Draußen sein war Selbstmord

Lässt sich die Stimme nicht verbieten: Manja Präkels

  • Anke Engelmann
  • Lesedauer: 7 Min.
Wie erlebten Jugendliche die Wendezeit? Zum Beispiel Manja Präkels. Im brandenburgischen Zehdenick aufgewachsen, prägte ihren Alltag vor allem eines: Terror durch Neonazis.
Es ist dunkel. Stimmengewirr, Zigarettenrauch, Gläserklirren. Leise beginnt eine Gitarre zu spielen, ein Kontrabass setzt ein, dann eine Quetschkommode, Klarinette. Auftritt einer Gestalt, schwarzer Anzug, Herrenschuhe, Hut wie ein Clown. Beginnt zu singen - und der Raum ist voll. Eine kräftige Frauenstimme, mal dunkel, mal röhrend laut, mal kratzend, mal schmelzend. Singt im Klezmer-Rhythmus, im Zigeunertakt, von verlorener Jugend, von Neonazis, von Kneipenromantik und verliebten Fröschen. Die Stimme geht durch Mark und Bein. Sie gehört der Sängerin, Autorin, Puppenspielerin und Journalistin Manja Präkels, die von ihrer Band »Der singende Tresen« begleitet wird. Ich besuche die Künstlerin in ihrer Berliner Wohnung in Prenzlauer Berg. Das Haus ist nicht renoviert, eine Seltenheit in dieser Gegend. Graue Fassaden, auf dem dunklen Hof zerrupfte Holunderbüsche. Ascheeimer im Hausflur, an der Wohnungstür ein Plakat vom Erich-Mühsam-Fest. Drin das Zimmer voller Bücher, ein Holztisch, rot bemützte Sessel, Konfettispuren auf dem Holzfußboden und dem vergilbten Teppich. »Kaffee?« Die junge Frau zündet sich eine Zigarette an. Sie hat weiße, durchscheinende Haut und feine, fast weiße Haare, wie Kükenflaum, kluge graue Augen hinter ihrer Brille, ist groß, kräftig. Mit ihrem Freund, dem Satiriker Markus Liske, teilt sie die Wohnung und eine Vorliebe für Männeranzüge. Wendekinder. Manja Präkels, Jahrgang 1974, gehört zu der Generation, die von der Kindheit in die Jugend rutschte, während ringsherum der große allgemeine Wandel stattfand. »Wir torkelten und taumelten durch diese Zeit und haben kein Gehör gefunden«, sinniert die junge Frau, die nicht wirkt, als ob sie sich einfach wegschieben lassen würde. Und beginnt zu erzählen, ruhig und bedacht, und ich vergesse die zwitschernden Meisen im Hof, vergesse, den Blick zu heben. Jugend im Naziland. In Manjas Heimatstadt, dem idyllischen Zehdenick beim Biosphärenreservat Schorfheide, verbreiteten Gruppen von marodierenden Neonazis Angst und Schrecken, überfielen Discotheken, Jugendclubs, Jugendliche auf offener Straße. »Wir wurden gejagt wie die Hasen.« Inmitten der Dominanz rechter Jugendkultur reichte es aus, mit »Langhaarigen und Gruftis unterwegs zu sein, um eine aufs Maul zu kriegen«, erzählt sie. Besonders auf die Discotheken hatten es die Neonazis abgesehen. Ohnehin war die Auswahl nicht groß, zwischen Disse und Busse, Dorfdisco und Bushaltestelle. Und dann passierte ein Mord. Sie habe sich, erzählt Manja mit ihrer klaren Stimme, auf dem Plumpsklo der Dorfkneipe verstecken können, als es hieß, die Nazis kommen, habe dort voller Angst gehockt, während draußen die Glatzen einen 16-Jährigen zu Tode prügelten. Die Täter, selbst noch keine 18, wurden später zwar gefasst, kamen aber glimpflich davon. Eine Tötungsabsicht konnte ihnen nach Ansicht des Gerichts nicht nachgewiesen werden. Danach ebbte die Gewalt ab - scheinbar. Unter den Jugendlichen grassierte Angst, sie trauten sich kaum noch aus dem Haus. Gerade erst ihren Kinderzimmern entwachsen, waren sie dorthin zurückgedrängt. »Draußen sein war Selbstmord.« Ihre Stimme wird ein wenig lauter, als Manja erzählt, wie ihr schließlich der Kragen platzte. Da war sie 21 Jahre alt. Sie tat sich mit anderen zusammen, man dachte sich einen coolen Namen aus: »LOS - Landeier organisieren sich«, marschierte zum Bürgermeister, mietete den zentralen Platz für ein Maifest, gewann Bäcker und Kindergärtnerinnen, Künstler aus der Region und aus Berlin. Ein großes Fest sollte es werden, ein Zeichen gegen die braune Übermacht. Doch es kam anders. Schon früh scharten sich mehr als hundert 12,13-jährige Neonazis in den Nebenstraßen. Niemand wusste, ob die großen Brüder der Babyglatzen irgendwo lauerten. In Sprechchören drohten die immer betrunkeneren Kids ihnen bekannten Menschen den Tod an. Auch Manjas Name fiel wiederholt. Die Polizei war überfordert und hilflos. Festbesucher flüchteten, sobald sie um die Ecke kamen und die Szene überblickten. Eltern zerrten ihre Kinder weg. Nur unter Polizeischutz konnten am Abend die verbleibenden etwa 40 Organisatoren den Platz verlassen. Manja brachte sie in das Haus ihrer Eltern, die an diesem Tag verreist waren. Diese Nacht werde sie wohl nie vergessen, erzählt sie weiter. Wie sie Wache schoben, angstvoll aus dem Fenster lugten und auf die Geräusche des randalierenden Nazimobs lauschten. Die ganze lange Nacht. »Dass da kein Brandsatz geflogen kam ...« Wie still es im Raum ist. Vom Hof dringt Vogelgezwitscher. »Ich wünschte«, sagt Manja langsam, »meine Eltern wären zu Hause gewesen. Die haben mir lange nicht verziehen, dass ich sie in eine so brisante Situation gebracht habe.« Etwas später fügt sie hinzu: »Man muss zu den Nazis eine klare und radikale Haltung beziehen.« Ob man die NPD verbieten solle, frage ich. Sie denkt lange nach. »Ich fürchte,«, erwidert sie schließlich, »dafür ist es zu spät. In einigen Gegenden sind rechte Parteien bereits so etabliert, dass ein Verbot verheerend wäre.« Damals habe sie als Journalistin einer Lokalzeitung vor allem über Jugendprojekte auf dem Land geschrieben, Überlebende des Holocaust porträtiert, den Antifaschismus zum Thema gemacht. Aber, überlegt sie laut, »man kann nicht kühl berichten, wenn man emotional stark involviert ist«. Journalistin oder Künstlerin? »Ich hab mich irgendwann entschieden.« Gegen den journalistischen Beruf. Diese Zeit, und jetzt nimmt sie sich eine Zigarette, diese Zeit habe sie lange verdrängt. Und sie wird leiser, nachdenklich. Dass der Nachbarsjunge, ihr Sandkastenfreund, zum Neonazi werde, man plötzlich auf unterschiedlichen Seiten stehe, »das ist mir unbegreiflich«. Tiefe Verunsicherung, Vertrauensbruch. Das war's dann mit dem platten Land, mit dem Leben in Zehdenick. Die junge Frau ging nach Berlin, wo die Großstadt Anonymität und Schutz versprach, begann ein Studium. Jobbte am Tresen und wenn nichts zu tun war, machte sie dort mit Freunden aus der Zehdenicker Zeit Musik. Der »singende Tresen« stand im Fischladen, einer Szenekneipe in Berlin-Friedrichshain, wo sich damals die Freie ArbeiterInnen Union traf, eine anarchistisch orientierte Gewerkschaftstruppe. Anarchismus als Gesellschaftsutopie? »Ich bin eine Gefühlsanarchistin«, zitiert Manja Erich Mühsam. Überhaupt, Erich Mühsam. Der 1934 von den Nazis ermordete Dichter und Anarchist hatte es ihr schon in Zehdenick angetan. Und so organisierte sie 2001 zusammen mit Freunden im Spandauer Fort Hahneberg ein Fest zu Ehren des Anarchisten. Es wurde ein voller Erfolg, im Jahresabstand folgte ein weiteres und aus dem Fest wurde ein Festival, dann noch eins, immer größer, eine schöne Mischung aus Party und Information. Ein Geheimtipp. Im letzten Jahr waren 1600 Besucher gekommen, der Gewinn ging an ein Antifa-Jugendprojekt im Land Brandenburg. Mühsam bot sich als Integrationsfigur an, weil er widersprüchlich ist, nicht eindimensional, erklärt sich Manja den Zuspruch. »Das ist eine Figur, an der man sich abarbeiten kann.« Ihr sei es darum gegangen, etwas gegen den »allgemeinen Frust innerhalb der Linken« zu setzen. Aus dem Nichts, ohne Geld, und mit Leuten, die einen unterschiedlichen Hintergrund haben, dieses Festival aus dem Boden zu stampfen, wo sich Menschen begegnen, wo es Infos gibt und Freude, »das ist meine konkrete, gelebte Utopie«, sagt sie. Und so funktioniere das Mühsam-Fest, funktioniere auch ihre Band »Der singende Tresen«. Eine »kulturelle Überlebensstrategie«. Persönliche Utopien gegen den rauen Wind der Marktwirtschaft. Den kennt sie auch. Und die andere Seite, wo die landen, die keine Utopien mehr haben. So hat sie für ihre Bandauftritte die Gestalt der Barfrau geschaffen, eine, die ein offenes Ohr für alle hat, die alles sieht und versteht, aber Abstand hat. Am Tresen treffen sich die Lebenskünstler, die Enttäuschten, die Gescheiterten. Wie leicht sei es doch, den Frust mit einer Flasche Wein runterzuspülen - viel leichter, als ihn zu benennen, sagt sie. Fast besessen, begann Manja, ihre Erlebnisse und Beobachtungen zu sammeln, es entstanden Gedichte, Lieder, Texte, die ihr Gitarrist Mathias Rolf vertonte. Die Musik, überlegt die Sängerin laut, bietet die Möglichkeit, sich über die Wut hinauszutanzen. »Wut ist ein gutes Gefühl.« Was anfangs nur ein Zeitvertreib war, wurde schnell ernst, als immer wieder Anfragen kamen: »Wollt ihr nicht mal bei uns spielen?« Ein kostenloser Proberaum half der Band, ihr künstlerisches Profil zu finden. »Lohnarbeit? Nee!«, sagt Manja abwehrend. »Ich bin mir ein harter Chef.« Auch wenn das Künstlerdasein anstrengender ist als ein regelmäßiger und geregelter Job. Auch wenn es immer wieder vorkommt, dass Veranstalter das vereinbarte Honorar nicht auszahlen wollen. Auch wenn das Geld meist hinten und vorne nicht reicht. Die Bandmitglieder haben noch Jobs nebenher oder stecken in HartzIV. Nur Manja arbeitet derzeit noch künstlerisch, ist Liedtexterin und Puppenspielerin des »gänzlich unpädagogischen« Kinderstücks »Der kleine Maulwurf in Berlin«, einer Gemeinschaftsarbeit von Markus und Manja. Inzwischen stellt sich der Erfolg langsam ein. Es gibt viele Anfragen für das neue Programm »Land unter«, das demnächst Premiere hat. Eine erste CD ist gemacht, ein Textbuch erschienen, Folk- und Liedermacherpreise wie die »Goldene Hoyschrecke«, Auftritte bei großen Ereignissen wie dem »Festival für Musik und Politik« in Berlin oder dem Tanz- und Folkfest in Rudolstadt. Und das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste. So wird Manja ab August erst einmal abtauchen, hat fünf Monate Zeit, um das Gesammelte in einem Buch aufzuschreiben. Arbeitstitel ihres Erzählbandes: »Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß«. www.dersingendetresen.de

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