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  • Politik
  • Truman Capote. Amerika erinnert sich an sein belletristisches Enfant terrible

Ein Wunderkind, das als Hofnarr endete

  • Lesedauer: 6 Min.

Zwei Außenseiter, die sich mochten: Marilyn Monroe und Truman Capote: »Warum mußte alles so enden, wie es endete?«, schrieb Truman Capote über die unglückliche Diva. »Warum muß das Leben so Scheiß-miserabel sein?«

Foto: ND-Archiv

Von Stefan Dornuf

Thespisjünger kannte er zuhauf, von Sir John Gielgud bis Marion Brando: »Die meisten Schauspieler sind einfach dämlich, und genau das macht sie so unwiderstehlich - auf der Leinwand.« An Jack Kerouac und seinen literarischen Kollegen der Beat-Generation ließ er kein gutes Haar- »Das ist nicht Schreiben, sondern bloß Tippen.« Von Autogrammjägern wurde er ständig belagert; doch als ein Betrunkener in einer Bar ihn provozieren und sein bestes Stück signiert haben wollte, warf der Giftzwerg einen mitleidigen Blick auf die Auslage und meinte schlagfertig: »Na ja, vielleicht krieg' ich die Initialen drauf.«

Die O-Töne stammen von Truman Capote, der als belletristisches Wunderkind Furore machte und als Alkohol- und Drogenwrack traurig versiegte. Pünktlich lag dieses Jahr zum 75. Geburtstag (30. 9.) und zum 15. Todestag (25. 8.) in den USA eine wohlfeile Ausgabe (Picador, $ 7 99) mit einem Mosaik aus Zeugenaussagen vor, die George Plimpton beharrlich über Jahre hinweg speziell für diese Publikation zusammengetragen hat. Verwandte, Freunde und Feinde des Verewigten kommen zu Wort. Angesichts der Fülle der bereits vorhandenen Sekundärtexte, die in keinem Verhältnis steht zum schmalen Ouevre des Dichters, stellt sich die Frage, ob weitere 500 Seiten die Einschätzung der Karriere dieses in jeder Beziehung Frühvollendeten wirklich vertiefen helfen. Erfreulicherweise fällt die Antwort positiv aus, und das ist einzig dem Geschick des Arrangeurs Plimpton zu verdanken. Er hat es nämlich geschafft, das Vertrauen seiner freiwilligen Beiträger in einem Ma-ße zu gewinnen, dass einige von ihnen (unbewusst) mehr ausplaudern, als ihnen eigentlich lieb sein dürfte.

Das Unterfangen konnte nur posthum funktionieren, und nicht allein aus juristischen Gründen. Warum, das wird deut-

lich, wenn man die zwei, drei eingeblendeten Passagen, die von Capote höchstpersönlich stammen, in Augenschein nimmt: Da drohte das Mystifizieren seiner realen Umgebung umso bombastischer zu werden, je weniger sich der Geschichtenerzähler in ihm qua Künstler, sprich: druckreif zu äußern vermochte. Das war auch das Manko der ansonsten interessanten »offiziellen« Monumentalbiografie von Gerald Clarke gewesen: Zwar war das Werk von seinem »Anstifter« noch auf weite Strecken gegengelesen und abgesegnet worden, aber Clarke hatte sich bemüßigt gefühlt, selbst die eklatantesten Flunkereien Capotes für bare Münze auszugeben. Beispiele dafür sind eine Pariser Audienz 1948 beim »Gegenpapst der Invertierten«, Andre Gide, die nie stattgefunden hat, oder ein Techtelmechtel mit Trumans französischem Lektor, Albert Camus, vor dem es diesen engagierten Schürzenjäger sicher gegraust hätte.

Die neben Capote wichtigsten - und beinahe gleichaltrigen - Debütanten der unmittelbaren US-Nachkriegsliteratur waren Norman Mailer und Gore Vidal. Mailer versüßte Truman die frühen Jahre, indem er ihm bescheinigte, die vollkommensten Prosasätze seiner Generation zu Papier zu bringen. Und Gore Vidal versalzte ihm die späten, indem er den Konkurrenten auf eine Million Dollar Schmerzensgeld verklagte, weil der eine für Gore abträgliche Version von dessen Zerwürfnis mit dem Kennedy-Clan ausgestreut hatte. Beide Autoren, die hier nun abschließend ihre einstigen Stellungnahmen kommentieren, hatten länger als Truman gebraucht, um zu ihrer »eigenen«, unverwechselbaren Stimme zu finden,

Eine volle Dekade, vom Erstlingsroman »Andere Stimmen, andere Räume« (1948) bis zur Novelle »Frühstück bei-Tiffany« (1958), waren Capotes Markenzeichen die einsamen Außenseiter aus seiner Heimat, den Südstaaten, gewesen, deren Verletzlichkeit ihr Schöpfer mit impressionistisch anmutendem Zartgefühl behutsam hintuschte. Die Wahl seines nächsten Themas

jedoch bedeutete einen Bruch mit seinen Ursprüngen, der sich zwar auszahlte, aber auf Dauer verhängnisvolle Konsequenzen hatte, wie einige der Befragten explizit bestätigen: »Kaltblütig« (»In Cold Blood«) war die akribische Dokumentation eines mehrfachen Mordes in einem Provinznest in Kansas. Als das Buch 1965, nach sechsjähriger Arbeit, herauskam, wurde es ein sensationeller Erfolg bei Kritik und Publikum und von seinem Autor schnurstracks zur Geburtsstunde eines neuen Genres verbrämt, der »non-fiction novel«. Trumans hartnäckigster Rivale Vidal hingegen hat immer behauptet, dass Capotes Propagierung des »Tatsachenromans« Scharen von phantasielosen Untalenten auf den Plan gerufen habe, die das Stichwort erfreut aufgegriffen hätten und nun eine neue »Literatur für Analphabeten« verfertigten.

Wie dem auch sei, die Finanzspritze durch »In Cold Blood« ermöglichte es Truman, das spektakulärste gesellschaftliche Ereignis der New Yorker Saison anno '66 auszurichten, von dessen Nachhall die Gazetten unvermindert zehren: den schwarzweißen Maskenball im UN-Plaza-Gebäude mit rund 600 geladenen Gästen. Das 155 000 Dollar teure Fest (steuerlich nicht absetzbar) markierte nicht den Höhe-, wohl aber den Wendepunkt in Capotes Vita. Was die einen schiere Überheblichkeit des kleinwüchsigen Zeremonienmeisters dünkt, wollen andere Interviewpartner als »Probelauf« für Capotes Schlüssel(loch)roman »Erhörte Gebete« (»Answered Prayers«) verstanden wissen: die leibhaftige Ansammlung von Trumans menschlichem »Rohmaterial«, der so genannten »Beautiful People« des Jet-Set. Gore Vidal hält bereits Capotes Anspruch, ein amerikanisches Pendant zu »Auf der iSushgsfJQ&eh der»«verlorenen«Zeit«^zu liefern».für Vi&rrneisseri uhäwe.ttet, idiej>£r habe Proust nie gründlich gelesen. Das mag zutreffen, doch verfehlt es den wesentlichen Aspekt der Affäre, die an Tragik grenzt. Durch Capotes Rolle als eine Art Hofnarr am Tisch der Reichen und Mäch-

tigen beraubte er sich allmählich seiner kreativen Kraft. Eine Überprüfung der Bibliographie verrät, dass Truman mit 41 fast ausgebrannt war. Die zwei letzten von ihm für Random House zusammengestellten Bände, »The Dogs Bark« (1973) und »Music for Chameleons« (1980), hatten größte Mühe, den Eindruck eines Nachlasses zu Lebzeiten zu verleugnen, bestanden sie doch überwiegend aus Porträts und Reportagen von vorgestern oder gar aus Selbstplagiaten. Dazwischen, 19Z5/76, lag dejVorabdr.uck.der »Answered Prayefs«-Fragmentg in »Esquire«, was die ihn völlig überraschende soziale Ächtung des zuvor Umworbenen bewirkte. Wer danach Gelegenheit hatte, Truman »live« in Aktion zu sehen, etwa bei einer Rezitation auf dem Campus, gewahrte ein

physisch verwüstetes und hoffnungslos desorientiertes Individuum, dessen Witz nunmehr sporadisch - dann allerdings heftig - aufblitzte.

Am beklemmendsten lesen sich daher auch die Schwanengesänge. »Schwäne« taufte Capote »seine« ihn zuletzt meidenden schönen Industriekapitänsgattinnen von Morella Agnelli bis Lee Radziwill. Vidal zum Trotz denkt man dabei unwillkürlich an eine Proust-Szene, nämlich an die pflichtschuldige Aufwartung, welche der von Krankheit schwer gezeichnete Swann dem Ehepaar ? Guermantes macht. Das aber hadert geradfe mit seiner Abendgarderobe, die ihm die heikelsten Probleme aufgibt, und empfindet darüber die dezent angedeuteten Nöte des Besuchers als überaus lästig, ja geschmacklos.

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