Der rasende Herr Tschense

Leipziger Ordnungsbürgermeister mit Gesetz im Konflikt

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
Dem Leipziger Bürgermeister Holger Tschense droht ein Strafbefehl über 24 000 Euro. Der SPD-Mann soll reihenweise Fahrverbote missachtet haben - obwohl er für Ordnung zuständig ist. Holger Tschense ist wohl gern flott unterwegs im Straßenverkehr. Immer wieder mussten Ordnungshüter jedoch feststellen, dass Tschense auf den Straßen die Grenzen des Erlaubten überschritt. Der 42-jährige Wagenlenker wurde ermahnt, mit Bußgeldern belegt - und schließlich aus dem Verkehr gezogen. Die Vorfälle sind peinlich genug - schließlich ist der SPD-Politiker Tschense nicht Renn- oder Kurierfahrer, sondern Ordnungsbürgermeister von Leipzig und als solcher für die Einhaltung der Verkehrsregeln zuständig. Es kommt aber noch dicker. Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft hat sich der Stellvertreter von Rathauschef Wolfgang Tiefensee auch über Fahrverbote hinweg- und in mindestens 57 Fällen trotzdem ans Steuer gesetzt. In seiner beruflichen Laufbahn ist Tschense nunmehr stark ausgebremst. Für Unwillen bei seinem Chef hatte zunächst der Umstand gesorgt, dass er belastende Details aus der Zeitung erfahren musste. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft war Tschense dann Ende Juni beurlaubt worden - auf eigenen Wunsch, wie er betont. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt einen Strafbefehl über 240 Tagessätze zu je 100 Euro beantragt. Tritt er in Kraft, gilt der Ordnungsdezernent als vorbestraft. Der Bürgermeister gibt sich angesichts der Vorwürfe zerknirscht, glaubt aber offenbar weiter an eine Rückkehr ins Amt. Die »Belastung für mein Amt, die Stadt Leipzig, meine Familie und mich« sei »sehr groß«, räumt er ein. Gleichwohl habe er »durch die wochenlange öffentliche Kritik« gebüßt. Zudem müsse er sein Fehlverhalten durch die hohe Geldstrafe und einen weiteren zehnmonatigen Verzicht auf die Fahrerlaubnis sühnen. Er bitte den Stadtrat zu prüfen, ob dieser »zusätzlich noch ein Abwahlverfahren für angemessen hält«. Das tut der offenkundig. Am 15. August tagt der Ältestenrat. Es gilt als wahrscheinlich, dass anschließend das Verfahren in Gang gesetzt wird, bei dem zweimal mit Zweidrittelmehrheit für eine Abwahl gestimmt werden müsste. Tiefensee sieht nach dem Strafbefehl die »Chancen für eine Wiedereinstellung noch mehr gesunken«. Der PDS-Stadtrat Horst Pawlitzky wirft Tschense vor, dieser habe »Wasser gepredigt und Wein getrunken bis zum Umfallen«. Im Amt sei er »nicht mehr tragbar«. Forderungen nach Ablösung kommen auch von der CDU. Ins Schleudern könnte die Affäre auch Oberbürgermeister Tiefensee bringen. Schließlich verlöre dieser nach Finanzbürgermeister Peter Kaminski (CDU), der wegen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit dem Leipziger Stadion-Neubau abgewählt wurde, bereits seinen zweiten Dezernenten. Sein dritter Beigeordneter, der für Jugend und Soziales zuständige SPD-Mann Burkhard Jung, musste wegen undurchsichtiger Provisionszahlungen anlässlich der Olympiabewerbung zeitweilig beurlaubt werden. Im aktuellen Fall ist noch offen, ob Tschense den Strafbefehl akzeptiert oder ein Hauptverfahren anstrebt. Über seinen Anwalt hat er Freunde und Bekannte um Geldspenden bitten lassen, mit denen finanzielle Belastungen in »kaum abschätzbarer« Höhe abgefedert werden sollen. Die Junge Union kommt der Bitte nach und sammelt neben Gesetzestexten Fahrscheine für den Nahverkehr.

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