Überstunden im Stadion

Gastronom will bei WM 2006 an Azubi-Ausbeutung verdienen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.
Bis zu 23 Stunden am Stück sollen Auszubildende in den verschiedenen Unternehmen des Leipziger Gastronomen Lutz Albrecht schuften. Wenn alles klappt, könnten die Azubis auch bei der Fußball-WM 2006 nach der Arbeit im Stadion eingesetzt werden.
Die Zustände, die in vielen Ausbildungsbetrieben der Gastronomie in diesem Land herrschen, sind allseits bekannt. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) bemängelt seit Jahren die niedrigen Löhne, die Überstunden ohne Freizeitausgleich und die Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz.

Arbeiten bei Albrecht
Die Geschichten, die Cindy Kurzer über den ganz normalen Arbeitsalltag der Auszubildenden in den Betrieben des Leipziger Gastronomen Lutz Albrecht und seiner Fantastic GmbH zu berichten hat, erschrecken dennoch. Knapp zwei Lehrjahre hatte Kurzer bei Fantastic ausgehalten, um ihren Traumberuf als Köchin zu erlernen. Zum Kochen kam sie jedoch nicht. »Dein Arbeitsplatz ist die Spüle«, habe der Küchenchef ihr bedeutet. »Mein längster Arbeitstag ging 23 Stunden am Stück«, sagt Kurzer. Minimale Arbeitszeit: zehn Stunden täglich. Es sei vorgekommen, dass sie als Lehrling 35 Tage am Stück schuftet musste. Viele Auszubildende griffen da zu Koffeintabletten, um durchzuhalten, weiß sie. Getränke und Essen müssten selbst mitgebracht werden. Wer etwas fallen ließ oder Waren vernachlässigte, erhielt Bußgeldbescheide, die vom Lohn abgezogen wurden. Azubis, die Kritik äußerten, bekamen Aufhebungsverträge. Selbst nach Berichten über die Situation der Azubis in Boulevardpresse und Fernsehen habe sich kaum etwas verbessert in der Fantastic GmbH, zu der Restaurants in der Innenstadt, die Flughafengastronomie sowie eine Cateringsparte zählen.
Manfred Landmann, Gewerkschaftssekretär der NGG, kennt die Nöte der Azubis bei Albrecht zur Genüge: In einem Fall betreute er einen Azubi, der 280 Überstunden in 11 Monaten angesammelt hatte, ein anderen brachte es im Dritten Lehrjahr auf 450 - ohne Freizeit- oder Lohnausgleich.
Normalerweise ist die Industrie- und Handelskammer (IHK) für die Betreuung der Auszubildenden zuständig. »Die Ausbildungsberater überwachen die Berufsausbildung in den Betrieben und fördern sie durch Beratung der Ausbildenden«, schreibt die IHK Leipzig. Dreimal hat sich Cindy Kurzer an die IHK gewandt: Zweimal wurde sie abgewimmelt, einmal wurde ihr gesagt, dass sie froh sein solle, überhaupt eine Azubi-Stelle zu haben. Nach Medienberichten sicherte die IHK immerhin Gespräche mit Albrecht zu. »Deren Inhalte sind nicht für die Öffentlichkeit gedacht«, erklärt Hans-Peter Schmidt, Ausbildungsbeauftragter bei der IHK Leipzig. Kurz: Die Zustände bei Fantastic GmbH gehören nicht in die Medien, meint Schmidt.
Eine aufgeregte Medienöffentlichkeit kann der Leipziger Groß-gastronom Albrecht derzeit tatsächlich nicht gebrauchen. Denn die nächsten lukrativen Großaufträge werden zur Zeit vergeben. Nachdem Albrecht sich bereits das Catering für die Landesgartenschau 2006 in Oschatz gesichert hat, die vor allem durch öffentliche Mittel finanziert wird, steht derzeit die Stadionbewirtschaftung des frisch renovierten Leipziger Zentralstadions für die Fussball WM zur Ausschreibung. Nach der verpatzten Olympiabewerbung der Messestadt ein willkommenes sportliches Großereignis, von dem vor allem die lokalen Betriebe profitieren wollen.

Mit Stammpersonal zur WM
»Wir bringen unser Stammpersonal mit ins Stadion«, erzählt Thomas Reiche, der gemeinsam mit Lutz Albrecht und dessen Kompagnon Axel Thier von der Fantastic GmbH, die Deutschland Event Catering (DEC) betreibt. DEC ist für die Catering Versorgung im Zentralstadion zuständig. Schon beim Confederations-Cup, der Generalprobe für die WM, »haben wir gut mit dem nationalen Auftragsnehmer Aramac zusammengearbeitet«, so Reiche. Im Nachhinein gab es nichts zu beanstanden. »Der höchste Verbrauch von Flaschenbier« und die »sehr guten Umsätze« beim Confed-Cup stimmen Reiche zuversichtlich. »Die Unterschrift unter den WM-Vertrag ist zwar noch nicht trocken, aber wir gehen alle davon aus, dass es klappen wird«, sagt Reiche. Und: »Wir haben beim Confed-Cup bewiesen, dass wir Experten für die Bewirtschaftung des Stadions sind.«
Dass die »Experten« Albrecht und Reiche beim Confed-Cup auf völlig übermüdete Azubis zurückgegriffen haben sollen, die vorher schon ihre normalen Zehnstundenschichten in den Restaurants und Bistros verrichteten, erzählt Reiche indes nicht. Wie viele andere, musste auch Cindy Kurzer zum Einsatz beim Confed-Cup: »Lehrlinge waren für komplette Kioske verantwortlich«, erzählt sie, »dass heißt für die Arbeitsschutzbelehrungen, die Inventur, die finanziellen Belange und die Personaleinteilung.« Normalerweise dürften Azubis jedoch gar nicht alleine eingesetzt werden, ohne dass eine ausgebildete Fachkraft dabei ist, erläutert der Gewerkschafter Manfred Landmann.
Dass die Gesellschafter der DEC - Albrecht, Reiche und Thier - fest mit dem WM-Auftrag rechnen, verwundert das zentrale Organisationskomitte (OK) für die WM in Frankfurt. »Es ist zentralseitig noch kein Auftrag vergeben«, erklärte der Pressesprecher des OK, Jens Grittner, dem ND. Bei der Ausschreibung versuche das OK soziale Aspekte zu berücksichtigen. Ob die DEC trotz der katastrophalen Situation für Azubis den Zuschlag erhält, kümmert Cindy Kurzer jedoch nicht mehr: Seit wenigen Tagen hat sie eine neue Ausbildungsstelle.
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