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Jede Menge falsche Fährten

  • Lesedauer: 4 Min.

Mühsame Schnipseljagd, während bei der CIA die Computer glühen

Foto: P/F/Heinz

Was bieten Hombach und sein mitreisender Geheimdienstkoordinator Ernst Uhrlau? Die Daten der HVA-Magnetbänder, die man in der Berliner Gauck-Behörde kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres nach umfangreichen Decodierungsarbeiten zu lesen beginnen konnte? Was sollen die US-Kollegen damit? Was da gespeichert ist, kann der CIA, die seit Jahren tief mit dem Netz und der Arbeitsweise der DDR-Spionage vertraut ist, höchstens marginalen Wissenzuwachs bringen.

Es muß um andere Beträge gehen, die die SPD-Bundesregierung weit aktiver werden läßt, als es die Kohl-Administration je war Warum sonst hat man Hombachs Reise mit so vielen, zugegeben geschickt gelegten, doch eben falschen Fährten vorbereitet.

Da ist zunächst die Operation »Rosewood«. An der ist nichts klar - außer der Tatsache, daß die CIA das Rennen um das wertvolle HVA-Erbe gemacht hat. Ziemlich sicher scheint zu sein, daß der Coup bereits im Herbst 1989 gelang. Damals buhlten Top-Agenten vieler Länder um die Stasi-Akten. Auch der heutige Berliner Innensenator Eckart Werthebach wollte sich damals die Sporen für seine Beförderung auf den Chefsessel des Bundesamtes für Verfassungsschutz verdienen. Bei der »Firma Großmann« (Werner Großmann war der letzte HVA-Chef) sei nichts zu holen gewesen, sagt ein ihm

naher Mitarbeiter BND-Vize Foertsch hat bei dem DDR-General ebenfalls nichts erreicht. Als man die Türen der HVA-Diensträume endgültig geschlossen hatte, glaubten die Mitarbeiter, daß das gesamte verräterische Material - wie mit der Regierung Modrow und ihrer Nachfolgerin unter de Maiziere vereinbart vernichtet worden sei. Werthebach ging daher - assistiert vom DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel und dessen Berater Ex-MfS-General Edgar Braun - in die Höhle des Löwen: in ein Haus nahe der Berliner Waldowallee. Die liegt in Berlin-Karlshorst, dort siedelte das KGB. Werthebach soll mit dem DDR-Niederlassungschef General Nowikow und dessen Vize Lissin geplaudert haben. Das war im Frühjahr 1990. Da werteten die CIA-Leute bereits kräftig aus, was sie erbeutet hatten. Wie?

Bislang ging man immer vom Verdacht aus, ein HVA-Mitarbeiter habe Verrat begangen. Großmann dieser Tage: »Wir können es uns noch immer nicht erklären, wie die CIA zu unserem Material gekommen ist.« Dabei kann man die möglichen Verräter an einer Hand ab-

zählen. Das wichtigste Material eines Geheimdienstes vertraut man selbst in wirren Zeiten nicht jedem X-Beliebigen an. Werner Großmann beteuert weiter, er habe den eindeutigen Befehl gegeben, daß man das Material nicht weitergibt. Auch nicht an das KGB.

Man kann ja zum »Focus« als mehr oder minder seriöser Informationsquelle stehen, wie man will. Doch er ist den aktiven Diensten nahe und das, was er über den Weg der HVA berichtet, klingt auch für Insider des DDR-Dienstes »logisch«. Nämlich: Die HVA-Akten seien der CIA vom KGB zugeflossen. Immerhin suchte die HVA im Herbst 1989, als noch nicht klar war, ob die DDR und dann auch ein* Auslandsgeheimdienst fortbestehen würden, nach einem sicheren Parkplatz für jene Unterlagen, die man im »zweiten Leben« benötigen würde. »Auch wenn es naiv war, dem KGB zu sagen, bitte schau nicht rein in unser Zeug - daß unsere Akten Handelsware werden, konnte wirklich keiner-ahnen«, sagt einer, der den Untergang des MfS bis zum Schluß und »an Bord« erlebte. Bereits 1993 munkelte man von einer

»Entsorgungsaktion des KGB«, die zu Lasten Tausender HVA-Mitarbeiter gegangen sein soll. Damals kidnappten US-Agenten auch mehrere ihrer Leute, die zu eifrig für die ostdeutsche Spionage gearbeitet hatten. Selbst einen mit neuer Identität ausgestatteten U-Bahnfahrer aus Berlin schnappten sie. In den USA begann das FBI »Spielchen« mit MfS-Kundschaftern. Sie endeten mit drastischen Urteilen.

Inzwischen kann man die 89er Ereignisse knapp so rekonstruieren: MfS-Oberstleutnant Rainer Hemmann bekam von der HVA-Leitung den Auftrag, das Material nach Karlshorst zu bringen. Andere HVA-Offiziere bestätigen, daß der dortige KGB-Verbindungsmann, Oberst Alexander Prinzipalow, nie häufiger deutschen Besuch erhalten habe als im Herbst 89. Prinzipalow wurde nur 49 Jahre alt. Er ist seit zwei Jahren tot, er hat also nur noch die Anfänge der öffentlichen »Rosewood«-Rätselei mitbekommen. Ebenso der in der DDR-Hauptstadt als Journalist angesiedelte KGB-Mann Alexander Sjubenkow. Der soll ein Top-Mann der Ljutsch-Operation gewesen sein - das war eine Perestroika-Glasnost-Variation des KGB in der DDR. Er wurde gerade noch 52 Jahre alt. Ob das ursächlich damit zusammenhängt, daß er aus 89er Tagen den US-»Historiker« Oberstleutnant James P Atwood recht gut gekannt hat, der - so »Focus-Recherchen« - auch Markus Wolf auf die Datscha gerückt sein soll?

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