»Platz für den großen Raffael!«

Wie die Sixtinische Madonna nach Dresden kam

  • Ulrike Krenzlin
  • Lesedauer: 5 Min.
Kann ein Gemälde berühmter sein als die Sixtinische Ma- donna aus der Gemäldegalerie in Dresden? Von einer andächtigen Besucherin erhielt ich während der Eröffnung der Ausstellung, die ihm gewidmet ist, auf meine Frage, weshalb sie das Werk so bewundere, die knappe Antwort: »Das ist Kunst.« Weiter gefragt, weshalb das denn Kunst sei, wurde unwirsch ergänzt: »Das kann heute keiner, die Farben und die Lebendigkeit der Figuren.« Es gibt einige Gründe für den ansteigenden Ruhm des Werkes. Bei der Sixtinischen Madonna handelt es sich um ein Schlüsselbild für die Restitution des Katholizismus in Sachsen. Sein Erwerb ist mit einer langwierigen Ankaufge schichte verbunden, die auf dem Parkett der europäischen Königshöfe entschieden wurde. Das Bild war durch kriegsbedingte Auslage- rungen vielfach gefährdet. In den höfischen Kunstsammlungen von Paris und Wien besaß man Raffaels Werke. König August III. von Polen, auch sächsischer Kurfürst, war unter abenteuerlichen Umständen zum Katholizismus konvertiert. Mit dem neuen Glauben nahm er es ernst. Die italienische Kunst wurde seine Leidenschaft. Desiderat seiner opulenten Gemäldesammlung blieb jedoch ein Raffael. Unter den Künstlern der Hochrenaissance galt er als der bedeutendste. Das kleine Oeuvre des Frühverstorbenen war um 1750 in Europa bereits verteilt. Der König beauftragte seinen Agenten Bianconi mit der Suche nach einem Raffael-Werk. Schließlich entdeckte man das kaum bekannte Hochaltarbild in der Klosterkirche San Sisto in Piacenza. 1750 begannen die Verhandlungen zwischen dem Abt und dem Agenten. Allzu hohe Preisvorstellungen des Klosters erschwerten einen Vertragsabschluss. Die Verkaufsumme in Piacenza belief sich auf 36 000 Scudi Romani. Dresden konnte nur 15 000 Scudi bieten. Selbst für diesen Preis wurde in Dresden bis dahin niemals ein Gemälde erworben. Man einigte sich auf 20 000 Scudi Romani. Dem Verkauf mussten der Vatikan und der Landesherr zustimmen. Der Papst gab sofort Dispens. Der Herzog von Parma hingegen verweigerte grundsätzlich eine Zustimmung mit dem Argument: Raffael von Urbino, eine Hauptzierde Italiens, sei unveräußerlich. Mit dieser Ablehnung war das Projekt 1753 endgültig gescheitert. Doch wechselte der König die Strategie. Alles Weitere ist mit politischem Druck und Diplomatie an den europäischen Königshäusern geregelt worden. Eine seiner Töchter hatte August III. mit dem französischen Dauphin verheiratet. Als Bruder der Herzogin von Parma konnte er den Vorgang beeinflussen. 1753 war das Eis gebrochen. Die Ausfuhrgenehmigung lag vor. Um weitere Überraschungen zu vermeiden, erfolgte der schwierige Transport sofort. Es war Winter. Das auf Leinwand gemalte Bild sollte nicht eingerollt, sondern im Holzrahmen transportiert werden. In einer Holzkiste, mit Wachstuch und Stroh verpackt, wurde es zwischen zwei Lasttieren via Brennerpass über die Alpen getragen. Doch der italienische Zoll stoppte den Zug an der Grenze. Gezahlt werden sollten weitere 27 000 Lire Zollsteuer. Erneut drohte die Aktion zu scheitern. Zeitaufwendige Verhandlungen führten Bianconi wiederum zurück nach Parma zum Herzog. Es ging um den zollfreien Transports der Königsware. Wegen Nebel und Regen musste man die Reise oft unterbrechen. Nach fünf Wochen langte man, am 1. März 1754, in Dresden an. Raffael hielt im Dresdner Schloss Einzug. Was Wunder, dass im 19. Jahrhundert die Legende aufkam, König August III. habe für den Empfang Raffaels im Thronsaal seinen Thronsessel eigenhändig beiseite geschoben . Aus bisher unveröffentlichten deutschen und auch italienischen Archivquellen haben die Veranstalter der Sonderschau diese spannende Ankaufsgeschichte des Werkes herausgearbeitet. Vor 150 Jahren, am 25. September 1855, zog die Sixtinische Madonna aus dem Stallgebäude am Jüdenhof in die neu eröffnete Gemäldegalerie von Gottfried Semper hinüber. Der Galeriedirektor verneigte sich vor ihr mit den Worten: »Seine Exzellenz, Raffael«. Die Hommage galt mehr dem Maler Raffael, weniger seinem Werk. Kaum verwunderlich daher, dass der Glanz, der dieses Werk umstrahlt, verhindert hat, sich mehr in seinen Inhalt, die Ikonographie und in dessen katholische Deutungsschichten zu vertiefen. In Dresden spielten diese As- pekte nie ernsthaft eine Rolle. Statt dessen drehte sich alles um das Umfeld des berühmten Werkes und um seine Wirkungsgeschichte. Aufklärung und Romantik leiteten die literarischen Würdigungen der Sixtinischen Madonna ein. Doch die Sixtinische Madonna vermochte sich ihren Siegeszug in die europäische Kunstwelt nur langsam zu bahnen. Zunächst bewahrte Correggios »Heilige Nacht« den ersten Platz in der Galerie. Erst der Wandel vom Barock zum Klassizismus mit dem neuen Sinn für die Linienkunst änderte sich das Kunsturteil zu Gunsten von Raffaels Madonna. J.J. Winckelmann lobte das Werk: »Wie groß und edel ist ihr gantzer Contour.« Damit verhalf er dem Bild zu jenem Ruhm, der uns heute noch fast sprachlos ehrfürchtig macht. Es folgten die überschwänglichen Beschreibungen der Romantiker Schlegel, Novalis und J. Riepenhausen. Sie erfanden jene schönen Träume Raffaels, in denen ihm die Madonna erschienen ist. Noch einmal steigerte sich der Ruhm des Werkes. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es mit vielen anderen Kunstgütern als Trophäe von der Sowjetunion auf zehn Jahre konfisziert. Umjubelt kehrte die Sixtinische Madonna 1955 nach Dresden zurück. Am Ende dieser Reise erhielt sie in der Gemäldegalerie den besten Platz. Semperbau am Zwinger, Theater platz 1, 01067 Dresden: Ankauf und Mythos von Raffaels »Sixtinischer Madonna« in Dresden. Ausstellung der Gemäldegalerie und des Hauptstaatsarchivs Dresden anlässlich der Feier zum 150-jährigen Bestehen der Gemäldegalerie Alte Meister im Galeriegebäude von Gottfried August Semper am 25. September 2005. Bis 3.10., Di-So 10-18 Uhr. Katalog.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.