Weit mehr als nur Klamotten

Konzentriert: »Liebe, Leid und alle meine Kleider« im prime time theater

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Handtasche einer Frau ist ein Kapitel für sich. Running Gag. Nie findet man in ihr, was man sucht. Dafür scheint sie sich als Endlager unzähliger Kleinigkeiten zu verstehen, die lange vermisst waren oder die man als längst weggeworfen wähnte. Mit der fabelhaften Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, könnte man das auch als Abbild grauenvoller Haushaltsführung betrachten. Das geschieht bei »Liebe, Leid und alle meine Kleider« im prime time theater.

Constanze Behrends inszenierte das Stück der vor nicht langer Zeit verstorbenen Journalistin und Regisseurin Nora Ephron als Lesung. Die amerikanische Autorin, bekannt auch durch Verfilmungen ihrer Stoffe »Harry und Sally«, »Schlaflos in Seattle« und »E-Mail für Dich« schrieb es 2008 zusammen mit ihrer Schwester Delia Ephron nach dem Buch von Ilene Beckerman.

Acht Frauen sind an dieser Berliner Erstaufführung beteiligt. In jedem Fall sprechen schick in Schwarz jeweils fünf Schöne von der Bühne. Immer mit dabei sind bis Februar zusätzlich zum regulären Programm drei Damen des prime time theaters und als Gäste alternierend Gayle Tufts, Petra Nadolny, Sabine Kaak und Susanne Pätzold. Die beiden letzteren setzten sich dem Premierenfieber an der Müllerstraße aus. Für diese erste Vorstellung des Broadway-Dauerbrenners hatte das Theater einen langen roten Teppich bestellt. Knapp über zwei Meter waren dann geliefert worden. Kleine Bühne kleidet kleiner Teppich? Tapfer draußen ausgelegt sorgte er für Heiterkeit bei den Theaterleuten.

Geht es sonst rasant bei den Vorstellungen des prime time theaters zu, legte Regisseurin Behrends hier die Konzentration aufs Wort. Monologe und Dialoge bestimmen den Theaterabend, in dem es keineswegs nur um Klamotten irgendwelcher verwöhnter und kontinuierlich Kleidung kaufender Weibsbilder geht. Meistens jedoch geben Kleidungsstücke den Anlass zum Erzählen dieser wahren Geschichten, weil sie an etwas erinnern. Episoden über Liebe und Ehe kommen zur Sprache, in einem Fall sogar über Jahrzehnte mit wechselnden Hochzeitskleidern und Ehemännern.

Ulkig geht es zu bei Geschichten, die mit Schuhen, Stiefeln, dem ersten und dem richtigen BH und dem ewig schlechten Licht in Anprobekabinen zu tun haben. In Erinnerung gerufene Kommunikationsprobleme mit Müttern, die es doch mit ihren modischen Tipps immer nur gut meinten, spiegeln typische Pubertätsverzweiflung wider. Alle diese Geschichten sind sympathisch weiblich, menschlich und manchmal auch rührend. Albern indes wird hier nichts. Es geht auch ums Älterwerden, um die Bewältigung schwerer Krankheit und den Verlust durch Tod.

Das Herangehen an solcherart Umgang mit wahren Erzählungen erinnert an Maxie Wanders Buch von 1977 »Guten Morgen, du Schöne« nach Tonbandprotokollen, in denen 15 DDR-Frauen aus ihrem Leben erzählen. Es wurde sofort geliebt, auch im Westen Deutschlands. Wenig später wurde es für die Bühne des Deutschen Theaters bearbeitet und 1980 vom DDR-Fernsehen verfilmt.

Es ist also nachvollziehbar, wenn heute bei Ephrons Stück die Schauspielerin Gayle Tufts nicht lange zum Mitmachen überredet werden musste und wie ihre Kolleginnen dieser Erzählkunst sofort vertraute: »Frauenstücke sind so selten, wir brauchen sie im Moment.« Natürlich. Immer. Auch wenn man sagen kann, dass das aktuelle, von der Regisseurin mit Berliner Lokalkolorit angereicherte Stück nicht nur etwas für Frauen ist. Mann kann vor allem bei ulkigen Geschichten gut mitreden, kennt er doch sicher die Partnerin vorm Kleiderschrank. Sollte die nicht zu der Sorte Frau gehören, die Kleidung ausschließlich als notwendige Körperbedeckung betrachtet, kann es dort zum Ich- hab'-nichts-anzuziehen!-Ausruf kommen. Und überhaupt, was hängt denn da alles drin herum. »Wer hat das denn gekauft?«

17.10., 20.15 Uhr, prime time theater, Müllerstr. 163 (Eing. Burgsdorfstr.), Wedding, Tel.: (030) 49 90 79 58

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