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  • Politik
  • John Henry Mackay: »Der Puppenjunge«

Stricher und Freier

  • Martin Droschke
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Pfarrer auf ihrem Dorf hatte das auch mit ihnen gemacht - so tröstet sich Günther, ein 15-jähriger Ausreißer, als er sich zum ersten Mal an der Passage Ecke Friedrich-/Behrenstraße prostituiert. - Berlin während der goldenen 20er Jahre: Trotz § 175 hat sich eine geheime Szene etabliert. Einer, der den »Stubben« (Freiern) und »Pupenjungen« (Strichern) gleichermaßen nahe stand, war der 1892 an die Spree gekommene Schriftsteller John Henry Mackay. Er recherchierte in schwulen Tanzbars und ließ sich von Strichern aus ihrem Leben erzählen, bevor er sich 1924 an die Niederschrift des Szeneromans »Der Puppenjunge« setzte. Durch seinen Gedichtband »Sturm« 1888 galt Mackay als einer der

wichtigsten Schriftsteller seiner Zeit. Ab 1905 verfasste und verlegte er unter dem Pseudonym Sagitta eine Schriftenreihe, die den Kampf gegen § 175 literarisch unterfüttern sollte, die »Bücher der namenlosen Liebe«. Die positive Resonanz, die ihm nach dem Ersten Weltkrieg aus den Reihen der Wandervögel entgegenschlug, ermutigte ihn, nach einer Vielzahl kurzer Texte mit »Der Puppenjunge« ein umfangreiches Pamphlet vorzulegen.

»Der Puppenjunge«, in zwei Stränge unterteilt, die sich allmählich verweben, ist ein brillanter Roman, wo immer Mackay dem verqueren Weg Günthers durch das Milieu des schwulen Berlin von 1924 folgt. Günthers Geschichte ist frei von moralischer Anklage. Nicht sexuelle Interessen, sondern finanzielle Not treiben den Ausreißer auf den Strich, wo er mit Hilfe eines Zuhälters schnell Einlass in mondä-

ne Tanzdielen findet. Nach einer kurzen Episode im Haus eines Grafen wird Günther zum ersten Mal von der Polizei aufgegriffen. Aus Angst flüchtet er in die feste Beziehung zu dem Verlagsangestellten Hermann Graff. Schon bald wird Günther verhaftet. Er zerbricht an der Brutalität der Jugendanstalt. Als Wrack kehrt der Junge in seine Heimat zurück.

In einem zweiten, autobiographisch aufgeladenen Strang, verbindet Mackay Günthers Weg in den Abgrund mit der Geschichte Hermann Graffs - und verheddert sich in Widersprüchen. Graff ist im Gegensatz zu Günther eine idealisierte Figur. Er verkörpert die Utopie Mackays, dass sich eine intime Beziehung zwischen Mann und Knabe grundsätzlich positiv auf beider Entwicklung auswirkt. Dafür zu werben, bedarf es allerdings der Hilfe des Pathos, schon weil Graffs Objekt der Begierde das Verhältnis auch aus finanziellem Interesse eingeht. Die Konstruktion des Romans zwingt Mackay, immer wieder zuzugeben, dass sich Günther auch »missbraucht« fühlt. Auch geht Graff im Gegensatz zu Günther gestärkt aus dem Roman hervor. Ein Erbe verhilft ihm auf

den letzten Seiten zu finanzieller Unabhängigkeit. »Würdest du ihn«, Günther, »lieben, wenn er einen Schnurrbart hätte?« Nein, dann nicht mehr, weiß Graff. Er schwört dem internierten Geliebten ab und fährt nach Berlin zurück, um sein Leben dem Kampf für die Freiheit der Liebe zu widmen. Für deren abstrakte Idee.

Ein Roman, der die Hilflosigkeit der frühen Schwulenbewegung deutlich macht. Mackay wirbt dafür, die homosexuelle ebenso wie die heterosexuelle Liebe als moralisch höheren Wert anzuerkennen, der über körperliche Gelüste erhaben ist. Gleichzeitig will er Verständnis für die Berliner >Pupenjungen< erschreiben. So steht er vor dem Dilemma, sich entweder zugunsten von deren wildem Treiben oder von Graffs Verklemmtheit zu entscheiden und bringt ein »Bauernopfer«, indem er den ohnehin schon missbrauchten Strichjungen fallen lässt.

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