Letzte Trommelwirbel

Nur noch rund 300 Waschsalons gibt es in Deutschland - ein Streifzug durch eine fast versunkene Welt

  • Anika von Greve-Dierfeld, dpa
  • Lesedauer: 7 Min.
Das beschauliche Geschäft der Waschsalons, so wie man es auch aus französischen Filmen oder amerikanischen Romanen kennt, gibt es in Deutschland kaum noch. Von den noch rund 300 Waschsalons hierzulande sind die meisten voll automatisierte Dienstleistungs-Ladenlokale - ohne Personal. Aber es gibt auch Ausnahmen - Beobachtungen aus dem Süden Deutschlands.

Das beschauliche Geschäft der Waschsalons, so wie man es auch aus französischen Filmen oder amerikanischen Romanen kennt, gibt es in Deutschland kaum noch. Von den noch rund 300 Waschsalons hierzulande sind die meisten voll automatisierte Dienstleistungs-Ladenlokale - ohne Personal. Aber es gibt auch Ausnahmen - Beobachtungen aus dem Süden Deutschlands.

Karlsruhe. Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung. Fast jedenfalls, denn Frederiks Wäsche ist schmutzig. Zwei blaue Plastiksäcke mit Dreckwäsche hat er dabei, ziemlich schwer, ziemlich voll. »Hat sich einiges angehäuft«, sagt er. »In unserer WG hat es diese Woche mich getroffen.« Waschtag. Ohne Waschmaschine. Im Waschsalon.

Single, männlich, älter als 25 Jahre und nicht im Besitz einer Waschmaschine - »das ist die Waschsalon-Klientel in Deutschland«, sagt Matthias Meuthen von Eco-Express. Er ist hierzulande nach eigener Einschätzung Herr über die größte Kette moderner Waschsalons.

Langzeitstudent Frederik wuchtet seinen und den Kram der anderen in zwei Trommeln gleichzeitig. Im Karlsruher Waschhaus Bechtold stehen 18 Waschmaschinen und fünf Trockner. Jetzt drehen schon drei Trommeln leise vor sich hin. Ein älterer Herr wäscht hier jede Woche. Wäsche rein, dann weg zum Kaffeetrinken und frühstücken.

»Dauert ja nur eine Stunde«, sagt er. Das Waschhaus ist noch vom alten Schlag. Inhaberin Helga Bechtold betreibt mit vier Mitarbeitern zwei solcher Salons in Karlsruhe, einigermaßen gemütlich ist es hier und eine kleine Annahmestelle für die Reinigung jeweils gleich mit dabei. Auch Kaffee und kalte Getränke sind im Angebot - allerdings aus dem Automaten.

Das beschauliche Geschäft der Waschsalons, so wie man es auch aus französischen Filmen oder amerikanischen Romanen kennt, gibt es in Deutschland aber kaum noch. »Das sind heute wirklich taghelle, glasklare, pieksaubere Dienstleistungs-Ladenlokale«, sagt Meuthen. Bei Eco-Express sind die Waschmaschinen weiß, das Ambiente klinisch rein, kein Schnickschnack. Die Franchise-Nehmer der Kette müssen ihre Salons nach bestimmten Kriterien einrichten. Rund 120 davon gibt es in Deutschland. »Für SB-Kunden«, sagt Meuthen.

SB steht für Selbstbedienung. Diese Waschsalons arbeiten vollkommen ohne Personal. Morgens schließen sie sich per Zeitschaltuhr selbst auf. Dann geht der Kunde zu einem ein mal zwei Meter großen Automaten, der sogenannten Zentrale. Die Zentrale schluckt Scheine und Münzen, spuckt im Gegenzug Waschpulver und Weichspüler aus und gibt eine Maschine frei für eine Ladung Wäsche. Sechs Tage die Woche von sieben bis 22 oder 23 Uhr - je nach Region. In Berlin ist auch Mitternacht okay. Abschließen tut allerdings der Sicherheitsdienst oder der Inhaber selbst - damit kein Kunde unfreiwillig bis zum Morgengrauen ausharren muss.

Bei Problemen betreut eine Art Callcenter die Kunden aus der Ferne. Fernbedienung für Selbstbediener sozusagen. »Bei uns hängt ein Telefon. Wenn es eine Beschwerde gibt oder eine Maschine kaputt ist, kann der Kunde die Hotline anrufen.« Sagt Ralf Krüger, der zwei Eco-Express-Läden in Stuttgart und Ludwigsburg führt. Zwar hat fast jeder Haushalt in Deutschland eine Waschmaschine. Drei Millionen werden pro Jahr verkauft. Auf derzeit 36 Millionen Stück schätzt der Zentralverband Elektrotechnik- und Elektroindustrie (ZVEI) den Bestand. Bleibt ein Rest von vier Millionen Haushalten. Einige davon können eine Gemeinschaftswaschmaschine im Keller oder in einem Waschraum nutzen. Der Rest besucht die etwa 300 Waschsalons.

Zwischen 50 und 80 Kunden kommen pro Tag, die Gründe sind immer die gleichen: Mama will nicht mehr waschen, Wohnung zu klein, keine Kohle, Maschine kaputt. Man bezahlt bei Eco-Express zwischen 1,50 und 3,50 Euro pro Charge - abhängig von Stadt und Lage. In Stuttgart ist es zum Beispiel teurer als in Kaiserslautern. Privat geführte Salons verlangen öfter mal mehr. Bei Mihaela Zaharia in Karlsruhe etwa kostet es vier Euro. Ihr Waschsalon Exclusiv gehört zu keiner Kette und wird auch nicht vom Callcenter betreut. Zaharia kümmert sich selbst um ihre Kunden. Wäsche zusammenlegen und Seelen trösten inklusive. Die 33-Jährige hat sich vor fünf Jahren selbstständig gemacht. Sie kaufte 16 Maschinen und fünf Trockner, teilweise auf Pump. Ein einziges Profigerät kostet 3800 Euro. Mindestens 300 Euro pro Tag muss sie einnehmen, damit sich das Ganze lohnt. Umsatzzahlen gibt es keine - weder von der gesamten Branche noch von der Kette Eco-Express.

Bei Zaharia wäscht Rüdiger Kleschnitzki, 71 Jahre, allein. Oder Gisela Dost, 88 Jahre, sehr allein. Oder ein extrem übergewichtiger, latent aggressiv vor sich hin schimpfender Mann in Jogginghose mit Goldzähnen. »I'm back in ten minutes« ruft er ins Off. Zugehört hat ihm niemand, die anderen Kunden schauen weg. »Sehr schwieriger Mensch«, flüstert Zaharia. »Er ist zuckerkrank. Lieber nicht ansprechen.«

Waschen bei Mihaela Zaharia ist Vertrauenssache. Die Kunden lassen ihre Wäsche in der Maschine, Zaharia legt sie zusammen und bewahrt sie auf. »Manche kommen gleich, manche holen sie erst ein paar Tage später.« Dass Wäsche gar nicht geholt wird, weil der Kunde gestorben ist, ist auch schon vorgekommen. »Man kennt sich hier im Viertel«, sagt Zaharia. Die Sachen hat sie später der Familie zurückgegeben.

Ob Kette oder privat geführt - das Geschäft der Waschsalons lebt von Stammkunden. »70 bis 80 Prozent der Leute kommen immer«, sagt Gabi Kurz. Sie betreut im Waschhaus Bechtold in der Karlsruher Südstadt die Reinigungsannahmestelle und hilft mit Rat und Tat. Manchmal sind auch Menschen »von ganz unten« dabei, sagt sie. »Obdachlose, Langzeitarbeitslose - aber das Geld für eine Ladung Wäsche kratzen sie dann zusammen.« Kürzlich musste sie einen obdachlosen Mann vor die Tür setzen, weil er auf den Boden gepinkelt hatte. »Die Kunden hatten sich beschwert«, sagt sie. »Aber der Mann hat mir schrecklich leidgetan.«

Inhaberin Bechtold liebt den Kontakt zu ihrer Stammkundschaft. »Manche kenne ich schon mein halbes Leben«, sagt die 55-Jährige. Einer brachte ihr mal einen Plastiksack voller Kleingeld vorbei: Die Zentrale war defekt und hatte die zuvor verschluckten Münzen einfach wieder von sich gegeben.

Zwischen 24 und 26 Millionen Tonnen Wäsche wäscht der Deutsche pro Jahr und spült dabei pro Kopf rund 7,7 Kilo Waschpulver in die Kanalisation. »Der Stromverbrauch ist gewaltig und dürfte zwischen 6 und 7 Milliarden Kilowattstunden im Jahr liegen«, schätzt ZVEI-Experte Werner Scholz. Das schlägt in den Waschsalons natürlich auf den Preis. »Die Energiekosten sind ein Hauptfaktor geworden und gigantisch gestiegen«, sagt Bechtold. »Wenn wir 3,50 Euro für eine Charge verlangen, gehen davon weit über 50 Prozent für den Strom drauf«, bekräftigt auch Meuthen.

Die Anschaffungskosten für eine Waschmaschine, das Waschpulver, die Strompreise - »ich kaufe mir auf meine alten Tage keine mehr«, sagt Reinhold Beeh, 75 Jahre. Er ist, erzählt er sogleich gekonnt beiläufig, nicht nur Waschsalonkunde, sondern auch Deutschlands ältester Snowboard-Lehrer.

Den Slalom-Hüftschwung hat er deshalb gut drauf, das hat ihm privat aber nix geholfen. Die Frau zog vor zwei Jahren nach München und nahm die Maschine mit. Beeh wäscht seitdem im Waschsalon. Genauso wie ein 57 Jahre alter Chemiker. Einen Doktortitel hat er, seit zehn Jahren ist er arbeitslos, im Waschsalon liest er die »Bild«-Zeitung. Seinen Namen will er nicht nennen.

Frauen nur selten. Wenn sie kommen, dann meist als »Notfallwäscher« - weil die Maschine kaputt ist oder man im Urlaub schnell was waschen will. »Frauen geben das Waschen halt ungerne aus der Hand«, sagt der Haushaltsforscher Professor Rainer Stamminger. »Für sie ist das Waschen mehr eine ›innere Aufgabe‹, während Männer eher eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufmachen«, erklärt der Inhaber des Lehrstuhls für Haushaltstechnik an der Uni Bonn. Deshalb setzten sich übrigens auch Waschmittel-Tabs nicht durch: »Frauen dosieren gerne selber.«

Gemischter, also weiblicher, wird die Klientel erst wieder, wenn Waschsalons sich bewusst als soziale Treffpunkte aufrüsten: Sie bieten dann Hamburger, Hotdogs oder Cocktails an oder gleich einen ganzen »Erlebnis-Waschsalon - wie das Waschhaus »Trommelwirbel« in Nürnberg. »Make Wäsche not war« lautet dort das Motto. Frauen waschen dort genauso wie Männer, Familien ebenso wie Singles. Es gibt ein Café, Spiele, einen Hotspot, eine Kinderecke. Alles mit Ökostrom - »nachhaltiger als bei uns kann man nirgends waschen«, sagt Geschäftsführerin Nele Gilch.

Schmutzwäsche säubern als Livestyle-Erlebnis - wenn Kuchen und Latte macchiato angeboten werden, dann wird Waschen bisweilen schnell zu einem etwas überspannten Cafébesuch. Otto Normalwäscher hat für so etwas weder Verständnis noch Geld. »Ich wasche, weil meine Wäsche dreckig ist«, sagt der arbeitslose promovierte Chemiker. »Und wenn sie sauber ist, gehe ich heim.« Foto: dpa

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