Stadt- und Regionalsoziologie der Humboldt-Universität zu Berlin.
Neben ihren beruflichen Tätigkeiten sind die Autoren seit vielen Jahren in verschiedenen Berliner Mieterinitiativen aktiv.

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